Streik!

Seit Donnerstag, 28. Februar,  wird wieder gestreikt. Vierzehn Tage lang, verteilt über vier Wochen, legen Universitätsangestellte der Gewerkschaft UCU an 74 schottischen, englischen, walisischen und nordirischen Universitäten die Arbeit nieder. Das sind mehr als die Hälfte aller britischen Unis. Die Streikenden arbeiten in der Lehre, in der Forschung, in Bibliotheken, Verwaltungen, Serviceeinrichtungen. Es ist der größte Streik in der Geschichte der britischen Hochschulen. 

Ich bin seit 2013 Astronom an der Universität und St Andrews und erst seit zwei Jahren in der Gewerkschaft. Dies ist schon der dritte lange Streik innerhalb dieser zwei Jahre, in einem Sektor, in dem Arbeitskämpfe selten sind. Wir streiken für unsere Renten, für höhere Gehälter und für bessere Arbeitsbedingungen. Die Gehälter halten nicht mit der Inflation Schritt. Die Rentenbeiträge steigen, die Renten sinken. Das alles bei steigender Arbeitsbelastung. Die Unart, Lehrende stundenweise zu bezahlen, statt ihnen richtige Stellen zu geben, breitet sich aus. Mit mir beim Streikposten stehen Kolleginnen und Kollegen, die nicht wissen, ob sie im nächsten Monat bezahlt werden. Immer noch klafft eine beträchtliche Lücke zwischen den mittleren Einkommen von Männern und Frauen. Die “Gender Pay Gap” steht in britischen Unis bei 15 Prozent, deutlich höher als der nationale Durchschnitt. Viele dieser Probleme betreffen die älteren Uni-Angestellten mit sicheren Dauerstellen kaum. Aber sie ruinieren den Job für diejenigen, die nachkommen. Und sie ruinieren die Bedingungen, unter denen Studierende lernen. 

Ein großer Teil der Schwierigkeiten beim Erklären des Streiks hat damit zu tun, dass alle beteiligten Organisationen ähnlich klingende Abkürzungen haben, die alle mit U anfangen. UCU ist die “University and College Union”, die Lehrpersonal, Forschende und andere Uniangestellte vertritt. Auf der anderen Seite des Konflikts stehen die Organisationen der Arbeitgeber, UUK (für “Universities UK”) und UCEA (für “Universities and Colleges Employers’ Association”). Die eine vertritt die Unis im Streit um die Rente, die andere im Streit um Gehälter und Arbeitsbedingungen. USS wiederum ist das “Universities Superannuation Scheme”, die Rentenversicherung für Hunderttausende Uni-Angestellte in Großbritannien, um die sich ein wesentlicher Teil des Streiks dreht. 

Kein Mensch streikt gern. Akademikerinnen und Akademiker sind besonders schlecht im Streiken. Zum einen, weil wir aus Freude, aus Enthusiasmus, aus Überzeugung arbeiten. Es ist kein Job, sondern ein Stück Weltverbesserung, so reden wir es uns jedenfalls ein. Wir haben große Probleme damit, Arbeit vom Rest des Lebens zu trennen. Insbesondere schwierig ist hier die Forschung, die uns überall hin begleitet. Ältere Kolleginnen und Kollegen erzählen, wie gut man an Streiktagen endlich in Ruhe an seinem Projekt arbeiten kann. Wie viele Anträge, Paper und Code man schreiben kann. Es ist genau diese Art unzerrüttbare Begeisterung, die Universitäten ausnutzen. Wenn die Aufgaben in Lehre und Administration die 37 Wochenarbeitsstunden füllen, die im Arbeitsvertrag stehen, dann bleiben für die “weltweit führende” Forschung, die ich außerdem betreiben soll, nur die Abende, das Wochenende und die Urlaubstage. Gleichzeitig fühlen wir uns privilegiert, dass wir diese Arbeit tun dürfen. Wir sind gefesselt an unseren Arbeitgeber in einer Art Stockholm-Syndrom. 

Zum zweiten, weil wir uns selbst als “die Uni” begreifen. Immerhin sind es zum Großteil unsere eigenen Kolleginnen und Kollegen, die in der Zentrale sitzen und die Entscheidungen treffen. Es gibt keine klar erkennbare Trennlinie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wir sind das System und müssten uns zunächst eingestehen, was darin mit unserer Mithilfe schiefgelaufen ist. 

