Ein Blick in die Zukunft, oder: Citizenship is a Right

Wir veröffentlichen den Text in einer Parallelaktion gleichzeitig mit dem Blog Nazis & Goldmund

Manchmal kapituliere ich, und schlage – wider besseren Vorsatz, nichts sehen und nichts hören zu wollen – Zeit Online auf und lese, zum Beispiel, die neue Kolumne von Mely Kiyak. Thema: Die geplante Schaffung einer Rechtsgrundlage zur Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger, die über eine weitere Staatsangehörigkeit verfügen und sich, darüber hinaus, in Zukunft Daesh im Kampfe anschließen. Da schaue ich erst einmal ins Portemonnaie: Ist mein Pass noch da?

Zärtlich streichle ich das holographisch schimmernde Plastik, wische meinem Teenage-Baby-Gesicht das Haar aus der Stirn. Wende mich ab. Lese, scrolle, lese. In meinem politischen Inneren manifestiert sich, schleichend, ein Problem. Es wird zum Verständnis des weiteren Textes notwendig sein, zuerst Kiyaks Kolumne zu lesen.

Meine erste Reaktion: Zustimmung. Ja, die geplante Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger und die damit einhergehende Trennung zwischen Herkunfts- und Passdeutschen weckt tiefen Unmut in mir. Ja, diese von Kiyak völlig zurecht als Nazibegriffe bezeichneten Worte müssen hier geradezu verwendet werden, weil nur sie die zugrundeliegenden, rassistischen Prämissen der Sicherheitsbehörden sichtbar machen. Hallihallo, da ist sie wieder, die Sache mit der Reproduktion der Verhältnisse in ihrer Kritik! Ja, diese vorgeschlagenen Ausbürgerungen deutscher Krimineller und Kriegsverbrecher, die schlicht der deutschen Gerichtsbarkeit zugeführt werden könnten, wecken in mir nicht nur den besagten, tiefen Unmut, sondern auch das Gefühl persönlicher Bedrohung – so funktioniert das nun mal mit den historischen Kontinuitäten und dem Mitgemeint-sein –, und das, obwohl ich weder Kriminelle noch Kriegsverbrecherin, ja, noch nicht einmal im Besitz einer zweiten Staatsbürgerschaft bin.

Obwohl ich also in in vielerlei Hinsicht zustimme, sitzt mein Hass auf Daesh noch tiefer. Hass hat als politische Kategorie zwar ganz zu Recht ein schlechtes Standing, trotzdem beschreibt das Wort den absolut haramen, dafür gefühlsmäßig umso notwendigeren Cocktail aus objektivierbarer, rationaler Ablehnung und blankem Horror, an dem nippend ich dieser faschistischen Truppe[1. Auch interessant, weil es auf dieser Seite ja nicht nur um Rechtsradikale, sondern auch um die schöne Kunst geht: Thorsten Botz-Bornstein, The „futurist“ aesthetics of ISIS. In: Journal of Aesthetics & Culture, Nr. 9 (1), 2017 (erreichbar unter: https://doi.org/10.1080/20004214.2017.1271528).] begegne, nun mal sehr genau. Die guten, alten Feelings haben sich also wieder einmal in mein analytisches Bewusstsein eingeschlichen und lassen mich ratlos zurück. Worum geht es überhaupt bei dieser geplanten Gesetzesänderung?

Das deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz sieht bereits seit 1999 die Ausbürgerung all jener doppelten  Staatsangehörigen vor, die „in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates“ eintreten. Zwischenstaatliche Verträge regeln entsprechende Ausnahmen, die beispielsweise für EU-Staaten oder die USA gelten, sodass ein deutsch-italienischer Bürger bei Karriere im italienischen Militär seine deutsche Staatsbürgerschaft nicht verlöre. Immerhin kann nicht nur die Staatsbürgerschaft selbst als ein pledge of allegiance zwischen Bürger und Staat verstanden werden, sondern auch die EU-Staaten – und, im weitesten Sinne, die NATO-Staaten – haben bereits im Zuge ihrer Mitgliedschaft in der Union – respektive dem Pakt – einen solchen untereinander geschlossen. Daraus folgt, dass ein Krieg zwischen diesen Staaten und damit ein Konflikt der allegiances für die nämlichen Doppelstaatler als nahezu unmöglich betrachtet wird.

