20:30h bis 21h, 22:15 bis 23h: Signiermöglichkeit. Zu Karl Ove Knausgård in den Berliner Festspielen

Karl Ove Knausgård ist momentan der bekannteste Autor Norwegens. Das gilt in mindestens Norwegen, den USA und in Deutschland. Das ist einer der Gründe dafür, dass am vergangenen Freitag ungefähr 800 Leute in das Haus der Berliner Festspiele gekommen sind, um einen „Tag mit…Karl Ove Knausgård“ zu verbringen, der von 19.30 bis ca. 0.30h dauerte, was eine interessante Verkürzung ist, aber Knausgårds autobiographische Min Kamp-Romanreihe, die hier gefeiert wurde, schildert ja auch nur ca. die ersten 40 Jahre seines Lebens, die dafür in großer Ausführlichkeit. Aufgeteilt war der Abend in einen Prolog, ein Gespräch mit dem Autor und eine Late Night mit Musik, dazwischen Signierstunde, Rotwein, Toilette, Zigarette (je nach Bedarf).

An diesem Abend zeigte sich unter anderem, dass man offenbar bei einem monumentalen Unternehmen dichterischer Selbstbespiegelung vor allem viel Zeit braucht um zu zeigen, was daran so toll ist; die schiere Menge an Text, die Knausgård produziert hat, dürfte es nicht sein, auch andere Autoren (weniger: Autorinnen) schreiben 1000-seitige Bücher. Ein besonderes poetisches Verfahren ist es auch nicht, denn Knausgård beschäftige sich vor allem mit dem Problem der literarischen Epigonalität, wie Ijoma Mangold (Die Zeit) sagte, der im ersten Teil des Abends mit dem Knausgård-Übersetzer Paul Berf und dem Moderator Thomas Böhm einen „Prolog“ führte.

Berf wies darauf hin, dass Teile von Knausgårds jüngst in Deutschland erschienenem Träumen eine Paraphrase von Knut Hamsuns Hunger seien: Träumen endet mit dem Satz „So verließ ich Bergen“, Hunger endet mit „So verließ ich Kristiania“. Mangold schlug vor, dass Knausgårds Bücher weniger an einer psychologischen Authentizität der Darstellung interessiert seien, als an einer literarischen Authentizität im Umgang mit Vorbildern wie eben Hamsun. Paul Berf hatte einiges über die handwerklichen Voraussetzungen seiner Übersetzung zu sagen und über die Identifikation mit dem Autor („manchmal habe ich gelesen und gedacht: Karl Ove! Tu’s nicht!“); Mangold hatte sich nach eigener Auskunft sehr gut vorbereitet und stellte deshalb noch die „metaphysische Dimension“ der Bücher heraus, die „über die Kontingenz des Augenblicks hinausweist“.

Das Studium an einer deutschen Hochschule ist in der Regel kostenfrei, der Eintritt in die Berliner Festspiele kostete 15 oder 10 Euro, gezahlt hatten diesen Preis wohl vor allem solche, die den Autor lieben, Poetologie hin, Kontingenz her. Das Knausgård-Fantum hat unterschiedliche Gründe, davon ist einer, dass die Taschenbuchausgabe von Sterben Knausgårds Gesicht zeigt, das wertvoll verlebt, also sehr schön aussieht (Knausgård ist starker Raucher und lächelt selten, es gibt gute Gründe dafür, dass man seine Zähne so selten sieht, sonst käme man vielleicht zu einem differenzierteren Befund). In meiner Sitznachbarschaft fand folgendes Gespräch zwischen drei Frauen statt: 1) „Ich bin gespannt, ob der wirklich so gut aussieht.“ 2) „Ich glaube, der sieht wirklich so gut aus, ist aber nur 1,50m groß.“ 3) „Ich glaube, er sieht scheiße aus und ist nur 1,50m.“ (Jede gute Knausomanin weiß, dass der Autor 1,93m misst, steht in Träumen.)

Dass er wirklich SO GUT aussieht, stellt sich erst nach Gespräch und verschiedenen Lesungen aus seinen Texten durch die Schauspieler Thomas Sarbacher und Aleksandar Radenković heraus. Der Autor kommt auf die Bühne, wird lange beklatscht, freut sich sichtlich, faltet sich zwischen Thomas Böhm und Dirk Knipphals (taz) in seinen Stuhl und nimmt deren Fragen entgegen. Böhm fragt sich betriebsnudelig durch mehrere DIN-A4 Seiten voller Notizen, Knipphals möchte wissen, ob der erste Satz des ersten Min Kamp Bandes auch der erste sei, den Knausgård geschrieben habe, und wem er sich eigentlich so ausführlich habe bekennen wollen. Manchmal schweigt Knausgård länger, wenn er eigentlich antworten soll, währenddessen schrumpfen die Fragen proportional zur Dauer der unangenehmen Stille auf der Bühne. Knausgård ist gegen Ironie und Humor, weil sie Distanz schaffen, Knausgård ist für Pop, weil er zu der spoiled brat-Welt passt, aus der er berichtet. Knausgård möchte Celan ebenso wie Hitler als Literatur ernstnehmen, Windeln wechseln und Poesie als unterschiedliche, aber gleichberechtigte Arten, in der Welt zu sein verstehen.

