Eine unheimliche Überschneidung: Hannah Arendt und Philip Roth
Die Schriftstellerin Lisa Scottoline veröffentlichte 2014 einen aufschlussreichen Essay in der New York Times über zwei Seminare, die sie in den 1970er Jahren an der University of Pennsylvania bei Philip Roth belegt hatte. Eines davon befasste sich mit der Literatur des Holocaust, auf der Lektüreliste stand Hannah Arendt. (mehr …)Das Innenleben des amerikanischen Kommunismus
Der Kommunist steht am Kreuzungspunkt zweier Ideen: eine antik, eine modern. Die antike Idee: Der Mensch ist ein politisches Wesen. Unsere Disposition zum Öffentlichen, unsere Orientierung nach außen führen dazu, dass wir gar nicht getrennt von der Polis gedacht werden können. Selbst wenn wir unsere Laster zu verbergen versuchen, benötigen wir – wie eine der Figuren ins Platons Staat anmerkt – die Unterstützung von »Geheimgesellschaften und politischen Vereinigungen«. So gegenwärtig sind wir für andere Menschen, so gegenwärtig sind sie für uns. (mehr …)
Plädoyer für die öffentliche Universität
Seit die Corona-Pandemie die amerikanische Ostküste erreicht hat, sind mindestens 23 Studierende, Dozenten und Mitarbeiterinnen der City University von New York gestorben. Laut den Daten, die der CUNY-Professor Michael Yarbrough und Studierende in seinem Forschungskolloquium zusammengetragen haben, war Covid-19 die Todesursache bei mindestens 19 der Verstorbenen. Unter ihnen waren: William Helmreich, ein bekannter Soziologe, der praktisch jeden einzelnen der 120 000 Blocks von New York City zu Fuß erkundet hatte; Anita Crumpton, Absolventin des City College, die seit zwei Jahrzehnten als Büroassistentin am Graduate Center der CUNY gearbeitet hatte; und Joseph und Yolanda Dellis, ein Paar, das sich vor fast vierzig Jahren beim Bowling kennengelernt hatte und am Kingsborough Community College gearbeitet hat. Zu den Todesursachen der anderen war nichts in Erfahrung zu bringen. (mehr …)
Eric Hobsbawm: Ein Kommunist erklärt die Geschichte
Eric Hobsbawm war Historiker und Kommunist. Als Historiker hatte er große Erfolge. Als er 2012 im Alter von 95 Jahren starb, wurden fast alle seiner Bücher noch aufgelegt, seine Texte waren in mehr als fünfzig Sprachen übersetzt worden, er selbst genoss weltweites Ansehen. Der Historiker Hobsbawm hinterließ ein beeindruckend umfangreiches Werk, darunter vier breit rezipierte Bände, die die Zeit zwischen 1789 und 1991 umspannen, sowie ein Vokabular, das das Studium der modernen Geschichte revolutionierte: die »Erfindung der Tradition«, »primitive Rebellen«, die »allgemeine Krise« des 17. Jahrhunderts, die »Doppelrevolution«, das »lange 19.« und das »kurze 20. Jahrhundert«.
(Der Essay ist im Augustheft 2019, Merkur # 843, erschienen.)
(mehr …)Der sinnliche Professor
Alle paar Jahre erscheint ein Essay, der die Frage nach sexueller Belästigung an der Universität zum Anlass nimmt, über die schwammigen Grenzen von Lehre und Sex zu sinnieren. Zwar ist das gängigste Erzeugnis dieses Genres die selbstgefällige Apologie eines älteren, männlichen Schwerenöters, aber die Autoren sind weder immer alt noch ausschließlich männlich. Und obwohl einige von ihnen Sex zwischen Studierenden und Professoren (oder Professorinnen) verteidigen, gibt es viele, die das nicht tun.