Und zum dritten, weil Streiken an Unis beinahe zwangsläufig den Studierenden schadet. Vorlesungen, Seminare und Praktika sind die Aufgaben, die nicht verschoben werden können und damit weggestreikt werden. Die Lehre ist das Kerngeschäft der Unis. Ein paar Tage nicht forschen, das schadet der Uni kaum. Ein paar Tage nicht unterrichten, nicht benoten, nicht beraten, das trifft den Arbeitgeber schon härter, leider aber gleichzeitig die Studierenden. Wenn wir streiken, leiden sie. Wenn nicht, dann leiden sie in der Zukunft womöglich noch mehr unter den unzumutbaren Bedingungen. Es gibt keine Alternative. 

Denn es nicht nur ein bisschen Geld, das auf dem Spiel steht. Die gesamte Struktur der Unis steht zur Debatte. Über das letzte Jahrzehnt wurde das britische Hochschulsystems radikal umgebaut. Seit 2012 dürfen die Universitäten 9000 Pfund Studiengebühren pro Jahr erheben, fast dreimal soviel wie zuvor – und tun das auch. Britische Unis sind damit unter den teuersten der Welt (von Ausnahmeregelungen in Schottland abgesehen). 

Drei Jahre nach der Erhöhung der Gebühren wurde die Deckelung der Studierendenzahlen abgeschafft – jetzt kann jede Uni so viele Studierende aufnehmen, wie sie möchte. Unis stehen seitdem in einem harten Wettkampf um Studenten. Der Wert von Studiengängen wird zunehmend danach beurteilt, inwieweit sie bei diesem Wettbewerb helfen. Kurse werden verglichen, indem man den “Mehrwert” der Ausbildung, die “Zufriedenheit” von Absolventen und ihre zukünftigen Gehälter misst. Endlose Zeit und Bürokratie wird investiert, um diese willkürlichen Metriken zu optimieren. “Wir wollen in den internationalen Uni-Rankings nach oben”, das war eine der ersten Direktiven, die ich erhielt, als ich 2013 meine Stelle antrat. 

Studiengebühren machen jetzt den Großteil der Einnahmen der Unis aus. Das Wohlergehen eines Uni hängt damit stark davon ab, wie erfolgreich sie Studenten anwerben kann, im eigenen Land und international. Die Finanzierung ist riskanter als zuvor. Universitäten können Pleite gehen, und wenn das geschieht, wird sie niemand retten. Mit höheren Studierendenzahlen steigt das Einkommen der Hochschulen deutlich. In St Andrews zum Beispiel vervierfachten sich die Einkünfte der Universität seit dem Jahr 2000. Von 2008 bis 2018 stiegen die Einnahmen an britischen Unis um etwa zwei Drittel. 

Die Ausgaben steigen allerdings auch. Ein noch nie dagewesener Bauboom folgte. Überall im Land investieren Unis in neue Gebäude, vor allem solche, deren Bilder man in Hochglanzprospekten vorzeigen kann. Die Universität St Andrews legte sich in den letzten zehn Jahren ein neues Sportzentrum, mehrere Luxusunterkünfte für Studierende, ein neues Musikzentrum, eine generalüberholte Bibliothek, ein neues Institut für Meeresbiologie, ein Wärmekraftwerk und neue Verwaltungsgebäude zu. Gleichzeitig wird prozentual gesehen immer weniger in die Angestellten investiert. In St Andrews fiel der Anteil von 65 auf 55 Prozent. Langfristige Zahlungsverpflichtungen für feste Stellen und Renten werden auf dem Markt der Höheren Bildung zunehmend zum Wettbewerbsnachteil. Die Folge sind genau die Missstände, die zum Streik führen.

Streiken bietet eine Form der Klarheit, die selten ist im Uni-Alltag. Entweder tritt man der Gewerkschaft bei und streikt, weil man die Zustände für nicht hinnehmbar hält. Oder man streikt nicht, dann erhöht man die Wahrscheinlichkeit, dass der Streik scheitert und trägt dazu bei, den Status Quo zu perpetuieren. Die einen stehen draußen vor dem Institut in Kälte und Regen, halten Plakate hoch und verzichten während der Streik anhält auf ihr Einkommen. Die anderen gehen weiterhin durch das Tor und treten ihre Arbeit an, wie jeden Morgen. Es gibt kein “ja, aber”, kein “sowohl als auch”, kein “weitere Forschung erforderlich”. Man muss sich für eine der beiden Seiten entscheiden. Wenn Universitäten zu Unternehmen werden, Bildung zur Ware und Studierende zu Konsumenten, dann können es sich Universitätsangestellte nicht mehr leisten, neutral zu bleiben.