• Merkur-Gespräche 7: Was wird Theater?

    Es wird mal wieder grundsätzlich über das Theater gestritten. Anlass sind die Intendantenwechsel an den Münchner Kammerspielen und an der Berliner Volksbühne. Die Frontverläufe sind nicht unbedingt dieselben: In München haben wichtige Schauspielerinnen des Ensembles gekündigt, es gibt Produktionen mit Gruppen der freien Szene, und eine konservative Kritik fürchtet den Untergang der Sprech- und Stadttheatertradition; in Berlin stehen im Kampf um die Zukunft der Volksbühne eher Avantgardetraditionen gegeneinander. Aus Sicht des alten Volksbühnenteams droht die Übernahme durch den neoliberalen Kunstkapitalismus. Aus Sicht von Chris Dercon zeigt sich darin Berliner Provinzialismus. Daher die Frage: Was ist und was wird Theater? Wie nah am Drama, wie frei, wie hybrid, wie offen für andere Künste? Es diskutieren in der siebten Folge der Merkur-Gespräche die ehemalige HAU-Kuratorin und Professorin für Angewandte Theaterwissenschaft und Produktionsdramaturgie Stefanie Wenner (HfBK Dresden), der Dramaturg und Kurator für Freies Theater und Musik  Christoph Gurk (Münchner Kammerspiele), die Leiterin Junges DT Birgit Lengers (Deutsches Theater, Berlin) und Thomas Oberender (Berliner Festspiele). Es kommentiert und moderiert die Theaterkritikerin Eva Behrendt (Theater heute). (mehr …)
  • Der hässliche Eiffelturm. Ein Jahr mit den Goncourts (XI)

    Der Eiffelturm [...] etwas Häßlicheres für das Auge eines alten Stadtbewohners läßt sich nicht erträumen (Bd. IX, S. 62)

    Die Pariser Weltausstellung 1889 gilt als ein Krönungsfest der europäischen Moderne des 20. Jahrhunderts: gekrönt wird hier vor allem Paris als europäische Metropole der modernen Kunst. Edmond Goncourt aber ist wenig angetan von diesem Spektakel -- die Aversion gegen obsessiv gutgelaunte Massenveranstaltungen formt hier schon einen Kern moderner Autorenpersönlichkeiten. Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich wurde rund 100 Jahre später David Foster Wallace’ Erzählung über Kreuzfahrtvergnügungen betitelt in der deutschen Übersetzung; und diese Grundskepsis kennzeichnet Autoren der Moderne in der Regel bis heute. Schon bei Goncourt verbindet sich der Rückzug auf die eigenen Kreise -- sei's des Denkens, der Empfindsamkeit, aber auch der Kultur -- mit einer fast angeekelten Abwehr von vermeintlich sinnentleertem und beschleunigtem Treiben der Metropole: (mehr …)
  • Geistes Haltung. Erinnerungen an Hella Tiedemann

    Zusammengetragen von Christiane Frohmann Hella Tiedemann (1936–2016) studierte bei Theodor W. Adorno und promovierte 1969 bei Peter Szondi mit ihrem ›Versuch über das artistische Gedicht. Baudelaire, Mallarmé, George‹ (erschienen 1971). 1982 habilitierte sie sich mit der Schrift ›Verwaltete Tradition. Die Kritik Charles Péguys‹ (erschienen 1986) an der Freien Universität für das Fach Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Seitdem lehrte sie am Peter Szondi-Institut, seit 1991 als außerplanmäßige Professorin. Im Jahr 2001 beendete sie ihre Lehrtätigkeit. Sie war Herausgeberin Walter Benjamins, u. a. des dritten Bandes der Gesammelten Schriften, Kritiken und Rezensionen sowie der Benjaminschen Übersetzung von Marcel Prousts ›Guermantes. Im Schatten der jungen Mädchen‹, erschienen als Supplement 2 der Gesammelten Schriften. (mehr …)
  • Reflexe. Zur Wiederauferstehung des poststrukturalistischen Popanzes im deutschen Feuilleton

    “C’est que les faits, nous pouvons les tenir à distance. Tandis que les représentations ne sont rien sans nous.”

