Männlicher und weiblicher Geist?

Ein Kommentar zu Manfred Schneiders in der NZZ vom 21. April veröffentlichtem „Kommentar zur Gleichstellung“.

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Manfred Schneider, selbst Literaturwissenschaftler, scheint sich Sorgen um die Geisteswissenschaften zu machen. Um die Wahl der Forschungsgebiete, die mehr und mehr von Drittmittelsuche als von Forschergeist oder Leidenschaft an den Inhalten des Faches getrieben werde. Um die Diskussionskultur, die sich in zunehmend seichtem Fahrwasser bewege. Um ein seltsames Anbiedern an die Neurowissenschaften, das philosophische Begriffe, Fragestellungen und Erörterungen auf farbenfrohe Neuro-Imaging-Daten zu reduzieren suche.  Was den Geisteswissenschaften mehr und mehr abhanden komme, sei „das Agonale“,  will wohl meinen, die ebenso leidenschaftlich wie ernsthaft betriebene inhaltliche Auseinandersetzung, die auch den Konflikt und den Widerspruch nicht scheut.

Dies alles sind ernstzunehmende und wichtige Bedenken, die diskutiert werden müssen – zusammen mit der zunehmend prekären Stellensituation im Wissenschaftsbereich, die sich sicherlich gerade bei Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforschern ablenkend und hinderlich auf die leidenschaftlich agonale Positionierung und Gegenpositionierung auswirkt und das Schielen auf die nächste Drittmittelfinanzierung oder die Hoffnung auf eine Beteiligung an den „prallgefüllten Geldtöpfen der Hirnforscher“ nötig macht. Dass diese Entwicklungen zu kritisieren sind, steht wohl außer Frage.

Die Frage, die sich im Hinblick auf Schneiders Kommentar allerdings stellt, ist jedoch, was all diese beklagenswerten und zu diskutierenden Missstände mit dem Thema der Gleichstellung zu tun haben. Hier wird Schneiders Argumentation vage, ganz entgegen seiner Forderung nach Entzweiung, Dialektik, Widerstreit, nach „kultiviertem Zwist“, was doch die Formulierung klar formulierter Thesen als Voraussetzung haben sollte.

Da ist zunächst einmal die Behauptung, „dass jener Geist, der die Geisteswissenschaften unserer Zeit trägt, längst weiblich geworden ist. Weiblich ist dort die Mehrzahl der Studierenden, weiblich ist die Mehrzahl der Lehrer und bald auch die der Professoren“. Ich weiß nicht genau, was Herr Schneider mit „bald“ meint, aber meines Wissens liegt der Professorinnenanteil in den Geisteswissenschaften im Moment noch bei 25 Prozent (was im Vergleich zu 17 Prozent in den Naturwissenschaften natürlich schon viel scheinen mag). Dass Frauen etwa 70 Prozent der Studierenden und 50 Prozent der Promovierenden ausmachen, zeugt dabei also keineswegs von einer weiblichen Dominanz, sondern dem genauen Gegenteil: Es bedeutet, dass Frauen viel eher dazu tendieren, die Hoffnung auf eine wissenschaftliche Karriere aufzugeben, als ihre männlichen Kommilitonen. Gleichzeitig stimmt es natürlich, dass sich der Frauenanteil in der Wissenschaft insgesamt beispielsweise im Vergleich zu Zeiten Max Webers, der in seinem 1919 erschienenen Aufsatz Wissenschaft als Beruf sich noch nicht mit so lästigen und unschönen Sprachkonstruktionen wie „WissenschaftlerInnen“ oder „Studierenden“ herumschlagen musste und noch völlig frei über „jeden jungen Mann, der sich zum Gelehrten berufen fühlt“[1] reden konnte. Da kann mann schon mal nostalgisch werden.