Ein Nur-Deutscher – ob geboren oder eingebürgert – wird aber, so scheint das Gesetz es zumindest zu wollen, so oder so nie mit Ausbürgerung bedroht sein, neben der deutschen Gesetzeslage nicht zuletzt auch aufgrund des UN-Übereinkommens zur Verringerung der Staatenlosigkeit, das seinen Unterzeichnerinnen prinzipiell verbietet, jemanden staatenlos zu machen. Und doch gibt es sie, die Staatenlosen, und die Schlupflöcher auch – am relevantesten, weil am unpräzisesten, Artikel 8, Absatz 3 (a) (ii) der Konvention:

Notwithstanding the provisions of paragraph 1 of this Article, a Contracting State may retain the right to deprive a person of his nationality, if at the time of signature, ratification or accession it specifies its retention of such right on one or more of the following grounds, being grounds existing in its national law at that time:

(a) that, inconsistently with his duty of loyalty to the Contracting State, the person

(ii) has conducted himself in a manner seriously prejudicial to the vital interests of the State.

– was natürlich alles Mögliche heißen kann, und vielleicht auch soll.

Im Grundgesetz wiederum heißt es nicht nur: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“, sondern auch: „Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“
Es müsste also zur Durchsetzung der Ausbürgerung von Doppelstaatlern, die sich Daesh anschließen, nicht gleich die ganze Verfassung geändert werden[2. Wollte man hingegen einfache Staatsangehörige, also Nur-Deutsche, ausbürgern, müsste man in der Tat die Verfassung ändern. Es ist allerdings gerade die Uneindeutigkeit dessen, wen man mit „nur-x“ meint, von der dieser Text im Folgenden handelt.] – wie Kiyak schreibt – sondern bestenfalls das Staatsangehörigkeitsgesetz ergänzt werden, und zwar um den Eintritt nicht bloß in Armeen von Staaten, sondern auch von Terrormilizen wie dem wishful-thinking-mäßig als Staat auftretenden Daesh als ausbürgerungswürdigem Delikt.[3. In einem Artikel auf Zeit Online weist Yassin Musharbash auf einige Uneindeutigkeiten im Kontext der Gesetzesergänzung hin: Was genau ist eine Terrormilz? Was geschieht, wenn das zweite Land eines Doppelstaatlers ihn ebenfalls ausbürgert? Was bedeutet es für die öffentliche Sicherheit Deutschlands, wenn ihn dieses zweite Land zwar nicht ausbürgert, sich aber auch nicht adäquat um das Problem, das er darstellt, kümmert? Fragen über Fragen.] Selbstverständlich degradiert das zugrunde liegende Denkprinzip doppelte Staatsbürgerinnen – wie Kiyak impliziert – zu Staatsbürgerinnen zweiter Klasse. Bloß waren die meisten von ihnen das in der BRD immer schon.

