Grundeinkommen statt Urheberrecht? Freiheit und soziale Absicherung im digitalen Zeitalter

Hinweis: Ilja Braun diskutiert am 26.3. im Wikimedia-Salon mit Adrienne Goehler, Olaf Zimmermann und Michael Bohmeyer zum Thema „G=Grundeinkommen. Eine Antwort auf die digitale Krise des Urheberrechts?“ Zum Thema seines Beitrags ist im Februar außerdem sein Buch Grundeinkommen statt Urheberrecht? Zum kreativen Schaffen in der digitalen Welt erschienen.

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Was wird jetzt eigentlich aus dem Urheberrecht? Die Debatte um seine Zukunft im Digitalzeitalter lebt derzeit wieder auf, weil sich auf europäischer Ebene einiges tut. Anfang des Jahres hat Julia Reda, die deutsche Abgeordnete der Piraten in Brüssel, ihren Bericht zum urheberrechtlichen Reformbedarf in der EU-Gesetzgebung vorgelegt. Ihr Credo: Eine angemessene Vergütung kreativer Leistung und mehr Freiheiten für Nutzerinnen und Nutzer müssen sich nicht ausschließen.

Doch damit wird Reda nicht widerstandslos durchkommen. Es überrascht wenig, dass es inzwischen einen Gegenentwurf gibt, nämlich einen Initiativbericht aus der Feder des tschechischen Christdemokraten Pavel Svoboda: “Towards a renewed consensus on the enforcement of Intellectual Property Rights: An EU Action Plan”. Nicht nur der Titel lehnt sich an die Arbeit der letzten EU-Kommission an, die 2014 ihren „Aktionsplan für einen neuen Konsens über die Durchsetzung von Immaterialgüterrechten“ vorgelegt hatte.

Das ist kein Zufall. Seit Jahren dreht sich die fruchtlose Diskussion um das Urheberrecht in der digitalen Welt um Rechtsdurchsetzung und Strafmaßnahmen statt darum, wie dafür gesorgt werden kann, dass Künstlerinnen und Künstler für ihre Arbeit eine angemessene Vergütung erhalten. Wie wäre es, wenn man versuchen würde, die Diskussion um das Urheberrecht im Digitalzeitalter mit jener über das bedingungslose Grundeinkommen zu verbinden?

Ein solcher Vorschlag provoziert natürlich auf Anhieb Abwehrreaktionen, gerade unter Urhebern. Obwohl offensichtlich ist, dass das Urheberrecht seit seiner Entstehung im Kontext der Aufklärung zwar die Freiheit von feudalistischer Bevormundung gewährleistet hat, nicht jedoch die soziale Absicherung der Kreativen. Seit es die Schriftstellerei als Beruf gibt, gibt es auch die Not, sich auf dem Markt verdingen und Käufer für die eigenen Werke finden zu müssen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die soziale Prekarisierung war von Anfang an die Kehrseite der neu gewonnenen Freiheit.

Den meisten Künstlerinnen und Künstlern ist diese Zweischneidigkeit des Urheberrechts allerdings kaum bewusst. Im Gegenteil haben sie oft eine bruchfrei positiv konnotierte Vorstellung von dem rechtlichen Instrument. Während es eigentlich dazu dient, geistige Schöpfungen, die sich von Natur aus nicht dazu eignen, in Waren zu verwandeln, die auf einem Markt wie andere Waren gehandelt werden können, scheint vielen Kreativen das Urheberrecht im Gegenteil geradezu ein Bollwerk gegen die Mächte des freien Marktes zu sein. Sie betrachten es als einen Schutz vor der Zumutung, ihre Werke gegen ein zu geringes Entgelt aus der Hand geben zu müssen.

Man könnte sagten: Urheberinnen und Urheber stecken bei der Verteidigung des Urheberrechts gegen die Zumutungen des Digitalkapitalismus in einer Zwickmühle. Sie können nicht zugleich für das Urheberrecht und gegen den Markt sein. Sie können nicht auf ihr geistiges Eigentum pochen und die größtmögliche Freiheit in Anspruch nehmen, darüber souverän zu verfügen, zugleich aber erwarten, dass man ihnen dafür mehr als einen marktüblichen Preis zahlt. Die persönliche Freiheit und Autonomie ist mit dem sozialen Risiko untrennbar verbunden.

