Nur unter einer Bedingung: Das bedingungslose Grundeinkommen

Wer Daniel Häni kennt, weiß, dass er in den besten Momenten von der Idee erstrahlt, die ihn seit Jahren umtreibt: Das bedingungslose Grundeinkommen verkörpert für den Unternehmer aus Basel die Vision einer modernen Volkswirtschaft, in der technologische Entwicklung, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prosperität mit der freien Entfaltung aller Einzelnen versöhnt sind. Was sich für manche nach einer Neuauflage alter sozialistischer Forderungen nach mehr Teilhabe mit dem Schreckgespenst staatlich verordneter Umverteilung anhören muss, versteht sich selbst allerdings als ein Konzept wirtschaftlicher Förderung: Die Schweiz soll sich mit Hilfe des BGE als unabhängiger, moderner Standort im 21. Jahrhundert behaupten. Ein BGE, für dessen Realisierung sich zahlreiche Befürworterinnen weiterhin einsetzen, wird zu mehr Innovation, Vielfalt und individueller Motivation und Leistung beitragen, so haben es zumindest die Schweizer Initiantinnen versprochen. Trotz dieser hervorragenden Prognosen hat das Konzept aber bei der Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung wenig Anklang gefunden; mit einer Ablehnung von 76,9 Prozent wurde die Initiative sogar regelrecht abgeschmettert. Woran liegt das?

Zuerst ist da der Verdacht realitätsfremder Utopie. Dieses Verdachts haben sich die Initiantinnen aber schon früh entledigen können, indem sie den Spieß geschickt umgedreht haben: Utopisch ist, wer davon ausgeht, dass der heutige Arbeitsmarkt noch lange bestehen kann, so wie er ist. Das Zeitalter der Digitalisierung verändert unsere Situation gerade grundlegend: Einerseits werden mehr und mehr Arbeitsprozesse von Maschinen übernommen, so dass zahlreiche Arbeitsplätze verschwinden werden. Anderseits versetzen digitale Technologien immer mehr Menschen in die Lage, flexibler und mobiler mit anderen zu kommunizieren, Ideen und Produkte zu entwickeln. Dazu brauchen sie allerdings ein Startkapital, das über die knapper werdende Erwerbsarbeit zu verdienen immer schwieriger wird.

Was wie eine Werbebroschüre von Google für eine globale Elite von Programmierinnen und Softwareentwicklerinnen klingt, darf dabei nicht missverstanden werden: Den Initiantinnen geht es um eine bodenständige und für viele Arbeitnehmerinnen sicherlich plausible Überlegung: Jeder Mensch hat seine Talente, Fähigkeiten und Ideen. Inwieweit er diese aber in die Gesellschaft einbringen und für sich nutzen kann, ist davon abhängig, welche Jobs im Arbeitsmarkt gerade verfügbar und nachgefragt sind. Das soll sich mit dem Grundeinkommen ändern, insofern es jedem die Freiheit gibt, selbst über seine Tätigkeit zu entscheiden. Die neuen Technologien reduzieren so den Arbeitsaufwand für Menschen, das Grundeinkommen soll sie in die Lage versetzen, ihre Fähigkeiten und Talente unabhängig vom Arbeitsmarkt bestmöglich einzusetzen. Was überzeugt die Mehrheit der Bevölkerung an dieser in sich stichhaltigen Argumentation nicht?

Vor allem zwei Argumente wurden vorgebracht: das Problem der Finanzierbarkeit sowie das Problem der Faulheit. Das Problem der Finanzierbarkeit eines BGE ist eine drängende Frage. Allerdings hatten die Initiantinnen die Initiative absichtlich so verfasst, dass für die Finanzierung noch allerlei politischer Spielraum bestanden hätte. Zudem haben sie mögliche Finanzierungsmodelle vorgeschlagen. Am stärksten dürfte aber das Argument wiegen, dass das Grundeinkommen letztlich zu mehr wirtschaftlicher Produktivität beiträgt – wäre das so, dann wäre die Finanzierungsfrage obsolet: Wenn eine Investition Mehreinnahmen verspricht, fragt schließlich keine Investorin mehr, wie sie zu finanzieren sei, sondern kümmert sich darum, dass sie finanziert wird. Schließlich wird sie das Geld und mehr wieder zurückbekommen. Nehmen wir also an, ein BGE trage zu mehr wirtschaftlicher Kraft und gesellschaftlicher Prosperität bei.