    Claude Lefort, Le Monde, 9. Mai 1978

    Dass im Feuilleton kräftig ausgeteilt wird, ist zu begrüßen. Nur die Treffsicherheit lässt bisweilen zu wünschen übrig. Liest man die Einlassungen zu französischen Philosophen, die in den letzten Monaten in deutschsprachigen Zeitungen erschienen sind, staunt man nicht schlecht, weil diese Denker überhaupt nicht wiederzuerkennen sind. Es sind groteske Karikaturen, Pappkameraden, die man sich in einer Mischung aus Missgunst und geistiger Trägheit zusammenbaut, um Halt durch Abstoßung in einer unsicheren Gegenwart zu finden. Manche Debatten altern erstaunlich schlecht. Selbst seinem ärgsten Gegner wünscht man nicht, noch einmal die Meilensteine der theory wars der achtziger Jahre abschreiten zu müssen, was einige Journalisten jedoch nicht daran hindert, auf der Klaviatur der alten Affekte gegen die Pariser Theorieproduktion zu spielen. (mehr …)
  • Big Bla-Bla. Die Reaktionen auf die ‚Big-Data-Bombe‘ sind Diskursverknappung

    Die Nachricht verbreitete sich am Samstag schnell: durch die Kombination psychometrischer Verfahren und gezieltem Werbetargeting, will die britische Firma Cambridge Analytica (CA) – ein Tochterunternehmen der Wahlberatungsagentur Strategic Communications Laboratories (SCL) – nicht nur den Ausgang der US-Wahlen, sondern zuvor bereits das Brexit-Votum entscheidend zugunsten der späteren Gewinner beeinflusst haben. In einem ausführlichen Artikel im Schweizer Magazin beschreiben Mikael Krogerus und Hannes Grassegger, wie CA mithilfe der sogenannten ‚Ocean‘-Methode zunächst Persönlichkeitsprofile potentieller Wählerinnen und Wähler erstelle, um diese mit Analysen des individuellen Online-Verhaltens sowie demographischen Daten zu verbinden und zur Grundlage für personalisierte Werbeanzeigen auf Facebook zu machen. Die Analyse einer Person nach den Kriterien ‚Offenheit‘, ‚Gewissenhaftigkeit‘, ‚Extraversion‘, ‚Verträglichkeit‘ und ‚Neurozentrismus‘ gebe die Anleitung für die spezifische Darstellungsweise einer Anzeige: ob text-, bild- oder videobasiert, ob in aggressiven oder sanften Tönen. In seiner Wahlkampfkampagne habe Donald Trump seine politischen Botschaften derart an einem einzigen Tag in 175000 Variationen verbreiten können, jede einzelne zugeschnitten auf das statistisch antizipierte Profil der jeweilig adressierten Rezipientinnen und Rezipienten. (mehr …)
  • „Die intellektuelle und politische Literaturszene im Iran ist ausgestorben.“ Nora Bossong im Gespräch

    Die Schriftstellerin Nora Bossong (Gesellschaft mit beschränkter Haftung erschien 2012, 36,9° erschien 2015) ist vor wenigen Tagen von ihrer zweiwöchigen Lesereise im Iran zurückgekehrt. Mit dem Merkur spricht sie über ihre Eindrücke, die politische Situation und die Lage der Autoren, Künstler und Intellektuellen. Außerdem äußert sie sich zur Verzögerung der Ausstellung der „Teheran-Sammlung“ in der Berliner Gemäldegalerie. Merkur: Du warst gerade für zwei Wochen im Iran unterwegs, bist Du viel im Land herumgereist? Nora Bossong: Wir sind  nach Shiraz, Isfahan und Teheran gereist, haben viele Gespräche geführt und natürlich auch Sehenswürdigkeiten besichtigt. Bislang war ich überzeugt, dass Rom die schönste Stadt der Welt ist, einige Ecken von Isfahan können da allerdings mindestens mithalten, etwa die Lotfullahmoschee.  In Teheran fanden zudem zwei Lesungen an der Universität statt und eine bei der bekannten Literaturzeitschrift Bukhara,  es gab eine rege Anteilnahme und einen guten Austausch. Wenn ich das mit Lesungen in Deutschland vergleiche, war das ein sehr vielseitig interessiertes Publikum. (mehr …)
  • Weniger Strip, mehr Tease? (Teil 3)

    Peter Sloterdijk hat einen Roman geschrieben, ganz ohne Not, und auch nicht zum ersten Mal (siehe den Zauberbaum aus dem Jahr 1987, ein Auszug daraus war im übrigen sein letzter von zwei Auftritten im Merkur): Das Schelling-Projekt erzählt in E-Mail-Wechseln von einem (scheiternden) Projektantrag bei der DFG - es soll darum gehen, wie mit dem weiblichen Orgasmus der Geist in die Materie fuhr. Es ist im Roman allerdings so, dass sich für diese Frage vornehmlich forschende Männer (Peer Sloterdijk, Guido Mösenlechzner, Kurt Silbe) zuständig fühlen; ihre weiblichen Konterparts (Beatrice Freygel, Desiree zur Lippe) berichten beispielsweise von sexueller Erweckung mittels Gangbang. Für Eva Geulen und Hanna Engelmeier der Anlass, ihrerseits einen E-Mail-Wechsel zu beginnen, genau einen Monat lang, vom 8. Oktober bis zum 8. November, dem Tag der Trump-Wahl. Sloterdijks Roman war, wie sich zeigte, mehr Anlass für ein digressives Duett - einen schriftlichen Dialog darüber, welche Assoziationen zum Roman wie weit tragen. So geht es nun unter anderem um Autobiografien von (emeritierten) Professoren, um Machtpositionen im akademischen Betrieb, um Heinz Strunk, die Buchmesse und den Kritiker-Empfang des Suhrkamp Verlags bei der Frankfurter Buchmesse. Das Ganze war eine bei einer Zufallsbegegnung von Hanna Engelmeier und Eva Geulen spontan geborene Idee - da der Merkur (bzw. Ekkehard Knörer) dabei ebenfalls anwesend war, erscheint das Ergebnis nun hier, und zwar in drei Teilen. Dies ist der dritte Teil, den ersten Teil finden Sie hier, den zweiten hier. (mehr …)
  • Weniger Strip, mehr Tease? (Teil 2)

