Merkur-Gespräche

Seit 2015 organisiert der Merkur die Veranstaltungsreihe Merkur-Gespräche, die in loser Folge, an wechselnden Orten in Berlin und zu unterschiedlichen Themen stattfinden. Den Gespräche ist gemeinsam, dass sie sich von Format der klassischen Podiumsdiskussion absetzen. Statt atemlos verlaufender Endlosdiskussionen wollen sie produktiven Dialog provozieren, ohne die Unvorhersehbarkeit mündlicher Gesprächssituationen preiszugeben. Dafür setzen die Merkur-Gespräche auf den Wechsel von Impuls und Respondenz und finden ihren Abschluss in offenen Diskussionen, die das Publikum miteinbeziehen.

Die Merkur-Gespräche werden finanziell unterstützt von der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. und der Gerda Henkel Stiftung; der Eintritt zu allen Merkur-Gesprächen ist frei.

Die Merkur-Gespräche werden 2016/17 fortgeführt, dann in etwas verändertem Format – und nicht mehr nur in Berlin. Geplant sind erstmals zwei Gespräche in Hamburg und Frankfurt am Main. Wer über kommende Veranstaltungen informiert werden möchte, hat die Möglichkeit, den Newsletter zu abonnieren.

vorbereitung

 

Übersicht über vergangene Merkur-Gespräche

Den Auftakt der Reihe machten Merkur-Gespräche 1: Zur Lage der Universität, am 25. Juni im Grünen Salon der Volksbühne. Im Anschluss an den Universitäts-Themenschwerpunkt im Juni-Heft lud der Merkur mit Armen Avanessian, Remigius Bunia, Hanna Engelmeier und Nacim Ghanbari vier junge WissenschaftlerInnen ein, über ihre Erfahrungen an deutschen Universitäten zu sprechen – Institutionen, die in den letzten Jahren rasante Umbauten erfahren haben. Im Zuge der Exzellenzinitiative wurden Forschung und Lehre nach Wettbewerbsprinzipien neu ausgerichtet, wodurch sich die Hochschullandschaft nachhaltig verändert hat: Strukturelle Unterfinanzierung steht punktuellem Drittmittel­überfluss ge­genüber, eine regelrechte Nachwuchsschwemme dem chronischen Mangel an Dauerstellen, immer höherer Verwaltungsaufwand immer größeren Studierendenzahlen. Beate Söntgen, Professorin für Kunstgeschichte und Vize-Präsidentin der Leuphana Universität Lüneburg, respondierte.

Copyright: Die Wucht

 

Im Freitag vom 2. Juli 2015 berichtete Lukas Latz über das Merkur-Gespräch und setzte sich eindringlich mit einigen der diskutierten Probleme auseinander: „An meinem Institut – ich studiere Komparatistik an der FU – fühle ich mich oft wie ein Autodidakt; in der Literatur zu Recht eine Witzfigur. Durch geistige Isolation werden wir zu prätentiösen Narzissten und Knilchen, die Professoren für Götter halten.“

Copyright: Die Wucht

Mara Delius schrieb in der Welt vom 29. Juni 2015: „Beim Diskussionsabend nun trat mit Diskutierenden, die zwischen 1973 und 1983 geboren wurden, ein anderes Phänomen auf – die Generation Postdoc. Es handelt sich dabei um eine Zwischengeneration, akademisch aufgewachsen im Vor-Bologna-Zeitalter, und jetzt, nach der Promotion, vor der Professur, unbehaust zu Hause in einem System, das zwischen der Reform und der Reform der Reform hin und her trudelt. Beklagt wurden undurchsichtige Hierarchiestrukturen, die die Universität als einen überverwalteten Ort erscheinen lassen, der seiner eigenen Verknöcherung dadurch zu entkommen glaubt, dass er in kundenmagazinhafter Sprache von ‚Betreuungsverhältnissen‘ oder ‚Transferkompetenz‘ spricht.“

Merkur-Gespräche 2: Das Netz, historisch betrachtet fand am 23. Oktober 2015 im Berliner Acud statt und lud vier HistorikerInnen und einen Netz-Experten ein, über soziale und mediale Vorgeschichten der digitalen Revolution zu sprechen.