Bleibt das Problem der Faulheit. Sowohl Gegnerinnen wie Befürworterinnen eines BGE teilen offenbar eine wesentliche Prämisse. Sie gehen beide davon aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegenwärtig nur zur Arbeit geht, weil sie entweder durch Geld motiviert oder gezwungen wird. Beide nehmen stillschweigend an, dass ein bedingungsloses Einkommen eine bedingungslose Freiheit impliziert, das zu tun, was man eigentlich tun möchte. Wenn jemand bedingungslos entscheiden kann, dann wird er, so die Annahme der Gegnerinnen, nur auf seine eigenen Bedürfnisse hören und sich auf die faule Haut legen. Gerade das Gegenteil sei der Fall, insistieren dagegen die Befürworterinnen: Wer sich frei nach seinen Talenten und Fähigkeiten entfalten kann, wird umso motivierter sein in dem, was er tagtäglich tut.

Gegnerinnen wie Befürworterinnen verkennen, dass für eine große Mehrheit der Bevölkerung ein wesentlicher Sinn ihres Lebens in ihrer Erwerbsarbeit besteht, ohne dass man sie zwingen muss, darin einen Sinn zu sehen.  Es kann bereichernd sein, seinen ganz individuellen Talenten und Ideen nachzugehen. Nicht weniger erfüllend kann es aber auch sein, einfach nur einen Job zu machen, weil man ihn nun mal bekommen hat. Es ist nichts Schlechtes daran zu finden, wenn jemand sagt: Ich weiß gar nicht, was ich machen würde, wenn ich meinen Job nicht hätte. Ich bin zufrieden, einer Arbeit nachzugehen, und dann Feierabend zu haben.

Die anhaltende Diskussion ums BGE geht  implizit von einem Freiheitsbegriff aus, der Einzelne von ihrem sozialen Hintergrund isoliert. Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens wird nahtlos auf die Bedingungslosigkeit freier und alleiniger Wahl übertragen. Damit wird vernachlässigt, dass wir unsere Wahl stets vor dem Hintergrund gemeinsamer Werte treffen, mit denen wir aufgewachsen sind, die uns in der Schule, von Familie, Freunden und Gesellschaft vermittelt wurden. escortannonce.net. Mehr noch: Die gemeinsamen Werte machen einen maßgeblichen Anteil unserer Identität aus. Aus diesem Grund findet die Mehrheit der Bevölkerung nichts Gutes darin, bei Einführung eines BGE sofort den Job zu kündigen, seinen eigenen Talenten nachzugehen oder nur zu faulenzen. Umfragen haben gezeigt, dass eine schlagende Mehrheit auch bei Einführung eines BGE gern an ihren Tätigkeiten festhalten würde. Wo ein Wert befolgt werden muss, stellt er nur einen Zwang dar. Werte dagegen werden selbstbewusst vertreten. Dass viele Menschen auch bei der Einführung eines BGE ihrer Arbeit nachgehen wollen, zeigt, dass sie dies aus Überzeugung tun. Das entspricht dem Selbstverständnis eines Landes, das seine Kraft stets aus der freien Selbstbestimmung seiner Bürgerinnen geschöpft haben will und die es schon dem Tell-Mythos nach auch gegen alle möglichen Formen von Fremdbestimmungen durchzusetzen trachtet.

Die Übertragung des Tell’schen Gedankens auf wirtschaftliche Fragen ist dabei so alt wie die Auseinandersetzung mit den Strukturen der Volkswirtschaft. Letztlich geht er auf Marx’Analysen zurück: Kapitalismus heißt, dass mit Gütern frei gehandelt werden kann, damit neue Güter produziert und in gesellschaftlichen Austausch gebracht werden können. Daran ist nichts auszusetzen. Jeder kann seine Zeit und sein Geld investieren, wie er will. Genau diese grundsätzliche Bedingung wird im Arbeitsmarkt aber konterkariert: Unsere Arbeitskraft ist kein Material wie Boden oder Ressourcen. Sie ist maßgeblich unsere Lebenszeit. Wenn wir diese Lebenszeit mit einer Arbeit nutzen, dann investieren wir unser Grundkapital, unsere Kraft, Lebenszeit in Arbeit umzuwandeln. Wenn wir diese Kraft im Sinne eines Jobs mit Arbeitsvertrag verkaufen, so bekommt ein anderer das Recht, über unsere Zeit zu bestimmen und die Inhalte zu definieren, denen wir in der Arbeit nachgehen. Es entsteht ein unwirtschaftlicher Zustand: Jemand anderes entscheidet darüber, wie wir unsere Arbeitskraft investieren. Wer aber nicht über seine Investition verfügen kann, der hat kein großes Interesse an Produktivität. Dahinter steckt die älteste Milchbubenrechnung, die der Liberalismus kennt: Jeder, der eigenes Kapital investiert, ist daran interessiert, dass dieses sich vermehrt und darum motiviert. Konzepte wie das BGE schlagen deshalb vor, den Einzelnen die Möglichkeit einzuräumen, über die Investition ihrer Arbeitskraft selbst zu entscheiden.