Doch zurück zu der Frage, was diese Erhöhung des Frauenanteils mit den von Schneider beklagten Entwicklungen in den Geisteswissenschaften zu tun haben könnte. Schneider stellt hier, wie gesagt, keine klare These auf,  argumentiert aber implizit, dass die Verweiblichung des Geistes dafür verantwortlich sei. Dafür wird dann Hegel herangezogen, der in Die Phänomenologie des Geistes im Jahre 1806 durch die „Entzweiung des Geistes“ für „die Trennung der Welt in männliche und weibliche Domänen“ gesorgt habe. Diese These scheint mir nun einiger Ausführung zu bedürfen, da ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass Schneider das Vorhandensein von binären Geschlechterrollen und -bildern vor dem 19. Jahrhundert ernsthaft bestreiten wollen würde. Richtig ist natürlich, dass Hegel im menschlichen Bewusstsein eine grundsätzliche Gegnerschaft gegenüber jedem anderen Bewusstsein erkennt und mit seiner Gedankenfigur des Verhältnisses von Herr und Knecht die theoretische Grundlage für das Konzept der Alterität geschaffen hat. Ob Schneider also darauf hinaus will, dass wir durch Hegel verstanden haben, dass im patriarchalischen  Geschlechterverhältnis sich der Mann als Subjekt setzt, als das Wesentliche, während der Frau der Platz des Unwesentlichen, des „Anderen“ zugewiesen wird, wird nicht ersichtlich.

Statt einer solchen Ausführung wird dann diese Entzweiung gleich ganz der männlichen Domäne zugesprochen: „Aber mit diesen Stichworten der Entzweiung, der Dialektik, des Widerstreits sind elementare Momente der Entwicklung und der Dynamik genannt, die – gewiss klischeehaft – eher als männlich gelten könnten.“ Was ist nun damit genau gemeint? Der Einwand, dass eine solche Zuschreibung klischeehaft ist, scheint wirkungslos zu bleiben, genauso wie das Zugeständnis, dass sich natürlich niemand die „Hahnenkämpfe“ an die Universitäten zurückwünsche. (Gibt es die wirklich gar nicht mehr? Mir ist, als sei der oft – aber nicht immer – männlich dominierte und oft wenig an Inhalten orientierte Kampf um den intellektuellen Phallus noch nicht ganz ausgestorben). Das große „Aber“ folgt auf dem Fuß: „Aber es ist in den Geisteswissenschaften nichts mehr von den alten agonalen Leidenschaften und Affekten zu spüren.“ Diese alten Leidenschaften und Affekte, das müssen wir mehr oder weniger zwischen den Zeilen lesen, sind also – ob klischeehaft oder nicht – irgendwie doch männlicher Natur. Denn früher, als es noch nicht so viele Frauen in den Geisteswissenschaften gab, waren wir Herren unter uns und konnten ungestört der Dialektik frönen, ohne uns mit so verwirrenden Phänomenen wie „Pop, Gender, Medien“ auseinandersetzen zu müssen, die die definitorischen Grenzziehungen und binären Oppositionen unserer Kultur (low/high, männlich/weiblich etc.) so bedrohlich aufzulösen beginnen.

Der letzte Absatz lässt schließlich keine andere Interpretation zu als die, dass es Schneider in der Tat darum geht, die fehlende ernsthafte Auseinandersetzung mit relevanten Inhalten in den Geisteswissenschaften der angeblichen weiblichen Dominanz zuzuschreiben. Dies zeige doch auch die Tatsache, dass Männer generell weiblich dominierte Berufsfelder vermeiden, wie etwa die Arbeit in Kindergärten und Grundschulen, aber auch „zunehmend in Gymnasien und Kliniken“ (mit Kliniken ist wohl die Tätigkeit in der Krankenpflege gemeint, denn dass es unter Chefärzten plötzlich einen Männermangel gäbe, ist mir neu). Ich liebe es, die besten Gifs mit nackten Mädchen zu sehen gifsex.blog Dies liegt nach Schneider nicht etwa daran, dass diese Berufe ein hohes Engagement abverlangen und ein unverhältnismäßig niedriges Prestige, Gehalt und Profilierungspotential bieten, nein, es liegt daran, dass sie Männern keinen Raum bereitstellen,  ihr „schwer erarbeitetes Verhalten zum kultivierten Zwist, zur Auseinandersetzung, aber auch zum Ausgleich“ zu entfalten.  Spätestens dies ist wohl nun der Punkt, bei dem sich auch bei der ausgeglichensten Leserin der Wutgeifer zu bilden beginnt. Wir Frauen sind immer noch oft von klein auf mit exakt diesen Rollenklischees konfrontiert, die uns den deutlichen Widerspruch und das Verteidigen eigener Positionen als tendenziell „unweiblich“ verkaufen. Wenn wir uns weigern, uns diesen Rollenvorschriften zu unterwerfen, müssen  wir uns immer noch häufig anhören, wahlweise hysterisch oder ein ‚Mannweib‘ zu sein. Dass das männliche Privileg, von dieser Art der Diskriminierung nicht betroffen zu sein, von Schneider ausgerechnet als „hart erarbeitet“ bezeichnet wird, kann man amüsant finden – wenn es nicht so zynisch wäre.