Die doppelte Staatsangehörigkeit in Deutschland – so wie sie seit der Gesetzesnovelle von 2014 existiert – ist eine, die ans Beweisen und Belegen geknüpft ist. Zumindest, wenn man eine eingebürgerte Staatsbürgerin ist, oder eine geborene Staatsbürgerin mit ihrerseits eingebürgerten Eltern, oder gar eine nach 2000 geborene Staatsbürgerin mit Ausländer-gebliebenen Eltern.  Da gilt es beispielsweise das Aufwachsen in Deutschland per Schulabschluss oder -besuch nachzuweisen. Ein Detail? Vielleicht. Allerdings auch ein Vorgang, dem man sich als einfache Staatsbürgerin, ganz gleich, wie man zu dieser Staatsbürgerschaft gekommen ist, nicht unterwerfen muss. Es handelt sich hier um eine Staatsbürgerschaft unter Verdacht. Ausgenommen von dieser Einschränkung sind zum einen schweizerische und EU-Staatsbürgerinnen und zum anderen Doppelstaatlerinnen, die ihre deutsche Staatsbürgerschaft nach dem Abstammungsprinzip, dem Blutrecht also, erworben haben.[4. Zu diesem letzten Personenkreis zählt ausgerechnet Justizministerin Katarina Barley, deren zweite, britische Staatsbürgerschaft nach dem Brexit zwar keine europäische mehr sein wird, die aber eben ihres deutschen Blutes wegen nie der Ausländerbehörde ihr Gymnasialabgangszeugnis vorzulegen hatte.]

Dass trotzdem Menschen in meinem Alter, in der zweiten, dritten, vierten Generation, an den Staatsbürgerschaften ihrer Vorfahren festhalten, sagt für mein Empfinden vor allen Dingen etwas über die Haltung aus, mit der dieses Land seinen Bürgerinnen mit sogenanntem Migrationshintergrund im Lauf der Jahrzehnte begegnet ist.

Ich frage mich: Hat die vorgeschlagene Gesetzesänderung nicht vielleicht doch einen gerechtfertigten Kern? Verwirkt man sein Recht auf eine Staatsangehörigkeit nicht, wenn man sich den existentiellen Gegnern des Staates und seiner Bewohnerinnen anschließt? Muss denn wirklich jede radikale Veränderung eines Gesetzestextes weiteren Änderungen – rassistischen oder noch rassistischeren, wer bin ich, das zu entscheiden – Tür und Tor öffnen? Muss man denn auf jedem slippery slope gleich ausrutschen?

 

 

Es gibt ihn ja schließlich tatsächlich, den Gegner. Ja, greifen wir ruhig, wo wir schon einmal beim Nazivokabular sind, in die Schmittsche Trickkiste: Es gibt ihn, den tatsächlichen, politischen Feind, der sich unserer – jawoll, imaginieren wir an dieser Stelle noch gleich ein WIR dazu – Auslöschung verschrieben hat. Das Konzept der Ausbürgerung hat seit seiner sukzessiven, modernen Einführung in verschiedenen europäischen Staaten nach dem ersten Weltkrieg – 1915 in Frankreich, 1922 in Belgien, 1926 in Italien, 1933 in Österreich, und schließlich mit den Nürnberger Rassengesetzen 1935 in Deutschland – ohnehin stets dem politischen Feind gegolten, und gilt ihm noch heute.

Gefühlt – und nur die Feelings zählen da, wo sich die müden Glieder des Volkskörpers regen, und sei es des verfassungsmäßig postulierten, bluttechnisch durchmischten Staatsvolks – gefühlt ist der Feind lange schon im Anmarsch: Die Faschisten sitzen auf beiden, auf allen Seiten der Grenzen. Ihre Kleider, ihre Frisuren unterscheiden sich, sie greifen nicht zu den gleichen Waffen – und sind trotzdem da und ähneln sich trotzdem, und bedrohen uns alle: die Liebhaberinnen des demokratischen Liberalismus mit seiner guten alten Gewaltenteilung, die Fans des Rechtsstaats, die Frauen und Queers und Minderheiten, die politischen Aktivistinnen und die von anderswo aus gutem Grund Geflohenen, die progressiven Ärztinnen und Erzieher, Arbeiterinnen und Juristen, undsoweiter.

Lasse ich mich hier etwa blenden, von dem ja bereits oben als problematisch ausgewiesenen Hass als politischer Kategorie? Oder ist es nicht möglicherweise Kiyak, die übertreibt, wenn sie schließt, am Ende einer von dieser diskutierten Gesetzesänderung unweigerlich ausgelösten Kettenreaktion immer repressiverer Gesetze stünde die Ausbürgerung jedes unliebsamen, fremdblütigen Hinz und Kunz, und habe er bloß eine einzige, deutsche Staatsbürgerschaft? Selbstverständlich liegt Kiyak richtig, und ich sollte an meinem politischen Irrationalismus, der bekanntermaßen direkt in die Katastrophe führt, arbeiten. Aber warum?