netzhistorisch fotos

Monika Dommann (Professorin am Historischen Seminar der Universität Zürich) diskutierte mit Philipp Felsch (Junior-Professor für Geschichte der Humanwissenschaften an der HU Berlin) über die Geschichte und Gegenwart des Copyright und Copyright-Problemfälle. Im Anschluss sprach Christoph Kappes (Jurist und Unternehmer), der kurzfristig für die leider verhinderte Kathrin Passig (Autorin) einsprang, mit Leonhard Horowski (Historiker und Autor) über Formen politischer Systembildung in Online-Communities. In seinem Kommentar stellte Valentin Groebner (Professor für Geschichte mit dem Schwerpunkt Mittelalter und Renaissance an der Universität Luzern) die Frage, wie die Digitalisierung auch das wissenschaftliche Publizieren verändert.

Eine Videoaufzeichnung von Merkur-Gespräche 2: Das Netz, historisch betrachtet steht auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, zur Verfügung.

Die gesellschaftlichen und ästhetischen Auswirkungen der Digitalisierung bildeten auch den Ausgangspunkt von Merkur-Gespräche 3: Kleine Formen, großen Formen in der Gegenwartsliteratur, das am 8. Februar 2016 im Grünen Salon der Volksbühne stattfand: Literatur spielt sich heute nicht mehr nur in Büchern ab – sondern auch auf den Bildschirmen von iPads und Kindles, von Smartphones und Laptops. Gelesen wird überall und zwischendurch, geschrieben auch. Das Schreiben im Netz favorisiert die kleinen Formen, es entstehen Kurz- und Kürzestschreibweisen: Twitteratur (im Merkur schrieb darüber zuletzt Hannes Bajohr). Wie verändert das unseren Begriff von Literatur und welche Folgen hat es für alteingesessene Gattungen wie den Roman? Hat der Roman als Beschreibung von Gegenwart ausgedient, muss man den „Niedergang des Romans“ ausrufen, wie Ingo Meyer das im Merkur getan hat? (Hier die anschließenden Debatte im Merkur-Blog.) Kathrin Passig (Autorin und Netz-Expertin) und Holger Schulze (Kulturwissenschaftler und Professor für Musikwissenschaft in Kopenhagen, Blogger auf mediumflow) stellten die neuen kleinen netzbasierten Literaturformen vor und absolvierten dabei einen rasanten Parcours in Form von 60 bebilderten Kurzthesen. Anschließend sprachen die beiden Schriftsteller und Romanautoren Kathrin Röggla und Ulrich Peltzer über die Möglichkeit des Romans und das, was sie weiterhin an der Langform interessiert. Der abschließende Kommentar von Eva Geulen (Literaturwissenschaftlerin und Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung in Berlin) wendete sich gegen vereinfachte Gegenüberstellungen von „großer“ und „kleiner“ Form und plädierte für differenzierte Beschreibungen von sowohl Netzschreibweisen als auch zeitgenössischer Romanprosa. In der Schlussrunde meldete sich aus dem Publikum unter anderem Sascha Lobo zu Wort.

„Der Abend war ein kleines Thesenduell. Je ein Doppel pro Halbzeit, plus Verlängerung, sprich Diskussion vor und mit Publikum, das – so ging der Kalauer – sich bitte kurz fassen sollte“, schrieb Marc Reichwein in seiner Besprechung in der Welt vom 9. Februar 2016.

Dirk Knipphals resümierte in der taz vom 10. Februar 2016: „Wenn es der Anspruch war, herauszukriegen, wie die neuen digitalen Formen der Literatur und die traditionelle Form des Romans sich zueinander verhalten, dann war der Abend unbefriedigend. Aber interessant unbefriedigend. Denn er hat gezeigt, dass die Voraussetzungen für so ein Gespräch über neue und alte Literaturformen auf Augenhöhe noch gar nicht recht gegeben sind. Selbst wenn sich alle Beteiligten bemühen, wenig aggressiv aufzutreten, ist vielleicht die Vorstellung, dass es hier um hegemoniale Auseinandersetzungen innerhalb der Kultur geht, sehr stark in den Hinterköpfen.”