Diese Letzteren haben etwas Edleres, eher Griechisches im Sinn. Ihnen geht es nicht um Geschlechtsverkehr, sondern um Seelenverwandtschaft. Eros ist ihre Muse, Wissen ihr Verlangen. Wir anderen – wir mit unseren herummarodierenden Belästigungs-Spähtrupps und unserer einfältigen Regel- und Vorschriftsgläubigkeit – übersehen, dass Bildung erotisch aufgeladen ist, und wir haben keine Ahnung davon, dass sich zwei heiße Teilchen allein geistig auf Hochtouren bringen können. Durch unsere Bestrebungen, Sex zu verhindern, riskieren wir, jeden Sexappeal zu verlieren. Diese Autorinnen und Autoren plädieren gegen Schwarz-Weiß-Denken und für Komplexität: Nicht damit der Lehrkörper mit den Studierenden schlafen kann, sondern damit wir offen und ehrlich über Grauzonen in der Lehre sprechen können, darüber, dass die züchtigste Pädagogik solche Funken schlagen kann, dass sie nicht nur an Erotik erinnert und sich so anfühlt – sondern vielleicht sogar dasselbe ist. Ich nenne dieses Genre Der sinnliche Professor .
Der neueste Beitrag ist der Essay The Erotics of Mentorship von Marta Figlerowicz und Ayesha Ramachandran, der im April in der Boston Review erschienen ist. Figlerowicz und Ramachandran sind Literaturwissenschaftlerinnen, wie viele Verfasserinnen dieses Genres. (Sie werden niemals Professoren der Chemie oder der Demografie unter den Autoren eines solchen Stücks finden.) Und wie viele von ihnen schätzen sie den Sexappeal von Akademia sehr hoch ein. »Wahrscheinlich gibt es keine anderen Orte«, so teilen sie uns mit, »die anfälliger für die Vermischung von Arbeit und Romantik sind als Colleges und Universitäten.« Selbstredend hat diese Annahme mehr mit dem glücklichen Umstand zu tun, dass beide Teil von Akademia sind, als mit irgendeinem haltbaren Vergleich zwischen der Universität und anderen Arbeitsstellen. Schließlich ist die Büroromanze ein geläufiger Teil der Populärkultur, deren Schauplätze von einer Bar (Cheers) über eine Detektei (Moonlighting) oder eine Firma für Bürobedarf (The Office) bis hin zu einer Versicherungsagentur (The Apartment) reichen.
Figlerowicz und Ramachandran halten auch die Attraktivität der Einwohner von Akademia für besonders hoch: »Eine der zentralen Eigenschaften des Unilebens ist die Verbindung von reizvollen Ideen mit charismatischen Leuten.« Im Fortgang des Texts wird klar, wer diese charismatischen Leute sind: die mit Professuren. So weit die sinnliche Professorin über den sinnlichen Professor. Wenn Figlerowicz und Ramachandran schreiben, dass »Studierende oft ein Kribbeln im Bauch haben, wenn ihnen eine eindrucksvolle Dozentin begegnet, die genau das verkörpert, wofür sie gerade eben leidenschaftlich entbrannt sind«, denken sie an das, was sie selbst als Studentinnen empfunden haben. »Für viele von uns«, so geben sie später zu, »sind die charismatischen Dozenten von damals noch immer Leuchttürme.«
Tatsächlich besagt eine Genrekonvention, dass sich die sinnliche Professorin zunächst auszumalen hat, was ihre Studierenden wohl empfinden, und zwar anhand dessen, was sie selbst einmal empfunden hat, was sie sodann als allgemeingültig darstellt (»Intellektualität wirkt magnetisch, und ihre berüchtigte wandelbare Anziehungskraft geht oft auch in Erotik über«), wobei sie kaum Notiz davon nimmt, dass diese Gefühle aus ihrer Studienzeit stammen, als sie ihre Laufbahn zur Professur schon angetreten hatte. Was ist mit einer Studentin, die eine Laufbahn als Personalerin vor sich hat? Oder als Steuerberaterin?
Die Frage kommt nie auf, weil es im schummrigen Hinterstübchen des sinnlichen Professors nicht um Sex, sondern um Klasse geht. Figlerowicz und Ramachandran unterrichten an einer Eliteuniversität: Yale. Allan Bloom, der Autor von The Closing of the American Mind , war Professor an der University of Chicago. William Deresiewicz’ Love on Campus wurde 2007 in The American Scholar veröffentlicht, als er ebenfalls (lesen ...)