Wenn der Grundbedarf für das eigene Leben ohne jede Bedingung gesichert ist, kann jeder einzelne seine Arbeitskraft investieren, so dass er an der Produktivität seiner Tätigkeit interessiert ist. Das kann bedeuten, dass mehr Leute den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Was das Silicon Valley wenigen vorbehält, könnte in der Schweiz Realität werden, eine Gesellschaft von Ich-Startups, in der der Mut zum Risiko nicht länger der Angst des Scheiterns unterliegen muss. Natürlich wäre es genauso gut möglich, dass sich jemand dafür entscheidet, seine Arbeitskraft nicht in einen bestehenden Job oder die Selbständigkeit zu investieren. Vielleicht möchte er als Hausmann arbeiten, findet in der Pflege seines kranken Vaters mehr Erfüllung oder möchte endlich den Traum einer Weltreise verwirklichen, abgefahrene Musik machen, eine andere utopische Idee verfolgen, nochmal studieren. Oder einfach nur faulenzen. Ja, ein bedingungsloses Grundeinkommen bietet die Möglichkeit dafür, dass Einzelne einfach nichts tun. Die Mehrheit aber würde weiterhin das tun, was sie auch bisher getan hat, nämlich einer Erwerbsarbeit nachgehen. Mit einem Unterschied freilich: Sie stünden nun nicht mehr im Pauschalverdacht, Faulenzer oder egoistische Selbstverwirklicher zu sein. Sie würden zeigen, dass sie aus Überzeugung handeln. Hier könnte also die eigentliche Stärke des BGE-Konzepts liegen: Statt zu bedingungsloser Freiheit zu führen, erwiese es sich als Tool für eine demokratische und selbstbewusste Gestaltung gemeinsamer Bedingungen.

Dieses Argument wurde leider verkürzt in einer Debatte, die einseitig die Bedingungslosigkeit betont. Die kreativen Aktionen der Initiantinnen – der Guinnessbuch-Rekord mit der größten Frage der Welt („Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?“) oder die Verteilung von echten Zehn-Frankenscheinen als Werbeflyer am Zürcher Hauptbahnhof – dürften dazu das ihrige beigetragen haben. Sie haben einerseits auf sehr originelle Weise viel Aufmerksamkeit für die Idee kreiert, dabei aber verpasst, den Aspekt bedingungsloser, kreativer Freiheit inhaltlich mit den Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbinden. Die Diskussion hat so verschleiert, dass die Auszahlung eines Grundeinkommens letztlich selbst an eine basale Bedingung geknüpft ist: Als Bürgerin und Bürger Verantwortung für bestehende Werte und ihre gemeinsame Gestaltung zu übernehmen.

Ob das nun abgeschmetterte Konzept des BGE die beste Lösung für die sich abzeichnenden Veränderungen der Gesellschaften des 21. Jahrhunderts dargestellt hätte, ist selbstverständlich eine offene Frage. Wir sollten uns aber nicht selbst diskreditieren, indem wir eine Bedingungslosigkeit des Einkommens dem Verdacht eines blinden Egoismus aussetzen. Vielmehr sollten wir gerade Vertrauen darin haben, dass Einzelne stets vor dem Hintergrund des Gemeinsamen agieren. Die BGE-Initiative war so gesehen ein wichtiger Anlass, diese Grundbedingung der Demokratie ernst zu nehmen und sich offen zu fragen, wie wir eine Schweiz im 21. Jahrhundert gestalten wollen. Dazu braucht es Kreativität und die Konfrontation mit Alternativen. Beides ist aber nicht selbstverständlich, sondern muss aktiv gefördert werden. Nicht zuletzt daran erinnert das BGE.