• Das Gefüge des Übersetzers – Zum Tod von Ronald Voullié

    Es ist keineswegs ausgemacht, wie der philosophische Begriff agencement am treffendsten ins Deutsche zu übersetzen ist. Gilles Deleuze und Félix Guattari haben diesen Begriff in den späten 1970er Jahren geprägt, als Alternative zu ihrem oft missverstandenen Konzept der Maschine. Dominierte anfangs die linguistisch orientierte Übersetzung als „(Aussagen-)Verkettung“, wurde nach und nach deutlich, dass es eigentlich um die komplexen Verkopplungen von Zeichen und Materie, Technik und Körper oder Mensch und Tier ging. Dementsprechend lag es nahe, agencement im Sinne von „(räumlicher) Anordnung“ oder auch „Wirkungszusammenhang“ zu verstehen. (mehr …)
  • Das Gefängnis als Bühne mit Blumengesteck. Alexander Lukaschenka inszeniert einen zynischen Monolog mit seinen Gegnern

    Wenn sich die Kräfteverhältnisse in einem Land verändern, sind die Gefängnisse wie Frühwarnzentralen, in denen zu erkennen ist, dass eine Macht fällt. Deshalb wurde der demonstrative Besuch von Alexander Lukaschenka im Minsker KGB-Gefängnis am Wochenende in Belarus besonders genau beobachtet. Mitten in der COVID-19-Pandemie schritt der autoritäre Herrscher vor laufender Kamera mit ausgestreckter Hand die Reihe seiner wichtigsten politischen Gefangenen ab. Die wenigen Fernsehbilder, die als Beweis seiner Dialogbereitschaft gedacht waren, wirkten wie ein besonders zynischer Monolog. (mehr …)
  • Die Klage ist des Kaufmanns Gruß

    In diesem Jahr bleiben die Hallen zur Frankfurter Buchmesse leer. Angesichts steigender Covid-19-Infektionszahlen wäre die Messe wohl zu einem lebhaften Marktplatz infektiöser Aersole geworden. Dass das digitale Programm die dichte Atmosphäre sich langsam voranschiebender Menschenmassen nicht ersetzen kann, ist wohl allen in der Buchbranche bewusst. Anlass zur Sorge bot die Entscheidung dennoch kaum – man bedauerte zwar, dass man auf den alljährlichen Messekater verzichten müsse, aber eine branchenübergreifende Empörung blieb weitestgehend aus. (mehr …)
  • Paradiesbrücke

    Meine Mutter kannte sie, jeder Einheimische kennt sie, warum sie so heißt, wissen wenige. Gerade heute wieder getestet, mit einem Augenzwinkern, bei einer netten Kollegin mit Paradiesbrückenbezug im baselländischen Muttenz, aber das ist ... jedenfalls, der Legende nach stand Luther bei einem seiner vier Predigt-Aufenthalte in der Stadt, er war mit dem Bürgermeister Mühlpfordt befreundet, unter starker Bedrängnis wütender und bewaffneter Franziskaner, er rettete sich durch wilde Flucht über die Mulde auf ebenjener heutigen Brücke, die aber schon die Nachnachfolgerin der von 1524, in das jenseitige gut verschließbare Gasthaus, beides erklärte er, Luther, zu seinem Paradies, der Wirt und der Rat nahmen dieses Diktum gerne auf. Ortsbezogenes Marketing war von jeher ein wesentlicher Treiber der Public History. (mehr …)