Ein Blick in die gar nicht mal so neblige Glaskugel bietet Antworten. Wir schauen in jenes (noch) europäische Land, das sich in dieser Angelegenheit – deren Name citizenship deprivation lautet – bereits in der Zukunft befindet: nach Großbritannien.

Die hard facts: Shamima Begum, 19-jährige, hochschwangere Mutter zweier bereits verstorbener Kinder, 15-jährig im Jahr 2015 mit zwei Schulfreundinnen ohne Wissen ihrer Eltern nach Syrien aufgebrochen, um sich Daesh anzuschließen, einfache, als solche geborene Staatsbürgerin des Vereinigten Königreichs, Tochter aus Bangladesch eingewanderter, möglicherweise – das ist nicht herauszufinden – selbst bereits britische Staatsbürger gewordener Eltern, forderte die britische Regierung in einer in einem syrischen Flüchtlingslager aufgenommenem Videobotschaft auf, sie nach Großbritannien zurückzuholen, schon allein um der Gesundheit und überhaupt Zukunft ihres da noch ungeborenen dritten Kindes – auch dieses ein zukünftiger britischer Staatsbürger – willen, ohne sich von Daesh zu distanzieren oder substantielle Reue zu äußern.

Während ihr – anders als den zukünftigen Daesh-Kämpfern der deutschen Debatte – keine konkreten Straftaten über die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung hinaus nachgewiesen werden können, betrachtet die britische Regierung Begum als Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Einige Wochen nach Veröffentlichung der Videobotschaft informierte der britische Home Secretary Sajid Javid Begums Familie, man werde ihr die britische Staatsbürgerschaft entziehen, und betrachte diesen Vorgang außerdem nicht als Verstoß gegen geltendes Völkerrecht, da es sich bei Begum als Britin bangladeschischer Herkunft gleichsam um eine potentielle Staatsbürgerin Bangladeschs handle, auch wenn sie dies niemals tatsächlich gewesen ist, schlicht weil in Bangladesch das Abstammungsprinzip gilt.

Der Staat Bangladesch verbat sich diese Insinuation sofort und betonte, es handle sich bei Begum um keine Staatsangehörige des Landes und man werde sie unter gar keinen Umständen jemals einreisen lassen. Auch wenn sie als Unter-21-Jährige von der vereinfachten Einbürgerung auf Grundlage des Abstammungsprinzips profitieren könne, habe sie dies nie, wie notwendig, beantragt.[5. Auch das deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz kennt mit § 13 eine ähnliche Klausel: „Ein ehemaliger Deutscher und seine minderjährigen Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, können auf Antrag eingebürgert werden, wenn sie den Erfordernissen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 entsprechen.“ Bei diesen Erfordernissen handelt es sich um die grundlegendsten: Der Antragsteller darf nicht vorbestraft sein, muss das 16. Lebensjahr vollendet haben, eine Wohnung haben, seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Allerdings wäre auch diese Klausel in einem Fall à la Begum hinfällig, da sie nicht nur ebenfalls eine Antragstellung voraussetzt, sondern darüber hinaus nur für deutsche Staatsbürger selbst und ihre minderjährigen Kinder gilt.] Großbritannien hält an seiner – für den Staat Bangladesch rechtlich irrelevanten – Interpretation der bangladeschischen Rechtslage fest. Begum hat – wie könnte es auch anders sein – Bangladesch niemals betreten.

