Blogroll: Sozialtheoristen

In ihrem Blog Sozialtheoristen, Untertitel: Die Sprengkraft soziologischer Beobachtung, kommentieren Stefan Schulz und, sehr viel seltener, andere Autoren die unterschiedlichsten Aspekte der Gegenwart der Gesellschaft aus systemtheoretisch-soziologischer Perspektive. Das Format ist nicht der Aufsatz, sondern die Skizze, wenngleich es natürlich immer wieder auch ins Grundsätzlichere geht. Mitbegründer Stefan Schulz (Website), derzeit Volontär bei der FAZ, hat unsere Fragen beantwortet. Er ist auch Autor des Merkur, im März 2012 haben wir seinen Essay Zwischen Netzwerk und Organisation. Zum Erfolg der Piratenpartei veröffentlicht.

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Sie haben die Sozialtheoristen 2008 als Kollektivprojekt aus (post?)studentischem Zusammenhang heraus gegründet. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie vor – sagen wir – dreißig Jahren bei vergleichbarer Interessenlage eine Zeitschrift gegründet hätten. War das auch eine Option (oder auch nur kurz ein Gedanke) – oder verstand sich das von selbst, dass Sie auf das Format Blog setzen?

Stefan Schulz: Als wir mit den Sozialtheoristen begannen, war für uns gerade überwiegend Halbzeit im Studium. Die initiale Idee war, Seminardiskussionen zu konservieren, zu testen, was sich mit Buchtheorien anstellen lässt und Soziologie auf den Alltag anzuwenden. Die Software WordPress und der „Bloggerzeitgeist“ von 2008 kamen uns entgegen. So strukturiert und planvoll, dass wir ein gedrucktes Magazin hätten bewerkstelligen können, sind wir allerdings nie gewesen. Wir folgten eher dem Lustprinzip, dem Naturzustand des Internets.

Was ist Ihre Erfahrung: Wie ernst nimmt Sie wer als Blogger? Erleben Sie überhaupt noch abfällige Reaktionen? Und wenn ja: Eher in der Wissenschaft oder im Tageszeitungsgeschäft? Oder neutraler bzw. etwas mediensoziologischer gefragt: Wer liest ein Blog wie die Sozialtheoristen? 

Was im Internet passiert, bleibt häufig im Internet. Das ist mir sehr recht. „Bloggen“ wird unangemessen mystifiziert. Hin und wieder werde ich auf die Sozialtheoristen angesprochen, dann jedoch ausschließlich positiv. Aber sowohl im privaten wie im beruflichen Umfeld spielt die Seite nur eine marginale Rolle, weil sie kaum jemand kennt. Über unsere Leser lässt sich nur wenig sagen. Es sind wenige, sie kommen überwiegend ohne Verweise von anderen Seiten zu uns und bleiben recht lang. Manchmal werden wir prominent verlinkt, dann haben wir das vorbeiströmende Laufpublikum da, das nur einen Text überfliegt und wieder entschwindet.

Die Theorieplattform, von der aus Sie denken, ist die (Bielefelder Version der) Systemtheorie, die verlässlich auf hohem Abstraktionsniveau und theorieorientiert operiert. Auf den ersten Blick sollte man meinen, dass solche Abstraktionslagen und das „schnelle“ Format Blogeintrag sich nicht gut vertragen. Sie beweisen eher, dass das nicht stimmt. Warum passt das dann doch?

Über dieses Lob freue ich mich. Doch auch unser Versuch, das alltägliche Erleben durch ein paar gelungene soziologische Sätze erklärenden Sinn zu geben, zeigt immer wieder, dass der große Brückenschlag eigentlich doch nicht gelingt. Aber wozu auch? Gerade die soziologische Systemtheorie, der oft anderes vorgeworfen wird, ist weniger eine orthodoxe „Theorieplattform“, als eine inspirierende Einladung zur „Assoziologie“. Was man per Blogeintrag „auf die Schnelle“ machen kann, ist, in der Behandlung von Themen einen Anfang zu finden. Weil die soziologische Systemtheorie von allen kategorischen Imperativen und sonstiger Wünscherei absieht und akzeptiert, dass es auch ohne sie einfach weitergeht, kann man sie für kleine Ausflüge in die Wirklichkeit besonders gut benutzen. Sie schleppt weder theoriehistorischen Ballast mit sich, noch ist sie auf renommierte Autorenschaft angewiesen – man kann sie stattdessen einfach anwenden. Das bedeutet aber auch: Wer bei uns mitliest, erfährt wenig über die soziologische Theorie, die bleibt in den Büchern.

Sie kommen von der Wissenschaft, bloggen seit Jahren und sind zunehmend auch publizistisch tätig, vor allem für die FAZ. Offenkundig – da Sie ja weiter bloggen – ist das eine aber nicht das funktionale Äquivalent des anderen. Wie unterscheiden sich nach Ihrer Erfahrung die Tempi und Töne, die Produktions- und die Rezeptionsweisen? (Also z.B. Zusammenarbeit in der Redaktion vs. einsames Schreiben in Wissenschaft und/oder Blog; langwierige Produktion in der Wissenschaft vs. Tagesgeschäft etc.) Wie hilft das eine dem anderen, sind Blogeinträge etwas wie Skizzen für im anderen Format zu schreibende, weiter zu entwickelnde Gedanken?

Für die F.A.Z. darf ich zu wissenschaftlichen Tagungen, Parteitagen und sonstigen Veranstaltungen fahren und von dort berichten oder einsam und langwierig im Büro einen Text schreiben. Das ist sozialtheoristischer Luxus. Der einzige Unterschied zur eigenen Webseite ist, dass die Zeitung ein Publikum hat, das ihr etwas bedeutet, das sie jedoch nicht kennt, weshalb die Redaktion als Ersatzpublikum fungiert. Für die Zeitung zu schreiben ist dabei nicht einfach. Irgendwo zwischen wissenschaftlicher Strenge, leichtfüßiger Verspieltheit und einem Mindestmaß an Unterhaltung muss sich jeder Text aufs Neue beweisen. Allen gehen größere und kleinere Geschichten in Form von Skizzen, Diskussionen, Leseerlebnissen voraus. Die Sozialtheoristen-Webseite bleibt ein Testfeld für eventuell einmal benötigte Argumente, Gedanken und Ideen, die es ohne weitere Gründe wert waren, ein wenig entfaltet zu werden.

Die Fragen stellte Ekkehard Knörer.