„Meinungsfreiheit“: Zur Veröffentlichung der Memoiren von Woody Allen

⁸Wenn ein Verlag beschließt, ein Buch nicht zu drucken, aus was für Gründen auch immer, dann ist das keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern das gute Recht eines Verlages, in seinem Programm von seinem Geld die Bücher drucken zu lassen, die er drucken lassen möchte. Sonst könnten ja alle diejenigen, deren Manuskripte abgelehnt werden, von Zensur reden und ihr Recht auf Meinungsfreiheit einklagen.

Insofern ist ein Großteil der Debatte um die Woody-Allen-Memoiren schlicht schief.  Ob Edo Reents in der FAZ, Eva Menasse im Deutschlandfunk Kultur oder Daniel Kehlmann, der in der ZEIT noch den Antisemitismusvorwurf unterbringen muss: Sie alle werfen sich in die Brust, als gälte es die französische Revolution noch einmal neu auszufechten. Edo Reents, als wackerer Verfechter der Meinungsfreiheit, schlägt gleich ganz entflammt von der eigenen Moral vor, dass dem „Moralpöbel“ „das Maul gestopft“  werden sollte.  Nicht aggressiv gibt sich Eva Menasse: „So wie jeder Mensch das Recht auf Strafverteidigung und Aussageverweigerung hat, hat er das Recht, sich mündlich und schriftlich besser darzustellen, als er ist.“ Natürlich! Aber nicht jeder Verlag hat die Pflicht, jedes Buch zu drucken. Sonst müsste Eva Menasse nach ihrer eigenen Logik auch dafür plädieren, dass ein Verlag ein Buch von Thilo Sarrazin nicht ablehnen darf, und dass Björn Höcke in jede Talkshow eingeladen wird, er ist immerhin ein nicht vorbestrafter Spitzenpolitiker von großem öffentlichem Interesse.  Florian Schröder, stößt  im Spiegel übrigens ins selbe Meinungsfreiheit-Horn, nachdem er vorher in der geschlossenen Chatgruppe von Rowohltautor*innen Mitglied gewesen ist und interne Informationen in seinem Artikel verwurstet. Ihm gilt sein schräges Verständnis von Meinungsfreiheit eben mehr, als  die Privatsphäre, zumindest die anderer.

WAS richtig ist: Wenn ein Verlag ein Buch, das bereits angekündigt wurde (ob Rowohlt die Rechte zum Zeitpunkt des offenen Briefes bereits in der Tasche hatte, darf bezweifelt werden, da diese ja nach dem Rückzieher von Hachette erst einmal von einem anderen amerikanischen Verlag gekauft und an Rowohlt weiterverkauft werden mussten), wenn also ein Verlag, ein Buch, das bereits angekündigt wurde, doch nicht publiziert, wird er vertragsbrüchig und braucht dafür ein plausibles Argument. Wäre das Argument nun: Wir haben unsere Meinung geändert, würde der Verlag wankelmütig und unsouverän erscheinen. Die Pro- und-Contra-Fakten im Falle Allen/Farrow liegen ja seit Jahren auf dem Tisch. Würde der Rowohlt-Verlag ergänzen, die Entscheidung sei aus Angst vor der öffentlichen Meinung oder der der eigenen Autorenschaft (bzw. Mitarbeiter*innen) zustande gekommen, dann wäre das zwar immer noch kein genereller Angriff auf die Meinungsfreiheit, aber auch kein gutes Signal für die Unabhängigkeit, die wir uns bei der Programmgestaltung von Verlagen wünschen (auch wenn diese durch monetäre Faktoren doch immer wieder stark  limitiert werden, was natürlich niemand als Angriff auf die Meinungsfreiheit begreift).

Was ebenfalls richtig ist:  Moralische Argumente implizieren Allgemeingültigkeit – wenn ich sage, ich will nicht, dass Rowohlt dieses Buch publiziert, dann will ich in der Regel aus den gleichen oder sehr ähnlichen Gründen auch nicht, dass es andernorts erscheint.  Da ist es wie mit dem Avenidas-Gedicht: Es ist das gute Recht der Hochschüler*innen, selbst zu entscheiden, welche Gedichte sie an der Wand ihrer Hochschule zu sehen bekommen. In der Argumentation dazu schwang aber mit, dass man generell im öffentlichen Raum nicht von Sexismus belästigt werden wolle, und hielt es für abgemacht, dass das Gedicht nur als sexistisch zu werten ist, und dass solche Gedichte im öffentlichen Raum ein Angriff seien. Es gehört zur Struktur moralischer Argumente, dass sie über mehr verhandeln als den Einzelfall. Wie sich weite Teile der Öffentlichkeit dazu äußern, ist dann ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse, und auch die dümmsten Äußerungen sind bei uns glücklicher Weise durch die Meinungsfreiheit gedeckt.

Rowohltintern hat man den offenen Brief übrigens nie als Angriff auf die Meinungsfreiheit begriffen, sondern als besorgte Einlassung von Autor*innen, die sich mit dem Verlag verbunden fühlen.

Anselm Neft gehörte zu den Unterzeichnern des offenen Briefs – zog später seine Unterschrift aber wieder zurück. Im Gespräch mit Thomas Blum im Neuen Deutschland erklärt er die Gründe