Zum Diktieren in den Geisteswissenschaften 1800–1989
Es lässt sich ein Trend beobachten, Leben und Werk von Geistes- und Gesellschaftswissenschaftlern analytisch stärker aufeinander zu beziehen. So macht sich Thomas Etzemüller in der Einleitung seines Bands zur Performanz in der Wissenschaft Gedanken über die Selbstdarstellung im akademischen Betrieb, zu der paradoxerweise eine Schweigepflicht über die eigene Person gehöre. Auch Paul Nolte hat in seinem Buch Lebens Werk solche Bezüge herzustellen versucht: Es ist der Biografie der Deutschen Geschichte 1800–1918 gewidmet, also der 2700 Seiten umfassenden Gesamtdarstellung des Historikers Thomas Nipperdey, die zwischen 1983 und 1992 erschien. Nolte analysiert diese vor dem Hintergrund eines Desiderats. Anders als bei den Laborwissenschaften wissen wir wenig über die Entstehungsprozesse geisteswissenschaftlichen Wissens, vor allem aber über die Geschichte seiner Darstellungsformen, und das, obwohl der Darstellung in diesen buchfixierten Fächern besonders große Bedeutung zukommt und obwohl Wissenschaftshistoriker wie Hans-Jörg Rheinberger wiederholt darauf hingewiesen haben, dass sich auch das Schreiben als Experimentalsystem begreifen lässt. Was Nolte anhand von Verlagskorrespondenzen, mit Blick auf Schreibzeiten, die im universitären Alltag erkämpft werden müssen, aber auch auf die Funktion des nationalgeschichtlichen Opus magnum als »Geste der Dominanz« beschreibt, mag einem noch vertraut erscheinen. Aber hinsichtlich von Nipperdeys eigentlicher Arbeit am Text stellt sich nicht nur bei Nolte spürbar ein Befremden ein – ein Fremdheitsgefühl, das neugierig macht.