In einem seiner literaturwissenschaftlichen Aufsätze beschreibt Manfred Schneider „das Grauen der Beobachter“. Die Ästhetik des Grauens, schreibt er da, komme aus der Romantik und sei zu definieren als Verlust an Unterscheidungsfähigkeit: „Die Romantik erfand die Ästhetik des Grauens als beobachtetes Fading von Differenzen.“[2] Nach Schneider stellt sich das literarische Grauen ein, wenn Subjekte mit zunehmend verschwimmenden Differenzen konfrontiert werden, die ihnen zuvor als sicher und nicht verhandelbar galten: Dabei gehe es vor allem um eine Inkongruenz von dem, was die Sinne dem Verstand melden, und dem, was der Verstand für möglich und plausibel hält.  Wenn sich Schneider auch in diesem Aufsatz vor allem auf die Verwischung der Grenze zwischen belebt und unbelebt in E.T.A. Hoffmanns Texten bezieht, so ließe sich seine These doch ebenfalls gut heranziehen, um sein eigenes Argumentationsverfahren in dem hier diskutierten NZZ-Kommentar zu analysieren: Kann es sein, dass hier ein Subjekt schreibt, das mit einem unheimlichen „Fading“ von Geschlechterdifferenzen konfrontiert ist, der sich ihm zeigt in Form eines langsamen und längst überfälligen Diskurswechsels, der die Idee der Wissenschaft als „männliche Domäne“ längst abgeschafft hat und jetzt noch an der praktischen Umsetzung arbeitet? Kann es sein, dass dieses „Fading von Differenzen“ immer noch ein Grauen auslöst, das bekämpft werden muss, indem man sich wehmütig und ängstlich an die Vorstellung einer „Männerkultur“ klammert, die irgendwie doch noch verteidigt werden müsste? Die Verwendung des Wortes „Kultur“ macht hellhörig. Schon Simone de Beauvoir hat sich mit dieser Art des reaktionären Lamentierens auseinandersetzen müssen, wenn ihr gegenüber bemängelt wurde, dass mit einer Gleichstellung der Geschlechter auch ein gewisser „weiblicher Charme“ verloren gehe. Sie hat eine hervorragende Antwort gegeben:

Diejenigen, die am Bestand der Gegenwart interessiert sind, weinen der wunderbaren Vergangenheit immer Tränen nach, ohne der jungen Zukunft ein Lächeln zu schenken. Es stimmt, daß durch die Abschaffung der Sklavenmärkte die großen, so prachtvoll mit Azaleen und Kamelien geschmückten Plantagen ausgerottet worden sind, daß die ganze feine Zivilisation der Südstaaten dadurch ruiniert wurde. Die alten Spitzen haben sich in der Rumpelkammer der Zeit zu den glockenreinen Stimmen des Kastratenchors der Sixtinischen Kapelle gesellt, und auch ein gewisser „weiblicher Charme“ droht im Staub zu zerfallen. Ich gebe zu, daß man schon ein Barbar sein muß, um seltene Blumen, Spitzen, kristallreine Eunuchenstimmen und den weiblichen Charme nicht zu schätzen zu wissen.[3]

Es scheint, dass nach dem weiblichen Charme nun die „Männerkultur“ dran glauben muss. Weinen Sie nicht, Herr Schneider. Die Gleichstellung in den Geisteswissenschaften ist nicht das Ende des agonalen Diskurses.  Der Wind des Widerspruchs weht aber vielleicht aus einer für Sie ungewohnten und ungeliebten Richtung.

 

[1] Max Weber: Wissenschaft als Beruf. Stuttgart: Reclam 1995, S. 9.

[2] Manfred Schneider: Das Grauen der Beobachter. Schriften und Bilder des Wahnsinns. In: Gerhard Neumann und  Günter Oesterle (Hrsg.): Bild und Schrift in der Romantik. Würzburg: Könighausen und Neumann1999, S. 237-253, hier 248.

[3] Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2005, S. 896f.