    Peter Sloterdijk hat einen Roman geschrieben, ganz ohne Not, und auch nicht zum ersten Mal (siehe den Zauberbaum aus dem Jahr 1987, ein Auszug daraus war im übrigen sein letzter von zwei Auftritten im Merkur): Das Schelling-Projekt erzählt in E-Mail-Wechseln von einem (scheiternden) Projektantrag bei der DFG - es soll darum gehen, wie mit dem weiblichen Orgasmus der Geist in die Materie fuhr. Es ist im Roman allerdings so, dass sich für diese Frage vornehmlich forschende Männer (Peer Sloterdijk, Guido Mösenlechzner, Kurt Silbe) zuständig fühlen; ihre weiblichen Konterparts (Beatrice Freygel, Desiree zur Lippe) berichten beispielsweise von sexueller Erweckung mittels Gangbang. Für Eva Geulen und Hanna Engelmeier der Anlass, ihrerseits einen E-Mail-Wechsel zu beginnen, genau einen Monat lang, vom 8. Oktober bis zum 8. November, dem Tag der Trump-Wahl. Sloterdijks Roman war, wie sich zeigte, mehr Anlass für ein digressives Duett - einen schriftlichen Dialog darüber, welche Assoziationen zum Roman wie weit tragen. So geht es nun unter anderem um Autobiografien von (emeritierten) Professoren, um Machtpositionen im akademischen Betrieb, um Heinz Strunk, die Buchmesse und den Kritiker-Empfang des Suhrkamp Verlags bei der Frankfurter Buchmesse. Das Ganze war eine bei einer Zufallsbegegnung von Hanna Engelmeier und Eva Geulen spontan geborene Idee - da der Merkur (bzw. Ekkehard Knörer) dabei ebenfalls anwesend war, erscheint das Ergebnis nun hier, und zwar in drei Teilen. Den ersten Teil finden Sie hier, dies ist der zweite Teil. Der dritte ist hier. (mehr …)
  • Weniger Strip, mehr Tease? Mailwechsel zu Sloterdijks „Schelling-Projekt“

    Peter Sloterdijk hat einen Roman geschrieben, ganz ohne Not, und auch nicht zum ersten Mal (siehe den Zauberbaum aus dem Jahr 1987, ein Auszug daraus war im übrigen sein letzter von zwei Auftritten im Merkur): Das Schelling-Projekt erzählt in E-Mail-Wechseln von einem (scheiternden) Projektantrag bei der DFG - es soll darum gehen, wie mit dem weiblichen Orgasmus der Geist in die Materie fuhr. Es ist im Roman allerdings so, dass sich für diese Frage vornehmlich forschende Männer (Peer Sloterdijk, Guido Mösenlechzner, Kurt Silbe) zuständig fühlen; ihre weiblichen Konterparts (Beatrice Freygel, Desiree zur Lippe) berichten beispielsweise von sexueller Erweckung mittels Gangbang. Für Eva Geulen und Hanna Engelmeier der Anlass, ihrerseits einen E-Mail-Wechsel zu beginnen, genau einen Monat lang, vom 8. Oktober bis zum 8. November, dem Tag der Trump-Wahl. Sloterdijks Roman war, wie sich zeigte, mehr Anlass für ein digressives Duett - einen schriftlichen Dialog darüber, welche Assoziationen zum Roman wie weit tragen. So geht es nun unter anderem um Autobiografien von (emeritierten) Professoren, um Machtpositionen im akademischen Betrieb, um Heinz Strunk, die Buchmesse und den Kritiker-Empfang des Suhrkamp Verlags bei der Frankfurter Buchmesse. Das Ganze war eine bei einer Zufallsbegegnung von Hanna Engelmeier und Eva Geulen spontan geborene Idee - da der Merkur (bzw. Ekkehard Knörer) dabei ebenfalls anwesend war, erscheint das Ergebnis nun hier, und zwar in drei Teilen. Hier ist der erste Teil, er umfasst den Zeitraum vom 8. bis zum 20. Oktober. Den zweiten Teil können Sie hier lesen. Und den dritten jetzt hier (mehr …)