Das alles sagt er vor einer riesigen Leinwand sitzend, auf der im ersten Teil des Abends Zitate aus seinen Büchern zu monumentaler Größe hochskaliert projiziert werden, während im zweiten Teil Schauplätze aus Träumen als Postkartenmotive gezeigt werden. Bergen, Norwegen: Auch hier gibt es Einkaufszentren, Wohnblocks, Altbauten, und überall wohnen Menschen. Die Leinwand-Projektionen zeigen, worum es bei dem Abend geht – denn all die klugen Ideen Knausgårds und seiner Gesprächspartner kann man sich auch aus zahlreichen Interviews, Reportagen und Rezensionen zusammengooglen. Die Literatur allein reicht nicht, es muss ein Ereignis her. Die Ruhmkontrolle funktioniert nur über Präsenz, weshalb als dramaturgischer Höhepunkt des Abends Knausgård selbst einen Textausschnitt vorträgt, auf Norwegisch. Das dürfte die Mehrzahl der Zuhörenden nicht verstehen, aber er stützt sich leicht gebückt auf dem Pult ab, gestikuliert mit der rechten Hand im Rhythmus seines dringlich klingenden Vortrags und performiert so insgesamt sehr schön Knausgård, aus dem Knausgård-Text rauskommt. Der Applaus ist lang, er will gleich von der Bühne abgehen, muss dann aber weiteren Beifall entgegennehmen, in dem fast untergeht, dass Thomas Böhm noch einmal Anweisungen für die zweite Autogrammrunde des Abends hat: Jeder nur ein Buch, bitte.

In der Schlange im Foyer stehen dann Frauen mit Marimekko-Stoffbeuteln und Männer mit knausgard 1Fjäll-Räven-Rucksäcken, solche Leser, die ca. 583 Post-its auf 700 Seiten angebracht haben, nur ganz wenige Leserinnen haben Stiefel mit Pailletten am Schaft angezogen. Leserlich schreibt Knausgård in die Bücher: With all my best. Unleserlich schreibt er: seinen Namen. Während die Anzahl der zu unterschreibenden Bücher begrenzt ist, ist es die der erlaubten Fotos vom Autor nicht. Es stehen in der Regel ca. fünf Leute mit Handys neben Knausgård und schießen ihn ab, eine Weile hat er auch eine Filmkamera im Nacken, Pärchen fotografieren sich abwechseln neben ihm, während er mit nicht nachlassendem Lächeln signiert. (Ich habe mich nicht angestellt, sondern von der Seite mitgeglotzt, in mein Notizheft geschrieben mitfotografiert; ein von mir gelesenes Taschenbuch hat Ähnlichkeit mit einer getragenen Socke, die mehrere Tage in einer Sporttasche vergessen wurde, die würde ich auch niemandem auf den Tisch legen wollen. Abgesehen davon fand ich seitlich anglotzen offenbar weniger peinlich als anstehen, warum auch immer.)

Das Programmheft des Abends, das seine eigene Rezension verdient hätte, hatte angekündigt, dem Publikum eine „intensive und überraschende Feier des Künstlers“ zu bieten, wobei seltsam unklar blieb, worin die Überraschung bestand, weil alles genau wie angekündigt ablief. Unangekündigt war lediglich, dass zur Verstärkung der Ereignishaftigkeit des Ganzen ab 23h die erste Ausgabe des neuen „Literarischen Quartetts“ übertragen wurde, in dem unter anderem über Knausgård gesprochen wurde; hier übrigens auch von Frauen, die als Rezipientinnen Knausgårds in den Berliner Festspielen nur als schweigendes Publikum geladen waren. Dort fand die Sendung allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, denn die hielt sich nicht vor der Übertragungsleinwand auf, sondern zu Hause, in Bars, sonstwo oder aber im ersten Stock des Hauses. Dort gab es dann weitere Knausgård-Lesungen zu hören, die nach dem Vortrag des Dichtes selbst jedoch wie allzu zartfühlende Cover-Versionen klangen, was ein gutes Stichwort ist, um zum Ende des Textes und zum Ende des Abends zu kommen: Die Band Multiplex Wohlfahrt, die sich vermutlich selbst im Programmheft als an „der Gelenkigkeit des kreativen Seins“ interessiert beschrieben hatte, spielte Knausgård-Soundtrack. Thomas Böhm schenkte dazu norwegisches Bier aus („ja, das trinkt man so warm“). Es war zu hören: David Bowies „Modern Love“ und „Burning Down the House“ von den Talking Heads, unkaputtbare Stücke, die man aber gefällig in die Leblosigkeit dudeln kann.

Gegangen bin ich, als Multiplex Wohlfahrt „Boys don’t cry“ von The Cure verarztete. Knausgård hat vielleicht mal zu diesem Lied geweint, das ließ sich an diesem Abend nicht herausfinden, in den Büchern steht es auch nicht; dafür steht da ein Text drin, der einen schnell vergessen lässt, dass er von einem einzelnen Mensch handelt, so hatte das Paul Berf auf der Bühne gesagt. Man werde zurückgeworfen auf sein eigenes Leben. Vielleicht funktioniert die Knausgård Lektüre ja so: Durch die Illusion, es gäbe ein Kunstwerk, das einem nur allein gehört, durch den Eindruck, das habe etwas mit einem selbst zu tun. Es ist gut zu sehen, dass dieses Gefühl Grenzen hat, und mit einem selbst an so einem Abend andere Fragen zu tun haben: In welche Bar noch, wie nach Hause. Im Taxi zurück war es vier und es lief im Radio ein Song, der zur Situation genau passte, wie immer der Song im Radio genau zur eigenen Situation passt. Ich war zu müde um aufzuschreiben, welcher es war und dachte, ich könnte es mir merken. Tatsächlich habe ich vergessen, was lief und warum ich glaubte, dass das irgendwie wichtig wäre.

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