Dabei sollte klar sein: Als Bürgerin Großbritanniens ist die Gefahr, die von Begum ausgeht oder nicht ausgeht, ein Problem Großbritanniens. Der Staat ist seinen Bürgerinnen verpflichtet, auch wenn sie kriminell sind, selbst, wenn sie ihn ablehnen. Es gibt zurzeit keine politische Verfasstheit abseits von Nationalstaaten. Jemanden staatenlos machen heißt, sie aus der Existenz werfen, und zwar nicht nur der politischen.
Auf der erschreckend allgemeinen Argumentationsgrundlage des Home Secretary könnte man, überall auf der Welt, praktisch jeder Bürgerin mit sogenanntem Migrationshintergrund, beispielsweise auch mir, ehemaliger Staatsbürgerin Albaniens, wo ebenfalls das Abstammungsprinzip gilt, die Staatsbürgerschaft entziehen. Wird diese Bürgerin nun staatenlos, macht man kurzerhand das sie nicht einbürgernde andere Land – entgegen geltendem Recht – für den Völkerrechtsbruch verantwortlich. Wobei der Vergleich natürlich hinkt, denn Shamima Begum ist niemals Staatsbürgerin Bangladeschs gewesen, sie findet ihre Entsprechung in diesem Szenario also nicht in mir, sondern in einer deutsch-geborenen, niemals-Albanerin-gewesenen Person.[6. Ich habe allerdings keine Kenntnis über die Existenz einer der bangladeschischen oder deutschen Klausel Ähnelnden im albanischen Recht. Nichtsdestotrotz erscheint mir die simple Tatsache des Abstammungsprinzips als zentral für den im Grunde ohnehin völlig fiktiven, ja geradezu literarischen Zustand als „potentieller Staatsbürgerin“. Die Figur der „potentiellen Staatsbürgerin“ ist es dann auch, die mich hier als Autorin interessiert.] Dem britischen Home Secretary nach reicht es anscheinend nicht einmal, von Geburt an nur-britisch, nur-deutsch, nur-irgendwas zu sein, solange man ein abstammungstechnisch relevantes Quantum Fremdblut in sich trägt.

Den entscheidenden Hinweis in diesem Zusammenhang liefert James Bridle im Guardian: „It should be noted that no such move [as the revokal of Begum’s citizenship] has been made against, for example, Samantha Lewthwaite, the white widow of 7/7 bomber Germaine Lindsay, who is eligible for Irish citizenship, and has been living in Somalia and Kenya for many years.“[7. Auch Begums Ehemann, einem weißen Konvertiten ohne weitere Staatsbürgerschaft, wird selbstverständlich – wie auch – die niederländische Staatsbürgerschaft nicht entzogen.] Bridle schließt daraus: „[The revokal of Begum’s citizenship] declares that Britain is a state willing to abandon its citizens when they become inconvenient to it, reinforcing the complaints of those who feel, with good reason, that they are never “British enough”, while continually expanding the number of formerly settled citizens who fall into that category. To rely solely on the concept of citizenship as legal protection risks further entrenching this exclusionary system. […] [After all,][8. Im Original erscheinen diese beiden Zitate in umgekehrter Reihenfolge.] English law has since at least the 12th century held that all people, regardless of class or origin, have the right to representation and a fair trial – not based on their citizenship but on the principles of human liberty.“

Jedenfalls ist Shamima Begums drittes Kind einen Tag, nachdem ich begonnen habe, diesen Text zu verfassen, gestorben. Ihr Argument über die Schutzbedürftigkeit ihres Kindes, des unweigerlich britischen Staatsbürgers – bei seiner Geburt wenige Tage nach Aufzeichnung der Videobotschaft war sie, seine Mutter, noch nicht ausgebürgert – ist nun hinfällig. Ist es zynisch, diesen Tod so zu kommentieren? Mit Sicherheit. Hier ist ein Kind gestorben, verhungert, erfroren, des rassistischen Rechtsbruchs seiner eigenen Regierung wegen. Und doch wird der Tod des Schutzbedürftigen im britischen Home Secretary nicht bloß Panik vor einer möglichen PR-Katastrophe, sondern mit Sicherheit auch eine gewisse Erleichterung hervorgerufen haben. Ob Sajid Javids Kopf gleich rollt, wie der seiner Vorgängerin Amber Rudd im Zuge des völlig fassungslos machenden und nicht minder von Rassismus handelnden Windrush-Skandals, der ja seinerseits noch kein Jahr her ist, wird sich zeigen.

