Jetzt neu: Merkur 792, Mai 2015
Im Maiheft des Merkur nimmt Friedrich Wilhelm Graf kein Blatt vor den Mund: "Die beiden großen deutschen Volkskirchen sind nur noch erschreckend geistlose Organisationen."In Grafs Essay geht es dabei um ein schlagendes Beispiel: die strikte Ablehnung des ärztlich assistierten Suizids. Diese ist auch theologisch falsch, erklärt Graf, und warum das so ist, kann man nicht nur im Heft, sondern auch frei online nachlesen. Uns hat Grafs fundierter Furor so überzeugt, dass wir für ihn die Heftarchitektur umgestürzt haben: Was als Kolumne geplant war, ist nun der Aufmachertext. Der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg – der übrigens nie im Merkurveröffentlicht hat – hat postum weiter Hochkonjunktur. Auf einige Texte in jüngerer Zeit folgt ein Doppel, das weniger die Redaktion als der Zufall der Angebotslage gefügt hat. Birgit Recki, selbst Blumenberg-Schülerin, porträtiert den Denker und Lehrer so leidenschaftlich wie kenntnisreich. Im zweiten Artikel, einem Rezensionsessay, geht es um Blumenbergs zunächst positive, dann kritische Haltung zu Hannah Arendt; eine Entwicklung, die Hannes Bajohr auch anhand unveröffentlichter Dokumente aus dem Literaturarchiv in Marbach sehr präzise nachzeichnen kann. Spiel beste friv spiele auf der seite friv spiele jetzt. Im Januar hatten wir einen Schwerpunkt zur Gegenwart des Digitalen. Dass wir das Thema weiter verfolgen, versteht sich von selbst. So gibt es auch im Mai drei Essays, die aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf das Internet blicken. Günter Hack ist nicht nur einer der vielseitigsten Intellektuellen, die sich mit diesen Fragen befassen – er ist auch gelernter Schriftsetzer. (Von den großartigen Vogelvignetten, die er für uns regelmäßig verfasst, ganz zu schweigen.) Diese Fachkunde ist in seinem spannenden Text über die Entwicklung der Typografie hin zur Gegenwart des Responsive Design nicht zu übersehen. Daneben zeigt Michael Esders, wie im Netz Wörter und Sprache zum Gegenstand von Ranking- und Kapitalisierungsinteressen geworden sind. Und Max-Otto Baumann diagnostiziert ein weit reichendes Datenschutzversagen der deutschen Politik - dies ist der zweite online freigeschaltete Text aus dem Heft. Der Überblick über das Maiheft findet sich hier.Neugier, Hoffnung, Kraft und Lust
Lieber Merkurblog, heute habe ich Dir einmal aufgeschrieben, was ich alles an Berlin so mag. Berlin ist die Stadt der Jugend und der Künstler! Die Künstler, die aus aller Welt nach Berlin kommen, sind so jung, dass man in dieser Stadt mit 50 Jahren als Kulturpolitiker schon zu alt ist. Sie sind so erfüllt von Neugier, Hoffnung, Kraft und Lust, dass ihre Neugier, Hoffnung, Kraft und Lust die ganze Stadt ergriffen haben. Berlin ist die Stadt der Neugier, Hoffnung, Kraft und Lust. Die Stadt des Aufbruchs. Ja, es ist Frühling in Berlin! Und jetzt, in der Zeit der Kirschblüte, bittet Berlin die letzten Intendantengreise, ihre Sessel zu räumen. Liebevoll, in Dankbarkeit, aber auch entschlossen. 50 ist das neue Rentenalter für Intendanten in Berlin. Adieu, Peymann, Castorf, Flimm, Dercon. Das muss so sein. Die Künste müssen die Gegenwart packen und umarmen, ganz ganz fest. Das können nur Künstler, die voll in der Gegenwart leben, weil sie wissen, dass sie noch Zukunft vor sich haben. "Na klar", sagen Peymann, Castorf, Flimm, Dercon. "Das verstehen wir. Wir gehen gern und in Frieden." Und aus Wilmersdorf ruft Thomas Ostermeier: "Ich bin zwar erst 46, aber auch schon viel zu lange im Amt. Ich gehe auch. Ich bin so gespannt, was nach mir kommt!" Die Neugier auf die Kraft und Lust der Jugend hat sie alle gepackt. Die unbändige Lust auf Veränderung! (mehr …)Leserkommentar zu Ina Hartwigs „Reproduktionsmedizin als Metapher“
Ein Kommentar von Leser Manfred Schmidt zu Ina Hartwigs im Aprilheft erschienenem Beitrag Reproduktionsmedizin als Metapher.Klinische Unikate
