Aprilheft
Im Aufmacher des Aprilhefts erinnert Jürgen Kocka an die Verheißungen, die sich mit dem Kapitalismus bis ins 19. Jahrhundert verbanden – und geht der Frage nach, wie er im Lauf des 20. Jahrhunderts vom Glanz, den er einst besaß, so viel verlor. Der Soziologe Helge Rossen-Stadtfeld untersucht, wie viel Volk überhaupt noch in der Demokratie stecken kann, wenn sie sich in der Europäisierung zunehmend entnationalisiert. Der Afrikawissenschaftler Andreas Eckert lässt drei sehr unterschiedliche »Väter der Nation« und ihre Geschichte Revue passieren. Und Francis Nenik erzählt vom weißen südafrikanischen Antiapartheidkämpfer Edward Vincent Swart (hier als pdf frei lesbar). In seiner Designkolumne porträtiert Christian Demand das lange fast vergessene Multitalent Norman Bel Geddes. Rudolf Stichweh untersucht in der Soziologiekolumne die seit Beginn der Neuzeit zunehmende Ausdifferenzierung und Autonomisierung der Wissenschaft. Zur Eröffnung einer neuen, nicht an einen einzelnen Autor gebundenen Reihe »Neues aus der Alten Welt« schreibt die Altphilologin Melanie Möller über neue Einschätzungen autobiografischer Formen in der Literatur der Antike. Holger Schulze stellt in einem äußerst kenntnisreichen Rezensionsessay das Feld der »Sound Studies« vor, auch dieser Beitrag steht kostenlos als pdf zur Verfügung. In den Marginalien nimmt sich Heinrich Niehues-Pröbsting Heideggers Werk von den Widmungen in seinen Werken her vor. Hannes Böhringer erinnert an seinen Lehrer Karlfried Gründer. Daneben begibt sich Marcel Serr auf Spurensuche zu einem möglichen Geheimdienstversagen während des Jom-Kippur-Kriegs. Günter Hack erkennt "Eisvogels Fehler". Und Stephan Herczeg setzt sein Journal fort. Die Übersicht über den gesamten Inhalt finden Sie hier. Dort auch die Print-Kaufmöglichkeit, alles Digitale im Volltextarchiv, die Ebook-Varianten aber auch zum Beispiel bei Amazon und Itunes. Und hier noch das Link zum Aprilheft-Feuilletonpressegespräch mit Christian Demand bei Deutschlandradio Kultur.Das hätte Hugo Ball gefallen
Am 9. März wurde Marc Degens, der mehrfach auch im Merkur publiziert hat, im Forum Alte Post in Pirmasens mit dem Hugo-Ball-Förderpreis 2014 ausgezeichnet. Michael Rutschky, der zusammen mit Martin Mosebach und Felicitas von Lovenberg die Jury bildete, schreibt über ihn: »Marc Degens ist als Romancier hervorgetreten, aber auch als Verleger, literarischer Impresario, Erfinder diverser Formate innerhalb und außerhalb des Internet, sogar als Mitglied einer Popgruppe. Wer ihn je in Aktion erlebt hat - etwa im Berliner Kaffee Burger - musste erkennen, dass die ehrwürdige literarisch-performative Tradition, die das Züricher Cabaret Voltaire begründete, höchst lebendig und zu interessanten Umgestaltungen fähig ist«. Von Marc Degens erschien zuletzt der Roman »Das kaputte Knie Gottes« (Knaus Verlag). Die von ihm gegründete E-Book-Boutique minimore.de ging am 15. März online. Im folgenden seine Dankesrede, die im Frühjahr 2015 im Hugo-Ball-Almanach, Neue Folge 6, erscheinen wird: Hugo Ball Morgens konnte ich nicht am Roman weiterarbeiten, weil ich so starke Rückenschmerzen hatte. Stattdessen sortierte ich Notizen, telefonierte mit Frank und erledigte SuKuLTuR-Kram. Anschließend aß ich in der Stadthaus-Kantine und ging einkaufen. Am frühen Nachmittag hatte ich einen Termin bei meiner Physiotherapeutin. Statt um mein kaputtes Knie kümmerte sie sich um meine Schulter und massierte sie. (mehr …)Wikipedia in der universitären Lehre
Impulsreferat für den Workshop „Wikipedia Meets University“, Universität Wien, 15.3.2014Ich möchte mit einer vielleicht etwas provokanten These beginnen, deren leicht polemischen Duktus ich mir von meinem Kollegen Klaus Graf ausgeborgt habe, der an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aaachen als Historiker und Archivar tätig ist und als Hauptproponent des meinungsfreudigen Weblogs Archivalia – archiv.twoday.net auch weit über die Kreise der Geschichtswissenschaft hinaus bekannt wurde; von Klaus Graf stammt das Diktum: "Ein Wissenschaftler, der nicht bloggt, ist ein schlechter Wissenschaftler." Auf das Verhältnis der universitären Lehre zu Wikipedia übertragen, lautet meine These: Lehre, die Wikipedia ignoriert oder gar verbietet, ist schlechte Lehre. (mehr …)
Nachfragen an András Bruck
Im aktuellen Heft schreibt der Schriftsteller András Bruck über die autoritären Strukturen, die Ministerpräsident Viktor Orbán in Ungarn errichtet hat - hier ist sein Text Hinterausgang online frei nachzulesen. Wir haben dem Autor noch drei Nachfragen gestellt: Sie zeichnen in Ihrem Beitrag detailliert nach, wie Ungarn im Lauf der vergangenen Jahre unter der Regierung Orbán schleichend zur "Parodie einer Demokratie" geworden sei. Folgt man Ihrer Schilderung, hat die Bevölkerung – und Sie schließen sich dabei, wenn ich Sie recht verstanden habe, ausdrücklich mit ein – dies nahezu widerstandslos hingenommen. Wie ist diese Duldsamkeit Ihrer Ansicht nach zu erklären? (mehr …)Die Wirklichkeit: die Wahrheit? Ein Jahr mit den Goncourts (III)
Es ist all diese mit so großer Sorgfalt erlernte, mit soviel Mühe eroberte Wahrheit, die ihn so realistisch macht und unfähig, wie er sagt, zu phantastischen Zeichnungen: ›Das ist mein Fehler. In allem, was ich tue, gibt es ein Senkblei der Realität, das mich an die Dinge des Lebens bindet.‹ (Die Goncourts über Gavarni, Bd. II, S. 428)
1861. Mit dem zehnten Jahr ihres Tagebuches wird der epische Atem ihres Erzählens kraftvoller und mutiger. Die stilistische Beruhigung vergangener Jahre setzt sich fort. Collagen und verstreute Einzelnotate werden mehr zurückgenommen oder eleganter von Erzählpassagen aufgesogen. Serien zusammenhängender Schilderungen ziehen sich durch: Episoden aus dem Schriftsteller- und Journalistenleben von Aurélien Scholl (der immer für einen überspannten Fauxpas gut ist), von Gustave Flaubert (der gut sechs Stunden aus dem nahezu abgeschlossenen Salammbô deklamiert, Bd. III, S. 72-75), vom Tod des Schriftstellers Henri Murger (Bd. III, S. 23-29); dazwischen immer wieder Selbstentblößungen und Verstiegenheiten des Faktotums und Kritikers Paul de Saint-Victor, des Redakteurs Alphonse Gaiffe oder des abgeschmackten Linksextremisten und Chefredakteurs Alphonse Peyrat (mehr …)