Auch von diesem Gespräch gibt es eine Videoaufzeichnung.

Merkur-Gespräche 4: Europas Flüchtlinge unternahm den Versuch, im Nachdenken über die Flüchtlingskrise einen Schritt zurückzutreten und sich von tagesaktuellen Kontroversen zu lösen, um den Blick auf die grundsätzlichen Probleme und Herausforderungen der gegenwärtigen Lage zu lenken. Hierfür lud der Merkur drei JuristInnen und zwei Politikwissenschaftler ein, über die rechtliche und die politische Dimension der Flüchtlingsfrage zu diskutieren, aus deutscher und europäischer Perspektive. Das Gespräch fand am 18. April 2016 im Berliner Haus der Kulturen der Welt statt. Zunächst sprachen Helmut König (Professor für für Politische Wissenschaft an der RWTH Aachen) und Herfried Münkler (Professor für Theorie der Politik an der HU Berlin) über die Flüchtlingskrise aus politikwissenschaftlicher Sicht; sie plädierten für einen historisch informierten Blick auf Migrationserfahrungen und verteidigten die Merkels Flüchtlingspolitik. Die beiden Juristen Christoph Möllers (Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der HU Berlin) und Christoph Schönberger (Professor für Öffentliches Recht, Europarecht, Vergleichende Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Konstanz) kritisierten hingegen die Politik und Kommunikation der Bundesregierung in der Flüchtlingsfrage, in der sie keine Strategie erkennen konnten und deren europapolitischen Folgen sie für fatal hielten. In ihrer Respondenz stellte Alexandra Kemmerer (wiss. Koordinatorin am Max-Planck-Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht) fest, dass die Juristen politisch argumentiert hätten, während die Politikwissenschaftler sich eher ins Historische zurückzogen, und warnte vor idealisierenden Migrationsnarrativen. In die Schlussdiskussion schalteten sich aus dem Publikum auch die Journalisten Gustav Seibt und Ralph Bollmann ein.

schlussrunde

Im Merkur-Blog gibt es eine ausführliche Zusammenfassung der diskutierten Thesen und Streitpunkte; außerdem steht auf L.I.S.A. die Videoaufzeichnung des Gesprächs zur Verfügung.

Merkur-Gespräche 5: Wohnen in der Stadt  ist heute mit vielfältigen Erwartungen und Vorstellungen verbunden: Arbeit, Leben und Konsum werden längst nicht mehr als topografisch und sozial getrennte Sphären gesehen, gesucht werden stattdessen Modelle der Vernetzung und Nutzmischung im Stadtraum. Hinzukommen vielerorts steigende Einwohnerzahlen sowie neue Formen des Zusammenlebens, die zu den Wohnraumstrukturen des Modells Kleinfamilie noch Singlehaushalt nicht mehr passen und Architekt*innen und Städteplaner*innen vor Herausforderungen stellen. Wie Wohnen in der Stadt zukünftig aussehen wird, wie man dem qualitativen Anspruch und quantitativen Bedarf in der architektonischen und urbanen Planung begegnen kann, diskutierten im fünften Merkur-Gespräch am 02. Juli 2016 die Architekt*innen Matthias Sauerbruch (Sauerbruch Hutton) und Silvia Carpaneto (carpaneto.schöningh architekten), die Professorin für Städtebau und Regionalplanung an der TU München Sophie Wolfrum, der Architekt und wissenschaftliche Mitarbeiter an der TU Berlin Christian von Oppen und Christian Demand.