Das, was sie tut, kam mir schon immer so vor wie das Wort, mit dem wir sie bezeichnen: Reproduktionsmedizin. Sachlich, semantisch genau, kein Euphemismus, wie wir ihn sonst gern verwenden, wenn wir Ungeheures bezeichnen wollen. Ich denke an Joysticks und Männer mit Mundschutz, an keimfreie Forschungslabore und das kalte Metall der Rechtsmedizin, an säuselnde Stimmen, die Wunschkinder und Elternglück versprechen. Das sind die ersten Bilder. Denkt man aber genauer darüber nach, dann ist dieses kühle Wort doch ein Euphemismus. Denn es geht ja gar nicht um die Vervielfachung, die Reproduktion eines Originals, sondern tatsächlich um die Schöpfung dieses Originals selber. Was wir Reproduktionsmedizin nennen, ist in Wirklichkeit also eine Produktionsmedizin, ein innovativer Zweig der medizinischen Forschung, der menschliche Unikate mit den Mitteln avancierter Biotechnologie erschafft; anders kann man es nicht nennen, wenn man die Sache nüchtern betrachtet. Aber kaum jemand tut das. Im April-Heft des Merkur analysiert die Literaturkritikerin Ina Hartwig Fotos von Susan Sontag und Annie Leibovitz' Tochter Sarah und schreibt dabei im Subtext eine seltsame Hymne auf die tröstenden Möglichkeiten jener Praxis des künstlichen Menschenmachens. Die Reproduktionsmedizin schließt sie kurz mit dem "euphorischen Möglichkeitsdenken vieler Amerikaner und vieler Homosexueller" und freut sich daran, dass diese Technologie "der Natur ein Schnippchen schlägt". (mehr …)François Maspero (1932-2015)
“Évidemment, tout le problème réside dans la forme d’écho qu’on peut être”
Die Geschichte der Intellektuellen in der Bundesrepublik ließe sich als eine Geschichte der Kindernazis und Nazikinder schreiben. Das geistige Leben in Frankreich hingegen stand gerade in den drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ganz im Zeichen der Résistance. Oft war das ein Gestus der Revolte, der mit der historischen Wirklichkeit der Kollaboration wenig zu tun hatte. Bei François Maspero war es Familiengeschichte. Seine Eltern wurden von der Gestapo verhaftet. Sein Vater, ein Sinologe und Professor am Collège de France, kommt in Buchenwald um, seine Mutter entgeht dort nur knapp dem Tod. Sein älterer Bruder Jean stirbt 1944, er hatte sich nach der Landung der Alliierten auch den amerikanischen Invasionstruppen angeschlossen. Maspero wollte den Nazis nicht das letzte Wort über die Erinnerung an seine Familie überlassen. Wenn ich lese, was er diesbezüglich zu Protokoll gab, muss ich an Tarantinos Inglorious Basterds denken: "Ich bin sehr stolz darauf, dass mein Bruder mit 19 schon drei deutsche Offiziere auf offener Straße erschossen hatte." Jean, ein Heckenschütze der Résistance, wurde keine 20. Er betrachtete den Tag, an dem sein Bruder starb, als sein eigentliches Geburtsdatum. Es war die Geburt "zum Tod", so Maspero später. Doch zuvor muss man leben. Noch bevor François Maspero als Verleger bekannt wurde, war er als Buchhändler tätig. Sein Ethnologiestudium hatte er abgebrochen. Er eröffnete "La Joie de lire" 1955, ein Buchladen, den er von einem ehemaligen Anhänger Pétains übernommen hatte. Entsetzt über das Verhalten des französischen Staates im Algerienkrieg, steigt er 1959 auch in das Verlagswesen ein. Der Maspero-Verlag veröffentlichte Pamphlete des Kriegsgegners: Die führenden Köpfe der algerischen Befreiungsbewegung FLN kamen zu Wort. Dazu kamen Texte, in denen es immer um die systematische Folterpraxis der französischen Armee ging. Andere richteten sich an französische Soldaten und ermunterten sie zur Fahnenflucht. Nicht weniger als 13 Bücher wurden allein zwischen 1960 und 1962 von der Justiz verboten. (mehr …)Zum Tod von Günter Grass
Günter Grass, der heute gestorben ist, war im Merkur nur vier Mal vertreten, davon zweimal mit Vorabdrucken aus Romanen (einmal, 1958, zur Blechtrommel und einmal, 1976, zum Butt). Die Suche im Archiv ergibt aber den folgenden Fund einer sehr schönen Vignette, in der Helmut Heissenbüttel von einer Tagung der Gruppe 47 berichtet. (Der vollständige Text, der noch zwei mit dem dritten nicht direkt verbundene Teile enthält, ist im August 1965 erschienen und hier - kostenpflichtig - komplett lesbar.)
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