In ihrem Standardwerk über den „neuen Geist des Kapitalismus“ unterscheiden Luc Boltanski und Ève Chiapello zwei Traditionen der Kapitalismuskritik: die Künstlerkritik und die Sozialkritik. Während die Sozialkritik traditionell die ungerechte Reichtumsverteilung, die Ausbeutung und die mangelnde soziale Absicherung in den Blick nimmt, richtet die Künstlerkritik sich auf den Mangel an Autonomie, Selbstbestimmung und Freiheit in einer als starr und zweckrational empfundenen Arbeitsgesellschaft. Auf beide Spielarten der Kritik hat der Kapitalismus jedoch reagiert, in aufeinander folgenden Entwicklungsphasen. Die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts waren Jahre des sozialen Fortschritts. Die 80er und 90er waren Jahrzehnte der Deregulierung. Die Forderungen nach mehr Freiheit, Autonomie und Selbstverwirklichung in der Arbeit, also die Künstlerideale, wurden in diesen beiden Jahrzehnten erfolgreich in die Wertschöpfungsprozesse integriert. Der Abschied vom fordistischen Industriekapitalismus und der Übergang zu einer Gesellschaft, in der Arbeit ein Selbstverwirklichungsprojekt im Dienst der Kapitalakkumulation „innovativer“ Unternehmen ist, ging allerdings zu Lasten der sozialen Absicherung.

Boltanski und Chiapello haben also gezeigt, wie der Kapitalismus das Bedürfnis nach persönlicher Freiheit und Autonomie und das nach existenzieller Absicherung stets gegeneinander auszuspielen wusste. Das Urheberrecht schlägt sich mit genau demselben Konflikt herum. Es scheint fast, als wäre im Urheberrecht jener Konflikt präkonfiguriert, der in den 90er Jahren als gesamtgesellschaftlicher kenntlich wurde.

2006, im selben Jahr wie Der neue Geist des Kapitalismus, veröffentlichten Sascha Lobo und Holm Friebe ihr Buch Wir nennen es Arbeit, eine Hymne auf die persönliche Freiheit jenseits der Festanstellung. Nicht zufällig taucht darin das Schlagwort von der „digitalen Bohème“ auf, angelehnt an die Künstlerbohème des 19. Jahrhunderts. Die Autoren stellen heraus, dass die Arbeit in der Digitalökonomie Lebensformen hervorbringt, die ebenso prekär, aber auch ebenso frei sind, wie es zuvor nur die Existenzformen der Künstler waren.

Was Marx „general intellect“ nannte, allgemeine menschliche Intelligenz und Kreativität, hat sich in der digitalen Ökonomie zum wesentlichen Wertschöpfungsfaktor entwickelt. Diese Art von Kreativität ist heute das, was früher einmal Arbeit war. Freilich sind die Produkte solcher allgemeinen Intelligenz keine „Werke“ im urheberrechtlichen Sinne, genießen also nicht den Schutz des Urheberrechts, der eine gewisse Schöpfungshöhe voraussetzt. Doch die Parallelen sind verblüffend. Heutzutage arbeiten immer mehr Menschen so, wie früher nur Künstler gearbeitet haben. So legt es auch Andreas Reckwitz in seinem Buch über die Erfindung der Kreativität dar. Was in den 80er Jahren mit Werbeagenturen begonnen hat, ist mittlerweile für alle erfolgreichen Unternehmen zum Standard geworden. Sie müssen nicht nur ihre Produkte, sondern auch ihre eigene Organisationsstruktur ständig neu erfinden und an die aktuellen Marktentwicklungen anpassen.

Damit ist der Übergang von einer Güterwirtschaft zu einer Immaterialgüterökonomie markiert. Künstlerische, kreative Arbeit ist der Prototyp für alle Arbeit im Post-Industriezeitalter geworden. Kreative Problemlösungskompetenz ist eine Basisqualifikation, ohne die man heutzutage nicht mal mehr einen Ausbildungsplatz bei der Sparkasse bekommt. Allerdings ist Kreativität dabei gerade nicht mehr, was künstlerische Kreativität einmal auszeichnete, nämlich zweckfreie, selbstbestimmte. Sie ist im Gegenteil ganz deutlich auf eine ökonomische Zielsetzung hin ausgerichtet.