Matthias Sauerbruch und Silvia Carpaneto stellten – in formaler Abweichung vom doppelten Dialog der sonstigen Gespräche – zu Beginn des Abends jeweils eines ihrer Bauprojekte vor, um zu zeigen, mit welchen Anforderungen man im Prozess eines Bauprojekts konfrontiert wird. Das erste Kurzreferat von Matthias Sauerbruch widmete sich unter anderem dem Bauprojekt an der Lehrter Straße, wo Sauerbruch Hutton für die Gesamtplanung von über 1000 neuen Wohnungen im ehemaligen Güterbahnhofsgebiet planen. Diese Neubebauung ist nicht nur angesichts der perspektivisch stark ansteigenden Einwohnerzahl in Berlin von Bedeutung, sondern bietet konkrete Vorschläge für die Integration sozialer wie natürlicher Aufenthaltsräume im städtischen Leben und Wohnen. Das Projekt Lehrter Straße antwortet darüber hinaus auch auf das Problem von Lärmbeschallung, deren Dämmung in Großstädten zunehmend zu einem zentralen Kriterium des Städtebaus wird.

Silvia Carpaneto sprach anschließend unter anderem über das Bauprojekt Spreefeld in Berlin Mitte, an dessen Realisierung sie mit carpaneto.schöningh architekten als einem von drei Berliner Baubüros beteiligt ist. Das Bauprojekt Spreefeld geht durch die Verflechtung von Gemeinschaftsplätzen und Wohnungen gezielt auf die Bedürfnisse nach flexiblen Wohnkonzepten und neuen Formen des gemeinschaftlichen Wohnens in der Stadt ein und antwortet damit auch auf die Grenzverschiebungen und -verwischungen von öffentlicher und privater Sphäre.

Im Anschluss an die zwei Einzelpräsentationen diskutierten Silvia Carpaneto und Matthias Sauerbruch gemeinsam mit Sophie Wolfrum, Christian von Oppen und Christian Demand. In der Abschlussrunde wurde insbesondere die Funktionstrennung im Städtebau der Moderne diskutiert, die die Forderungen an Architektur, Urbanistik und Politik veränderten.

Die Videoaufzeichnung von Merkur-Gespräche 5: Wohnen in der Stadt wurde auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, veröffentlicht.

Merkur-Gespräche 6: Die Arbeit der Verlage. Das sechste Merkur-Gespräch war eine Novität: Erstmals fand ein Gespräch der Reihe außerhalb Berlins statt. Gemeinsam mit dem Promotionskolleg „Schreibszene Frankfurt“ der Goethe-Universität Frankfurt wurden die Merkur-Gespräche zum Thema „Die Arbeit der Verlage“ am 02. November 2016 in Frankfurt am Main organisiert. Die Fragen nach dem Beitrag von Verlagen zum Zustandekommen von Texten sowie nach der Rechtfertigung von Ausschüttungsquoten wurden im Zuge der VG-Wort Klage kontrovers diskutiert. Im Merkur-Gespräch gaben drei Experten Einblicke in die verschiedenen Bereiche der Verlagsarbeit, vom Lektorat bis zum Marketing, und schnell wurde klar, dass die sehr diversifizierte Verlagskultur es nicht erlaubt, von der Arbeit der Verlage zu sprechen. Die Verlegerin Christiane Frohmann (Orbanism, Frohmann Verlag) und die Literaturagentin Elisabeth Ruge (Elisabeth Ruge Agentur) sprachen über die Arbeit großer wie kleiner Publikumsverlage, deren Arbeit zunehmend von Parametern der Verkäuflichkeit bestimmt wird, was unter anderem zu Lasten des Lektorats geschieht. Zum anderen ging es um die Möglichkeiten neuer digitaler Formen, die lange zugunsten einer „klassischen Printkultur“ vernachlässigt wurden (und nach wie vor vernachlässigt werden), deren Einbindung heute aber notwendiger denn je ist, auch um Marktriesen wie Amazon und Google Books entgegentreten zu können.

