Zusammenfassung „Merkur-Gespräche 4: Europas Flüchtlinge“, HKW, 18. April
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Am 18. April fand im Berliner Haus der Kulturen der Welt das vierte Merkur-Gespräch statt, diesmal zum Thema „Europas Flüchtlinge“. Es sprachen erst die Politologen Helmut König und Herfried Münkler, dann die Juristen Christoph Schönberger und Christoph Möllers miteinander. Alexandra Kemmerer respondierte und moderierte dann die Runde mit allen Beteiligten. Hier eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs. Eine Videoaufzeichnung des Abends wird demnächst auf dem L.I.S.A.-Portal der Gerda Henkel Stiftung zu sehen sein, die gemeinsam mit der Alfred Toepfer Stiftung die Veranstaltungsreihe möglich macht.
Migrationserfahrung und Realpolitik
In der ersten Runde kamen nach jeweils rund fünfminütigem Kurzstatement Helmut König, Politikwissenschaftler aus Aachen, und Herfried Münkler, Politikwissenschaftler aus Berlin, ins Gespräch. Sie waren sich einig darin, einen historisch informierten Blick auf die Flüchtlingskrise zu fordern – und sprechen über deutsche (die Hugenotten in Berlin, Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg) sowie grundsätzlich über menschliche Migrationserfahrungen, den Menschen als Flüchtling, von Ahasver und Exodus bis zur Aeneis.
In der Diskussion zur gegenwärtigen Krise setzte Münkler, wie in seinen Veröffentlichungen, etwa auch seiner Auseinandersetzung mit Peter Sloterdijk (Welt, Zeit), auf realpolitische Argumente. In Angela Merkels Grenzöffnungs- (bzw. Grenzenichtschließungs)Beschluss erkennt er nach wie vor eine Strategie, und zwar eine, zu der es nur viel problematischere Alternativen gegeben hätte. Sie habe Zeit gekauft, um den Schengen-Raum zu retten; dies auch unter dem längerfristig wirksamen Gesichtspunkt, dass Deutschland sich biologisch nicht reproduzieren kann und deshalb – da verweist Münkler auf Franz-Xaver Kaufmann – Immigration dringend braucht. In einer Wortmeldung aus dem Publikum wies zu den Ereignissen des September 2015 Gustav Seibt „als Historiker“ darauf hin, dass man in die genauen Abläufe ja keine Einsichten habe. An der häufig zu lesenden Darstellung, dass es zunächst so gut wie keine Abstimmung mit den europäischen Partnern gegeben habe, habe er seine Zweifel.
Einig war man sich allerdings darin: Was immer die Strategie im September 2015 war oder auch nicht, der Umgang mit der Migration könne nur auf eine Einwanderungspolitik hinauslaufen, die Migranten gezielt und nach den Bedürfnissen des Einwanderungslands auswählt. Die Frage, wie klar eine Unterscheidung zwischen Migranten und Flüchtlingen angesichts der Realität, in der beides sich mischt, getroffen werden kann (oder muss), war allerdings deutlich umstritten – das war eine Frage, die Ralph Bollmann in einem Beitrag aus dem Publikum mit Verweis auf den immer teilweise anarchischen Verlauf von Einwanderungen noch einmal akzentuierte. Ausdrücklich optimistisch sah Münkler (sahen aber auch bis auf Alexandra Kemmerer alle anderen) die Frage der Integration. Kulturalistische Deutungen, die im Islam ein zentrales Integrationshindernis sehen, fand Münkler nicht überzeugend. Zentral sei vielmehr, den Flüchtlingen eine klare Arbeitsperspektive zu verschaffen. Problematisch werde es, wie die deutsche Gastarbeitergeschichte zeige, wenn es keine Integration durch Arbeit gibt, insbesondere für die Frauen. Damit das gelinge, müsse allerdings sehr viel Geld klug und gezielt investiert werden.
