Standortkonkurrenz und Globalisierung sind keine ganz neuen Argumente der politischen Auseinandersetzung. Als der Reichskanzler Fürst Bismarck kurz vor seiner Entlassung von dem jungen Kaiser Wilhelm II. gezwungen wurde, zwei Erlasse zu redigieren, die eine Verbesserung der Lage der Arbeiter ankündigten, baute der widerwillige Staatsmann eine Klausel ein, die die Unmöglichkeit dieses idealistischen Vorhabens vorwegnahm, mußte doch »die deutsche Industrie auf dem Weltmarkte concurrenzfähig erhalten« werden: »Der Rückgang der heimischen Betriebe durch Verlust ihres Absatzes im Auslande würde nicht nur die Unternehmer, sondern auch ihre Arbeiter brodlos machen. Die in der internationalen Concurrenz begründeten Schwierigkeiten der Verbesserung der Lage unserer Arbeiter lassen sich nur durch internationale Verständigung der an der Beherrschung des Weltmarktes beteiligten Länder, wenn nicht überwinden, doch abschwächen.« Der Schachzug, dem unerfahrenen Monarchen mit dem Weltmarkt zu kommen, ist typisch für die Innenpolitik des späten Bismarck. Immer setzte er den Acheron in Bewegung, den Untergang der Monarchie, den Zerfall des Reiches, die Wehrlosigkeit im Falle eines Krieges, den sozialen Bürgerkrieg, die katholische Verschwörung. Bismarcks Herrschaftssystem beruhte spätestens seit seinem Bruch mit den Nationalliberalen in den siebziger Jahren auf der permanenten Notstandsdrohung, mit der er selbst sich als einziger möglicher Retter unersetzlich machte.
Schon der Kulturkampf war eine Notstandsmaßnahme, die mehrere liberale Grundrechte außer Kraft setzte, erst recht waren es die Sozialistengesetze. Ausdrücklich wehrte Bismarck sich, als ihre Verlängerung anstand, dagegen, sie in normale Bestimmungen des Strafrechts zu überführen; sie sollten ihren Charakter als Ausnahmegesetze behalten. Bismarcks dramatisierender Regierungsstil wurde noch nie so deutlich wie in der aus Anlaß seines hundertsten Todestages übersetzten monumentalen Biographie des Amerikaners Otto Pflanze (Bismarck. Zwei Bände. München: Beck 1997, 1998). Ihr zweiter Band ist die ausführlichste Darstellung von Bismarcks Reichskanzlerzeit, die je vorgelegt wurde. Das Bild ist erschreckend. Es zeigt, daß der Gründer des Reiches in keinem Augenblick bereit war, seine Schöpfung selbständig werden zu lassen. Der Gedanke, das Reich aufzulösen und von den Fürsten neu gründen zu lassen, war kein vorübergehender Einfall, sondern eine permanent offengehaltene Option. Den Reichstag behandelte Bismarck als Mehrheitsbeschaffungsmaschine, die beliebig aufzulösen und neu zu wählen war. Der Verschleiß an Personal war furchterregend; Max Weber hielt rückblickend fest, »daß Bismarck schon im voraus klüglich Veranstaltungen traf, den neuen Mitarbeiter jederzeit durch rein persönliche Diskreditierung zu Fall bringen zu können«. So durfte sich niemand sicher fühlen, und um den Kanzler regierte die Angst. Dieser machttechnische Alarmismus war, wie Pflanze sehr plastisch zeigt, auch das Resultat eines reizbaren und cholerischen Charakters, der in einer bemerkenswerten Geschichte der Nervosität in Deutschland eine prominente Stellung einnimmt (Vgl. Joachim Radkau, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler. München: Hanser 1998). Nervosität als Krankheitsbild ist geradezu eine Erfindung der streßgeplagten Gründerjahre, und Bismarck, der maßlose Esser und Trinker, der hemmungslose Hasser und Rächer, war auch der erste Hysteriker seines kunstvoll und künstlich zusammengeschusterten Staates.