Das Wunder des Daseins
»Wir werden sterben, deshalb können wir uns glücklich schätzen.« Das ist der verblüffende erste Satz in Richard Dawkins’ philosophischstem Buch Der entzauberte Regenbogen. Er fügt hinzu: »Die meisten Menschen sterben nie, weil sie nie geboren werden«, und zeigt, wie unwahrscheinlich unsere Existenz ist. Die potentiziellen Menschen, die an unserer Stelle hätten geboren werden können, sind größer an Zahl als die Atome des Universums. »Und unter diesen ungeborenen Geistwesen sind größere Dichter als Keats, größere Wissenschaftler als Newton. Das wissen wir, weil die Menge an Menschen, die aus unserer DNA entstehen könnten, bei weitem größer ist als die Menge der tatsächlichen Menschen. Und entgegen dieser gewaltigen Wahrscheinlichkeit gibt es gerade Sie und mich in all unserer Gewöhnlichkeit.«(Der Essay ist im Februarheft 2019, Merkur # 837, erschienen.)
Schriebe ich je eine Autobiografie, ich würde mit der Beschreibung eines Zufalls beginnen, der ebenso gut nicht hätte stattfinden können: meiner Zeugung. Ein unerwartetes Klopfen an der Tür, eine abweichende Bewegung meiner künftigen Mutter, ein etwas anders laufender Gedanke im Kopf meines künftigen Vaters: Alles hätte mein Leben zerstören können, bevor es hätte beginnen können. Und keiner der Ungeborenen bekommt auch nur die Chance, sich zu beschweren; schließlich kann sich niemand über seine eigene Nichtexistenz beklagen. Behalten wir das also im Kopf, die Lotterie begann vor unserer Zeugung. »Unsere Eltern mussten sich kennenlernen, und ihre Empfängnis war ebenso unwahrscheinlich wie unsere eigene. Und so weiter rückwärts in die Vergangenheit über unsere vier Großeltern …« Bis ganz zurück an den Anfang des Lebens, zu den ersten sich selbst reproduzierenden Molekülen, die vor rund vier Millionen Jahren auf diesem Planeten erschienen sind.
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