Als ich diese Zeilen einer Freundin, die zu Staatenlosigkeit forscht, zur inhaltlichen Prüfung vorlege, erhalte ich – in Echtzeit, oh, wunderbares, gefährliches Internet – von ihr einige Hinweise auf eine Reihe verstörender Fälle, die ich auf keinen Fall unerwähnt lassen will:

Auf den Fall des einfachen Briten und ehemaligen Irakers Hilal Al-Jedda zum Beispiel: Al-Jedda wurde 2004 erst von US-Truppen im Irak festgenommen, und anschließend ebenda von den Briten bis 2007 ohne Anklage inhaftiert. Kurz vor seiner Entlassung wurde ihm, da er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle, die britische Staatsangehörigkeit entzogen. Er lebt mittlerweile in der Türkei.
Al-Jedda sagt, er habe zur Einreise in die Türkei nach seiner Ausbürgerung, das heißt, als Staatenloser, einen falschen Pass verwendet, der britische Staat sagt, er habe einen echten, irakischen verwendet. Während die irakische Staatsangehörigkeit bei Annahme einer anderen automatisch erlischt, ist der britische Staat der Ansicht, Al-Jedda sei nach seiner Ausbürgerung erneut irakischer Staatsbürger geworden, was dieser bestreitet. Nach einem langwierigen Rechtsstreit erhielt er die britische Staatsbürgerschaft im Jahr 2013 zurück, nur um sie, kurz vor einer direkt im Anschluss verabschiedeten, von der damaligen Home Secretary Theresa May initiierten Gesetzesänderung in Sachen citizenship deprivation erneut und endgültig zu verlieren.

Auf den Fall des niemals-Ägypter-gewesenen Briten Mohamed Sakr, 2010 ausgebürgert und somit – während er sich im Ausland befand – staatenlos gemacht, 2012 im Rahmen eines US-amerikanischen drone strikes als enemy combatant in Somalia hingerichtet, was dem britischen Parlament die umständliche Einrichtung einer Untersuchungskommission ersparte, die bei der Hinrichtung eines eigenen Staatsbürgers unweigerlich vonnöten gewesen wäre.

Und, last but not least, auf die schweizerische Kanzlei Henley & Partners, die reiche Bürgerinnen armer und/oder krisengeschüttelter und/oder diktatorisch regierter Staaten dabei unterstützt, durch strategische Investitionen andere, bessere Staatsangehörigkeiten zu erwerben, oder, deutlicher gesagt, zu kaufen.[9. Siehe auch: Atossa Araxia Abrahamian, The Cosmopolites. The Coming of the Global Citizen. New York: Columbia Global Records 2015.] Zu diesen besseren Staaten mit citizenship-through-investment-Programmen – wie es so schön heißt – gehören auch europäische wie Malta und Österreich.

Hier handelt es sich im Übrigen um dasselbe Österreich, in dem zurzeit – wie Kiyak bereits anreißt – die Einführung einer an die nationalsozialistische Schutzhaft gemahnenden Präventivhaft für von den FPÖ-geführten Sicherheitsbehörden als Gefährder identifizierte Asylbewerber diskutiert wird.
Weil hier tatsächlich eine Verfassungsänderung mit dazugehöriger Zweidrittelmehrheit vonnöten wäre, und deshalb entweder Neos oder SPÖ dem Gesetzesentwurf zustimmen müssten, kursiert in den sozialen Medien seit Wochen ein Meme. Abgebildet ist – in sepia, dreifach, nach Art eines Mugshots – Bruno Kreisky, Legende der österreichischen Sozialdemokratie. Die dazugehörige Bildunterschrift informiert darüber, dass Kreisky am 15. März 1938 in Schutzhaft genommen wurde. Und das wurde er nicht bloß als Mitglied einer Partei, sondern auch als Mitglied einer rassistisch verfolgten Minderheit. Einige institutionelle Mechanismen, die als Katalysatoren dieser Verfolgung wirkten, begegnen uns heute wieder: Im Fall Begum als Rassifizierung von Staatsbürgerschaft, in der österreichischen Situation als Rassifizierung von Haftfähigkeit.

