• Mystische Dialektik. Maurice Blanchot im Merkur

    Wer in den 2000er Jahren ein geisteswissenschaftliches Studium mit Interesse an Theorie absolvierte, dem begegnete Maurice Blanchot höchstwahrscheinlich erst einmal als Nebenfigur. Er tauchte in Foucaults Schriften zur Literatur (dt. 1974) auf, bei Barthes oder Deleuze und schließlich bei Derrida, der ihm die Studien Gestade (1986, dt.1996) und Bleibe (1998, dt. 2003) widmete. Derridas Nachruf auf den Schriftsteller, Literaturkritiker und -theoretiker wurde zudem unter dem Titel Ein Zeuge von jeher (2003) in Übersetzung im Merve-Verlag veröffentlicht. Blanchot kam in jenen Jahren eher durch die Aufmerksamkeit der Theorie-Größen für seine Texte in den Blick als durch eigene Veröffentlichungen. Dass dies nicht immer so war und nicht so geblieben ist, lässt sich an den Nennungen des Namen Blanchot im Merkur ablesen. Blanchot war vor und nach dem „langen Sommer der Theorie“ (Felsch) präsenter als währenddessen. (mehr …)
  • Zeichenlust. Über Judith Schalanskys „Verzeichnis einiger Verluste“

    I Ein Verzeichnis aus Verzeichnissen: Ein Inhaltsverzeichnis, nicht so genannt. Eine Vorbemerkung, dessen erste Seite aus einer Liste von Dingen besteht, die verschwunden sind, während Verzeichnis einiger Verluste, das neue Buch von Judith Schalansky entstanden ist: der Marslander Schiaparelli, der Kopf der Leiche von Friedrich Wilhelm Murnau und die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte. Durch einen Seitenumbruch getrennt von einer weiteren Liste, die Dinge aufzählt, die während der Arbeit am Buch gefunden wurden, wiederaufgetaucht sind, entdeckt wurden: Zeichnungen Piranesis, die Wespenart Deuteragenia ossarium, der Grabhügel von Alexander des Großen Gefährten Hephaistion. Eine Vorbemerkung, die sagt: „Nichts kann im Schreiben zurückgeholt werden, aber alles erfahrbar werden.“ 12 Erzählungen, jede einer verlorenen Sache gewidmet, ein so bezeichnetes Personenverzeichnis ausschließlich toter Personen, ein so bezeichnetes Bild- und Quellenverzeichnis. (mehr …)
  • Was war Twitteratur?

    Twitter ist am Ende. So verkündete es kürzlich zumindest der New Yorker. Dazu war zuletzt immer wieder zu lesen, die Plattform wolle die ikonische 140-Zeichen-Begrenzung der Posts aufheben oder zumindest lockern. Es scheint also ein geeigneter Zeitpunkt zu sein, um danach zu fragen, was Twitteratur war. Dieser Begriff bezeichnet nämlich kein literarisches Genre, sondern situiert bestimmte literarische Texte im Diskurs über Gegenwartsliteratur. Bemerkenswert ist zunächst, dass sich der Begriff überhaupt herausgebildet hat. (mehr …)