Strategisch oder nicht?
Möllers und Schönberger konnten in Merkels Handeln und dem Kommunizieren ihres Handelns insbesondere durch den Regierungssprecher keine Strategie erkennen, schon gar keine vernünftige. Auf eine Diskussion von Rechtsfragen legten beide interessanterweise keinen besonderen Wert – juristisch rechtfertigbar erschien das Regierungshandeln beiden (in seiner mit Jürgen Bast verfassten scharfen Kritik an Udo Di Fabios Gutachten hatte Christoph Möllers das öffentlich ausgeführt). Eher kritisierte Schönberger, dass die Merkel-Politik durch den Verzicht auf klares Entscheiden, klare Strategien und klare Kommunikation grundsätzlich dazu tendiert, die Verantwortung Richtung Recht zu schieben. Münklers (machiavellistische) These, die Politik habe strategisch gehandelt, ihre Strategie aber bewusst nicht klar kommuniziert, hielten Möllers wie Schönberger für abwegig. Eher schon hielten sie die Deutung von Christoph Hochhäusler aus dem Publikum für interessant, dass die Regierung und insbesondere Merkel so ambivalent kommunizierten, dass ständig Streit um die grundsätzliche Deutung des Handelns und des Gesagten ausbreche. Ob das nun bewusst oder unbewusst passiere: Es trage zur Unübersichtlichkeit der Narrative bei und produziere sehr unterschiedliche Erzählungen darüber, was jeweils der Fall sei.
Moralisierung
Vielfach beklagten die beiden Juristen, dass die Politik an die Stelle klarer strategischer Ansagen und der Erklärung der Politik eine Moralisierung des Diskurses gesetzt hat, oder mindestens nichts gegen diese Moralisierung unternahm. Das wollten weder Möllers noch Schönberger als Einspruch gegen die humanitäre Politik verstanden wissen, sondern als Versagen auf der Ebene der politischen Vermittlung und Argumentation. Heftig kritisierten sie auch, dass Deutschland viel zu wenig unternommen habe, die europäischen Partner einzubeziehen: Im Effekt sei das politische Verhalten gerade, indem es sich im Alleingang als mustereuropäisch dargestellt habe, anti- oder jedenfalls a-europäisch gewesen. Das einst unverbrüchliche Verhältnis zu Frankreich sei fürs erste zerstört, Deutschland sei isoliert – und habe mit seiner Türkeipolitik nach dem moralischen Herbst den Status quo ante wiederhergestellt, freilich zu deutlich verschlechterten Konditionen. Und das Schlimmste: Im Endeffekt werde dabei gleich auf zwei Ebenen das Erstarken des Rechtspopulismus gefördert – im antieuropäischen Affekt, der aus dem nichtsolidarischen Handeln mit den europäischen Partnern resultiere; und in der Moralisierung, die ihrerseits starke Affekte gegen die moralischen Ansprüche mobilisiere.
Gegen diese Vorwürfe betonten sowohl König als auch Münkler, dass politisches Handeln immer der Kontingenz unterworfen bleibe – und warfen den Juristen ein formalistisches juristisches Denken vor, das klare Unterscheidungen und klare Entscheidungen und klare Strategien erwarte, wo es nur Kompromisse und flexibles Agieren vor Hintergrundüberzeugungen geben könne. Das hatte allerdings nicht nur Alexandra Kemmerer anders gesehen, die in ihrer Respondenz erstaunt feststellte, dass bis dahin die Juristen politisch argumentiert hätten, während sich die Politikwissenschaftler eher ins Historische zurückzogen. Die historischen Verweise der Politologen hielt sie noch dazu für stark idealisierend. Erfahrung mit Migration sei immer auch Erfahrung mit Leid, Kommunikationslosigkeit und tiefgreifender Fremdheit gewesen. Damit gelte es deshalb auch bei der neuesten Migrationswelle zu rechnen.
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