Wissenschaftskommunikation in „postfaktischen“ Zeiten
Im November – kurz bevor die Corona-Krise den erklärenden Wissenschaftler zum Medienstar machen sollte – hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in einem Grundsatzpapier einen »Kulturwandel hin zu einer kommunizierenden Wissenschaft« angemahnt. Besonders viel mahnen muss es eigentlich nicht, denn an den Forschungseinrichtungen im Land hat sich längst herumgesprochen, dass, wer Geld bekommen und als relevant wahrgenommen werden möchte, nicht nur forschen, sondern auch darüber reden muss. Die Rektorate und Präsidien der Universitäten dirigieren größere Pressestäbe und investieren massiv in die Außendarstellung – vom Corporate Design bis zur Hochglanzbroschüre –, und Sonderforschungsbereiche verfügen über eigene Teilprojekte, die einzig dazu da sind, die Forschungsergebnisse unter die Leute zu bringen. (mehr …)
Südwestdeutsch trifft Deutsch-Südwest. Baden-Württemberg gibt zwei kolonialzeitliche Objekte an Namibia zurück
Das Ensemble weckt Assoziationen der dunkleren Art: Eine Bibel und eine Peitsche hat das Land Baden-Württemberg Ende Februar an den Staat Namibia zurückgegeben, um ein sichtbares Zeichen für einen neuen Umgang mit dem kolonialzeitlichen Erbe zu setzen. Beide Objekte aus den Sammlungen des völkerkundlichen Linden-Museums Stuttgart weist dessen Archiv als ehemaliges Eigentum von Hendrik Witbooi aus. Witbooi führte von 1904 an Soldaten der Nama in einen Aufstand gegen General Lothar von Trotha, der begonnen hatte, Herero und Nama systematisch ermorden zu lassen. Rund 80 000 von ihnen kostete der Aufstand, der heute als Genozid gilt, das Leben.
(Der Essay ist im Maiheft 2019, Merkur # 840, erschienen.) (mehr …)
Kulturerbe als »Shared Heritage« (II) Anerkennungsfragen
»Ich bitte diese Generalversammlung um die Annahme einer Resolution, mit der sie die reichen Länder, welche Kunstschätze der armen Länder besitzen, auffordert, einige von ihnen zurückzugeben, so daß wir unseren Kindern und Kindeskindern die Geschichte ihrer Länder vermitteln können.« Mit diesem Satz bat der Präsident von Zaire, General Mobutu Sese, am 4. Oktober 1973 die UN-Vollversammlung, völkerrechtlich belastbare Regelungen zu finden, um Kulturgut aus vormals kolonisierten Ländern in diese zurückführen zu können.
Mobutus Initiative führte zu Resolution 3187 mit dem Titel Restitution of works of art to countries victims of expropriation. Die Differenz zwischen »armen« und »reichen« Ländern, die Mobutu starkgemacht hatte, tauchte in der Resolution nicht mehr auf (stattdessen wird dort neutral von »prompt restitution to a country of its objets d’art, monuments … by another country« gesprochen). Auf rechtlich bindende Regeln wollte sich die Staatengemeinschaft nicht einlassen. Seit damals ringt sie um eine konsistente Haltung zu Rückgabefragen für Objekte aus der Kolonialzeit. Im Prinzip – darauf ließe sich das Ergebnis der UN-Debatten der letzten fünfundvierzig Jahre verkürzen – findet sie das Anliegen richtig und unterstützt es: »Convinced that the restitution of such works should make good the serious damage suffered by countries as a result of such removal«.
Rechtlich verbindliche Ansprüche auf Rückerstattung ließen sich politisch bislang aber nicht durchsetzen. Bezeichnenderweise lautete die deutsche Übersetzung des Begriffs »restitution« in Resolution 3187 »Rückgabe«, wobei »Rückgabe die freiwillige Rückführung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht meint«. Bislang bleibt es bei einem Appell an die moralische Verpflichtung der Staaten, sich dafür einzusetzen, vergangenes Unrecht wiedergutzumachen. Daran änderte auch die Erklärung über die Rechte indigener Völker von 2007 bislang wenig.[2. http://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/Declaration%28German%29.pdf. Hier sind insbesondere Artikel 11 (2) und 12 (2) relevant, die Rückerstattungen und Wiedergutmachungen für vergangenes Unrecht thematisieren, insbesondere mit Blick auf sterbliche Überreste und Ritualgegenstände.] Von völkerrechtlich belastbaren Ansprüchen ist man weit entfernt.
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Je suis comme vous – Ich bin wie ihr. Mit dieser Botschaft entzückte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 28. November 2017 die Jugend in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Angereist mit dem Anspruch, die Beziehungen Frankreichs zu den Ländern Afrikas neu zu definieren, gab sich Macron bescheiden. Seine Rede sollte zeigen, dass es Zeit für ein neues Miteinander »auf Augenhöhe« sei.
Rhetorisch fundierte Macron sein Anliegen mit zwei Strategien: Erstens achtete er darauf, Afrika nicht als Objekt europäischer Wünsche und Ansprüche zu bagatellisieren. Sein Besuch gelte nicht »Afrika«, dem Kontinent, der vor allem das Produkt europäischer Zuschreibungen ist, sondern den Ländern Afrikas. Diese Vorlage, mit der er die einzelnen Länder Afrikas als individuelle Staatswesen ernst nahm, ergänzte der Präsident um eine Geste der Solidarisierung: »Ich bin wie ihr aus einer Generation, die Afrika nicht als kolonisierten Kontinent erlebt hat. Ich gehöre zu einer Generation, die eine ihrer schönsten politischen Erinnerungen mit dem Sieg Nelson Mandelas im Kampf gegen die Apartheid verbindet – ein Kampf, angetrieben von einer panafrikanischen Solidarität von Algier bis Rabat, von Luanda bis Conakry. Das ist die Geschichte unserer Generation.«
Das »Wir«, das Macron vor der Jugend an der Universität Ouaga I beschwor, war ein generationelles Wir. Ein Wir, das die grundlegende Trennlinie verwischen sollte, die bislang den Blick vieler Menschen auf die Welt strukturiert: die ethnische Grenze. Er wollte nicht über Franzosen und Afrikaner reden (was er de facto die ganze Zeit machte), sondern eine neue französische, eine neue europäische Politik betreiben, die aus einem postkolonialen Geist entsteht. Ein solcher Geist, das machte Macron in Ouagadougou klar, ist der Geist der jungen Generation, die – wie er – jetzt an die Hebel der Macht kommt.
Anerkennung und generationelle Vergemeinschaftung: Wer diese beiden Strategien nutzt, um eine neue Politik zwischen Frankreich oder Europa und Afrika zu begründen, muss früher oder später über die aktuellen Ungleichheiten und Folgelasten aus der Vergangenheit reden, und er muss zeigen, was diese Generation eint und wo sie gemeinsame Interessen verfolgt, die alte nationale oder kontinentale Unterschiede überwinden können. Zum Symbol seiner ernsten Absichten wählte Macron ein Feld, das seit einigen Jahren die Beziehungen zwischen Europa und Afrika kompliziert: das Kulturerbe.
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