Dass die Problematik im Falle der Wissenschaftsverlage ganz anders gelagert ist, zumal man sich hier nicht nur auf nationaler, sondern auch und vor allem auf internationaler Ebene bewegt, zeigte das zweite Gespräch zwischen Klaus Mickus (content-press KG), der Berater für wissenschaftliches Publizieren und Open Access-Experte ist, und Ekkehard Knörer, der kurzfristig für Alexander Grossmann einsprang. Dass Wissenschaftsverlage sich dabei auch finanziell in anderen Größendimensionen bewegen, ergibt sich unmittelbar aus der Verschränkung mit und Abhängigkeit von öffentlichen Geldern und Forschungsinstitutionen. Dysfunktional ist die Verteilungs- und Finanzpolitik von Wissenschaftsverlagen jedoch nicht nur für öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken, sondern auch für Autor*innen. Gravierende Unterschiede tun sich außerdem zwischen Publikationen im naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Bereich auf, was auch in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum angesprochen wurde. Die Respondenz und Moderation des zweiten Gesprächsteils übernahm Julika Griem, eine der beiden Sprecherinnen des Promotionskollegs „Schreibszene Frankfurt“ und Professorin für anglistische Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie betonte nochmals, dass die Fragen, die sich aktuell und in Anschluss an das VG-Wort Urteil stellen, insbesondere die Differenzierungen und Nicht-Differenzierungen anbelangen, die zwischen Autor*innen, Verlagen sowie zwischen Wissenschafts- und Publikumsverlagen getroffen werden.

Die Videoaufzeichnung von Merkur-Gespräche 6: Die Arbeit der Verlage wurde auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, veröffentlicht.

Merkur-Gespräche 7: Was wird Theater? Für die siebte Veranstaltung am 19. Januar 2017 kamen die Merkur-Gespräche wieder nach Berlin in das Litteraturhaus Lettrétage und widmeten sich der Frage, die in Berlin, München und den Feuilletons heftig debattiert wurde: „Was wird Theater?“ Anlass für den Streit um die Zukunft des Theaters waren die Intendantenwechsel an den Münchner Kammerspielen (und die teilweise sehr heftigen Reaktionen auf die erste Spielzeit) und an der Berliner Volksbühne (wo schon die Vermeldung der Personalie Dercon für massive Debatten gesorgt hatte). Die Frontverläufe spiegelten sich auch in den Gesprächen des Veranstaltungsabends, die dieses Mal von der ehemaligen HAU-Dramaturgin und Professorin für Angewandte Theaterwissenschaft und Produktionsdramaturgie Stefanie Wenner (HfBK Dresden), dem Kurator für Musik und Freie Szene Christoph Gurk (Münchner Kammerspiele), dem Leiter der Berliner Festspiele Thomas Oberender und der Leiterin des Jungen DT Birgit Lengers (Deutsches Theater, Berlin) sowie der Theaterkritikerin Eva Behrendt (Theater heute) geführt wurden.

Dass die Fragen danach, was Theater ist und wird, auch Fragen danach sind, wie nah am Drama, wie frei, wie hybrid, wie offen für andere Künste und Technologien Theater sein soll und kann, wurde in beiden Gesprächen deutlich. Thomas Oberender und Stefanie Wenner, die das erste Doppel des Abends bildeten, näherten sich diesem Fragenkomplex unter anderem über den Begriff der Immersion als Leitbegriff für gesellschaftliche Veränderungen, aber auch als Prinzip und Phänomen der Wirkung von Technologien auf verschiedene Formen der Kunst. Stefanie Wenner plädierte dafür, das Theater als Raum nicht ausgehend von Dialogen, sondern stärker vom Raum selbst und den Dingen her zu denken. Der Theaterraum eröffnet eine Laborsituation, die neue multilaterale Erlebnisräume und Realitäten hervorbringen kann. Daher brächte man das Theater um seine Möglichkeiten, wenn man auf einer festen Ordnung des Raumes beharrt. Thematisiert wurde in diesem Gespräch auch die Position des Theaters in der Öffentlichkeit als gesellschaftliche Institution und Schauplatz für gesellschaftliche Vorgänge. Gerade durch das Erzeugen anderer Realitäten vermöge das Theater der realen Welt als Spiegel und Kontrastfolie gegenüberzustehen und eine eigene Sprache und Kultur der Kritik hervorzubringen.