Das Komplizierte bei alldem ist, wie bereits angedeutet, die tatsächliche, medial vermittelte, prinzipiell unleugbare Existenz von Tätern, die die Freiheit des Staates und seiner Bewohnerinnen gefährden. Sie lässt jedes öffentliche Mitgefühl mit möglicherweise zu Unrecht als solchen Bezichtigten schwinden, vom Vertrauen in die Verfahren des Rechtsstaates ganz zu schweigen. Das Recht auf solche, vom Gleichheitsgrundsatz geprägte rechtsstaatliche Verfahren wird zum Privileg für Staatsbürgerinnen umgedeutet, ganz so, wie Theresa May bereits das Konzept von Staatsbürgerschaft an und für sich umgedeutet hat, hin zu: „citizenship is a privilege, not a right“.

Während dieser Entwicklung hat sich der reaktive Hass auf fundamentalistische Terroristen von Beginn an mit etwas wesentlich Älterem vermischt: dem Hass auf das Andere, das mit der Einführung einer ausschließlich für Asylbewerber geltenden Präventivhaft auf eine Art und Weise zum potentiell Verbrecherischen erklärt wird, auf die das Eigene – repräsentiert durch den weißen, österreichischen Staatsbürger – dann schon gesetzlich nicht erklärt werden kann. Dem Hass auf das Fremdblütige – und sei es auch repräsentiert durch eine jugendliche Tochter des Landes –, das umstandslos aus dem Volkskörper entfernt, der nationalen Gerichtsbarkeit entzogen werden kann.[10. Im Korrektorat ergab sich die Frage, ob man nicht wenigstens diese Nazibegriffe in Anführungszeichen setzen sollte. Da stellt sich mir allerdings die Folgefrage: Warum das Fremdblütige in Anführungszeichen setzen, wenn es – von den Konsequenzen her betrachtet – nicht einmal in den diskutierten Verlautbarungen staatlicher Organe so apostrophiert wird? Die Protagonisten dieses Texts gelten als fremdblütig, als den Volkskörper verunreinigend. Auch wenn diese Begriffe nicht verwendet werden, liegen sie den verwendeten Argumenten deutlich lesbar zugrunde. Diese Begriffe, die Fiktionen sind, werden durch juristische und diskursive Beschwörung insoweit real, als dass sie Teil von Nationalerzählungen sind, die in die Rechtsprechung einsickern, selbst da, wo das Volk verfassungsmäßig viel weiter definiert ist. Setzte ich hier Anführungszeichen, machte ich mich der Verharmlosung der realen Konsequenzen dieser Fiktionen schuldig.] Und so werden also die erwähnten Türen und Tore geöffnet – jeden Tag eine kleine, den Rechtsstaat aushöhlende Qualifikation: steter Tropfen.

Das von Kiyak entworfene Schreckensszenario der lawinenartigen Verschüttung von Staatsbürgerinnenrechten auf rassistischer Grundlage ist leider keine Horrorvision, sondern bereits – und noch radikaler als hierzulande zurzeit erträumt – europäische Realität.[11. Zur weiterführenden Lektüre: Sangita Jaghai-Bajulaiye/Laura van Waas, All citizens are created equal, but some are more equal than others. In: Netherlands International Law Review, Nr. 65 (3), 2018 (zu erreichen unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs40802-018-0123-8.pdf).]

Mit Dank an Rabea Niggemeyer für Kritik & Ergänzungen.