Die Frage nach Selbstbestimmung und Autonomie einerseits, nach sozialer Absicherung andererseits, die sich früher nur Künstlern stellte, stellt sich damit zunehmend allen, die in der Immaterialgüterökonomie nach einer sinnvollen Tätigkeit suchen, die ihnen zugleich ein Auskommen ermöglicht. Von hier aus lässt sich an die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen anknüpfen.

Diese scheint in der letzten Zeit über linke Kreise hinaus an Popularität gewonnen zu haben. Nicht zuletzt, weil die Versprechen einer größeren Freiheit als Teil der „digitalen Bohème“ sich allzu oft nicht erfüllt haben. Die Crowd- und Clickworker, die sich etwa bei Amazons Mechanical-Turk-Service ihr Monatseinkommen zusammenkratzen, indem sie Fotos taggen, Mailadressen recherchieren, Visitenkarten abtippen, jeweils für ein oder zwei Cent pro „Aufgabe“, haben mit einer künstlerischen Bohème nur noch wenig Ähnlichkeit. Sie sind eher ein digitales Lumpenproletariat. Der erhoffte Zugewinn an persönlicher Freiheit und Autonomie ist im Rahmen solcher Arbeitsverhältnisse in sein Gegenteil umgeschlagen. Die miserable Vergütung in Kombination mit dem völligen Wegbruch jeglicher arbeitsrechtlicher Absicherung führt vielmehr zu einer intensivierten Form von Arbeitsausbeutung, gegen die sich die Zwänge, die mit einem festen Arbeitsverhältnis einhergehen, harmlos ausnehmen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte hier für jene Freiheit sorgen, die allein in der Lage ist, solcher Ausbeutung zu begegnen: die Freiheit, Nein zu sagen. Denn es zielt darauf ab, die Autonomie des Einzelnen abzusichern, indem es ihn aus der Abhängigkeit von fremdbestimmter und unfreiwilliger Arbeit befreit. Insofern verbindet es gewissermaßen die Traditionen der Sozialkritik und der Künstlerkritik. Das ist keine geringe Leistung, zieht man in Betracht, dass die Strategie des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten darin bestanden hat, Freiheit nur um den Preis der Prekarisierung, Absicherung nur um den Preis der Freiheit zuzulassen.

Das Urheberrecht als eine Art Arbeitsrecht der Kreativen tut das Gegenteil: Es verspricht dem Kreativen eine Freiheit, die er mit der Gefahr der Prekarisierung bezahlt. Es durchbricht also die unselige Verbindung von Autonomie und Ökonomie nicht, sondern verstärkt sie. Wohingegen ein bedingungslos ausgezahltes Grundeinkommen freie, selbstbestimmte Existenzformen unabhängig davon ermöglichen könnte, ob sie sich auf einem Markt rentieren. Es würde sich gegen eine Entwicklung stellen, die darauf hinausläuft, jegliches freie Tun einer ökonomischen Zweckbindung zu unterwerfen. Es würde also das Versprechen einlösen, das mit der Auflösung der fordistischen Industriearbeit verbunden war, als man diese Auflösung noch für emanzipatorisch hielt.

Insofern ist es erstaunlich, warum gerade Kreativschaffende der Grundeinkommensdiskussion zumeist kritisch, wenn nicht feindselig gegenüberstehen. Vielleicht steckt dahinter die Furcht, dass man ihnen eine Art Künstler-Sozialhilfe vor die Füße werfen will, um ihnen zugleich alle Rechte an den Produkten ihres Schaffens zu nehmen.

Das ist verständlich, aber auch kurzsichtig. Die Verallgemeinerung der Kreativität im Digitalzeitalter wird sich auf Dauer nicht ignorieren lassen. Die Frage nach einer angemessenen Vergütung nicht nur künstlerischen Schaffens, sondern jeglicher kreativer Arbeit in der Digitalökonomie folgt ihr auf dem Fuße.

Ilja Braun hat im Merkur 10/2014 über Investitionsschutz und Menschenrechte geschrieben.