Um die Frage nach den Möglichkeiten, im und mit dem Theater über Öffentlichkeit nachzudenken, ging es auch im zweiten Dialog des Abends zwischen Birgit Lengers, der Leiterin des Jungen DT in Berlin, und Christoph Gurk, Kurator bei den Kammerspielen in München. Gerade das Stadttheater biete dafür, so Gurk, einen wichtigen Bezugsrahmen; wenig hilfreich seien allerdings dogmatische und restaurative Vorstellungen, wie sie in den Diskussionen um die Kammerspiele wie die Volksbühne in teils erstaunlichen Konstellationen und Koalitionen vertreten werden. In Anschluss an Stefanie Wenner betonte auch Birgit Lengers die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Raum; sie berichtete überdies von gelungenen Anstrengungen des Jungen DT, sehr gezielt dem Theater- und Kulturmilieu eher fernstehende Publika zu adressieren.

Patrick Schmidt berichtete in der Welt vom 24. Januar 2017 über das Merkur-Gespräch und schrieb: „Hat das Theater eine Zukunft? Natürlich! Aber welche soll es sein? Diese Frage wird derzeit so kontrovers diskutiert wie lange nicht mehr. Die Erregung ist groß, die Bandagen sind hart in der Auseinandersetzung um die Berliner Volksbühne und die Münchner Kammerspiele. Zukunft, so scheint es, ist gegenwärtig vor allem ein Angstraum. Für unaufgeregte, aber präzise Reflexion bleibt da wenig Platz. Weshalb die Kulturzeitschrift „Merkur“ zur Theater-Diskussion ins Kreuzberger Literaturhaus Lettrétage lud.“

In der FAZ vom 21. Januar 2017 schrieb Irene Bazinger über das Merkur-Gespräch und kritisierte die vermeintliche Einigkeit der Diskutant*innen bezüglich des Themas: „Sie [die Teilnehmer*innen] waren nämlich von vornherein der gleichen, festen Meinung: Sie wollen den Theaterbetrieb, „der so ein bisschen verschlafen“ ist, ins 21. Jahrhundert bringen. Sie sind für „nachhaltiges Theater“. Sie wollen „neue Erlebnissituationen“ schaffen. Sie wollen im Grunde keine Theater, sondern „Labore“, und keine Stücke, sondern „ergebnisoffene Experimente“.

Auf Frau Bazingers Kritik antworteten Christian Demand und Ekkehard Knörer am 22. Januar 2017 im Merkur-Blog: „Die Merkur-Gespräche sind nicht als Fortsetzung dieser unsäglichen Scheindebatten gedacht, sie sind ein Ort fürs zivilisierte, im Idealfall ergebnisoffene Gespräch. Deshalb suchen wir die TeilnehmerInnen vor allem danach aus, ob wir von ihnen ein Denken erwarten dürfen, das sich nicht in simplen und schon darum falschen Oppositionen gefällt. Wie gut das funktionieren kann, hat der Abend unserer Ansicht nach gezeigt.“

Merkur-Gespräche 8: Sind die Museen überfordert? Vom Nutzen und Nachteil des Sammelns für das Leben handelte das achte und letzte Merkur-Gespräch, das am 27. März 2017 in Hamburg stattfand. Die Frage nach dem Umgang mit Sammlungen und Archiven stellt sich den Museen als Ausstellungsorten einerseits durch ihren Generalauftrag zur stetigen Erweiterung der bestehenden Sammlungen und andererseits bezüglich der Suche nach neuen Depoträumen, die die Bewahrung der sich beständig vervielfältigenden Ausstellungsstücke erst ermöglichen. Die Ressourcen der Häuser werden in Zukunft mehr und mehr auf die Instandhaltung und Pflege der Sammlungen verwendet werden müssen, was bereits heute zu mangelnden Ankaufsetats der Häuser führt, weshalb Museen ihrer Aufgabe, der Bewahrung und Präsentation kulturell bedeutender Artefakte für die Öffentlichkeit, mitunter nicht mehr gerecht werden können.

Kann man angesichts der wachsenden Bestände und schrumpfenden Ressourcen eine Überforderung der Museen beobachten? Müsste die Verwaltung der Häuser sich nicht nur mit der Frage nach der Erweiterung der Sammlungen, sondern auch ihrer Dezimierung, das heißt strategischer „Entsammlung“ befassen?

