• Sorgfaltspflichten. Wenn Frank Schirrmacher einen Bestseller schreibt

    Vorbemerkung der Redaktion: Der folgende Text wird in der Printfassung im Märzheft des Merkur erscheinen. Wir machen ihn hier vorab zugänglich - und vor allem auch kommentierbar.  *** In diesen Tagen ist Frank Schirrmachers neuer Bestseller erschienen. Ego. Das Spiel des Lebens heißt er, und wovon auch immer er handeln mag, er wird monatelang auf der Liste des Spiegel stehen, in allen Zeitungen mit ernster Gebärde rezensiert werden, eine wichtige und längst überfällige Debatte anfachen oder lostreten, und Alexander Kluge wird sich seinen Inhalt in einem Selbstgespräch mit dem Autor zu eigen machen. Von diesem Buch kann hier nicht weiter die Rede sein; trotzdem soll Ihre Kaufentscheidung massiv und nachhaltig beeinflusst werden. In Schirrmachers letztem Bestseller, Payback, ging es um den Computer und das Internet. Zwei Rezensenten fanden einen Fehler in der vierten Zeile der ersten Seite. »Tweeds« stand da, gemeint war aber »Tweets«. Wer eine Kurznachricht, die über den Internetdienst »Twitter« verbreitet wird, mit einem Anzugstoff verwechselt, gaben sie zu bedenken, werde den Nerds wenig zu sagen haben. Das ist wohl wahr. Wenn man trotzdem weiter liest, findet man sechs Zeilen später diese Worte: Würde ich morgen vom Internet oder Computer geschieden werden, wäre das nicht eine Trennung von dem Provider, sondern es wäre das Ende einer sozialen Beziehung, die (!) mich tief verstören würde. (13) So steht es im zweiten Absatz der ersten Seite der ersten Auflage, so steht es auch noch in der zweiten, in der dritten und in der vierten Auflage und im Taschenbuch. Und selbst als Schirrmacher in einem Tonstudio saß, um seinen Text für die Hörbuchausgabe vorzulesen, fiel ihm nichts auf. Ihm gegenüber saß ein Regisseur, dem auch nichts auffiel. Und so geht es immer weiter, über 240 Seiten bis zu den Anmerkungen und dem Personenregister. Ständig muss der Leser schlauer sein als der Text, wenn er ihn verstehen will. Hier muss ein Komma, dort ein Wort eingefügt oder gestrichen werden, hier muss man den Numerus, dort das Tempus oder den Modus eines Verbs korrigieren, bis man meint, man habe es nicht mit dem Kulturkopf der FAZ zu tun, sondern mit einem Praktikanten von Kicker online. Viele Sätze muss man zwei- oder dreimal lesen, bevor man den Fehler entdeckt und beheben kann. Dann erst stellt ein Sinn sich ein, von dem man aber nie mit Gewissheit annehmen darf, er treffe das, was der Autor sagen wollte. Das Internet fresse unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit, behauptet Schirrmacher. Bei der Lektüre seines Buches denkt man eher, es sei die Verkommenheit der hiesigen Verlagsbranche. (mehr …)