Dass angesichts der Diversität der Museen keine einstimmige Antwort auf diese Fragen gefunden werden kann, zeigte bereits das erste Gespräch des Abends zwischen Christoph Martin Vogtherr (Kunsthalle Hamburg) und Lisa Kosok (HafenCity University Hamburg). Die Rolle des Museums bestimmte Vogtherr als Vermittlungsinstanz zwischen Sammlung und Öffentlichkeit; der Grundauftrag wie die Energiequelle des Museums ist jedoch die Sammlung. Deren Bedeutung besteht gleichzeitig in ihrer Funktion als öffentliches Gedächtnis, das heißt in der Bewahrung, Restauration und Ausstellung von Objekten, deren Nutzen für die Öffentlichkeit durch das Museum hergestellt und gesichert wird. In dieser Funktion können Museen eine bestimmte Form von Wissensproduktion und -diskurs befördern, die von anderen Institutionen wie Universitäten nicht in gleicher Weise geleistet werden können, da dieses Wissen wesentlich objektbezogen ist. Lisa Kosok betonte, dass die Art und Weise des Sammelns sich im Laufe der Zeit verändert hat, die Museen mit neuen Aufgaben, die beispielsweise aus den Defiziten der Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts resultieren, beschäftigt sind. Museen sind Orte, die sich sammelnd und so auf Tradition bezogen und Traditionen schaffend mit der Gesellschaft auseinandersetzen. Was überliefert und erinnert werden soll, muss jedoch beständig zeitspezifisch neu verhandelt werden. Angesichts der Aufblähung der Sammlungen müsse man jedoch auch die Grenzen der Sammlungen thematisieren. Eine Möglichkeit auf diese Problematik zu antworten wäre die digitale Erschließung und Vernetzung von Sammlungen, die die Kollaboration verschiedener Häuser erfordern würde.

Im zweiten Gespräch des Abends zwischen Esther Ruelfs (MKG Hamburg) und Martin Koerber (Deutsche Kinemathek) wurde insbesondere die Frage nach dem Umgang mit Nachlässen thematisiert. Der Ankauf von Nachlässen im Bereich der Kunst und Fotografie stellt bereits aufgrund der begrenzten Möglichkeiten zur Deponierung und Aufbereitung eine Herausforderung dar. Doch gerade in Anbetracht der Überlieferungsaufgabe von Museen erfordert der Umgang mit Nachlässen Expertise, da die Werke mancher Künstler*innen erst Jahrzehnte später Bedeutung erhalten. Angesichts der begrenzten Kapazitäten und Ressourcen stellt sich auch hier die Frage, ob Museen sich auf ein grundständiges Repertoire begrenzen oder der Bewahrung von Dingen widmen sollen, um Werke und Artefakte Marktmechanismen zu entziehen oder vor dem Vergessen zu bewahren, obgleich sie nicht sofort in bestehende Bestände eingearbeitet werden können. Für den Umgang mit Filmen und die Aufgabe von Filmarchiven scheint letzteres zuzutreffen. Gerade hier zeigt sich, so Koerber, dass Filme, die lange Zeit künstlerisch und historisch nicht relevant schienen, mitunter Dekaden später gesellschaftlich virulent werden.

Michael Fehr, der die abschließende Diskussionsrunde leitete, betonte den Unterschied von Sammlungen und Museen, insbesondere da das Sammeln als eine anthropologische Tätigkeit gefasst werden sollte und Museen nicht zwangsläufig als Sammler auftreten müssen. Michael Fehr vertrat zudem die These, dass Museen, im Gegensatz zu Archiven, Dinge sammeln, die für die Gesellschaft nicht mehr relevant sind. In dieser historisch rückwärtsgewandten Funktion müssen Museen verstärkt darauf achten, inwiefern man durch das Exponieren von Dingen vergangene wie aktuelle Wissensordnungen repräsentieren und beeinflussen kann.

Die Videoaufzeichnung von Merkur-Gespräche 8: Sind die Museen überfordert? Vom Nutzen und Nachteil des Sammelns für das Leben wurde auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, veröffentlicht.