• Fun ist ein Schweißbad. Mette Ingvartsens „The Permeable Stage“ an der Volksbühne (14.12.)

    Erst nur die Stimme, englisches Parlando mit leichtem dänischem Akzent. Auf der Bühne: kein Mensch zu sehen. Auf dem Boden Neonlicht, drei Streifen. Die Stimme kommt von nirgendwo, bis sich Mette Ingvartsen aus einer der vorderen Reihen erhebt, von wo sie, ich check das erst jetzt, den Text die ganze Zeit schon einsprach. Sie trägt eine gestärkt wirkende weiße Bluse und eine streng geschnittene schwarze Hose. Die Haare sind zum Pferdeschwanz gebunden. Sie geht auf die Bühne und wird sie später noch zweimal verlassen. Da reicht sie einem Mann in der ersten Reihe ein imaginäres Stück Scheiße. Und setzt sich auf einen Platz, der reserviert ist, mit einem Schild, das beim flüchtigen Vorbeigehen für mich aussah, als sei der Klappsitz kaputt. (mehr …)
  • Das Europa der Alten

    Es ist wahrscheinlich, dass auch wir noch unsere Tugenden haben, ob es schon billigerweise nicht jene treuherzigen und vierschrötigen Tugenden sein werden, um derentwillen wir unsere Grossväter in Ehren, aber auch ein wenig uns vom Leibe halten. Wir Europäer von übermorgen […]  – mit aller unsrer gefährlichen Neugierde, unsrer Vielfältigkeit und Kunst der Verkleidung, unsrer mürben und gleichsam versüssten Grausamkeit in Geist und Sinnen, – […] wie wenig wir uns auch sonst altmodisch und grossväterhaft-ehrbar dünken mögen, in Einem sind wir dennoch die würdigen Enkel dieser Grossväter, wir letzten Europäer mit gutem Gewissen: auch wir noch tragen ihren Zopf. – Ach! Wenn ihr wüsstet, wie es bald, so bald schon – anders kommt!

    Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse

    In wohl keinem Land der EU wird die intellektuelle Europadebatte in solch einem Ausmaß von den Siebzig- und Achtzigjährigen dominiert wie in Deutschland: Man ist alt und man ist unter sich. An die Öffentlichkeit dringen Texte, die nicht selten wie Gesprächsprotokolle aus dem greisen, weisen Elfenbeinturm wirken. In der illustren Runde finden sich regelmäßig Jürgen Habermas, Dieter Grimm und Heinrich August Winkler zusammen. Als Quotenjungspund darf sich Herfried Münkler kurz zu den Geronten gesellen; ihm wird zumindest bei Winkler ein Platz eingeräumt. "Nachgeborene (allesamt über fünfzig), die sich wie Ulrike Guérot und Robert Menasse für mehr oder anderes als den postklassischen Nationalstaat interessieren oder als Journalisten Merkels kurzlebige Politik der offenen Grenzen begrüßten, stehen schnell im Verdacht, zu den „falschen Freunden Europas“ zu gehören, so Winklers Formulierung im Spiegel vom 21. Oktober."  (Nichts verunsichert mich so sehr wie die deutsche Ordinarienuniversität und ihre Atavismen. Ihre Rituale, ihre Hierarchien, ihr Habitus, ihr Entre-soi, ihre Codes. Es ist Korporatismus der unangenehmeren Sorte, der sich der Öffentlichkeit nicht aussetzt, sondern sich ihr überstülpt. Dieter Grimm spricht ohnehin lieber vom „Publikum“. Ich halte das kaum aus, will die Leute sofort von ihrem Podest stürzen, fühle stark den Drang, mich daneben zu benehmen. Affekte des Dorfkindes und Bauernenkels: Make Germany Thomas Müntzer again.) In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. November 2017 war es an Dieter Grimm, einem international renommierten Kenner des EU-Rechts, Emmanuel Macrons Forderung nach einem „souveränen“ Europa zurückzuweisen. Im Anschluss an seine in Europa ja – aber welches? vorgebrachten Überlegungen führt Grimm zunächst eine sinnvolle Unterscheidung zwischen Souveränität und Hoheitsrechten ein. [2. Dieter Grimm, Europa ja – aber welches? Zur Verfassung der europäischen Demokratie, München: C. H. Beck, 2016, S. 49-70.] Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union können einzelne Hoheitsrechte abtreten, ohne dass ihre Souveränität daran Schaden nimmt, wie auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag bekräftigte. Wer anderes behauptet, liege schlicht „falsch“, schreibt Grimm. Und damit war das Thema scheinbar abgehakt. Doch wird man den Eindruck nicht los, hier werden Rückzugsgefechte geführt.. Dass die EZB –  also eine Zentralbank, der kein europäischer Staat gegenübersteht – seit ein paar Jahren als Lender of last resort agiert, wäre für viele Theoretiker des postklassischen Nationalstaates vor zehn Jahren noch unvorstellbar gewesen. Heute versucht man sich zu beruhigen. Draghi habe höchstens ein monetäres Hoheitsrecht an sich gezogen, aber doch keinen Souveränitätspol ausgebildet. Dass die Mitgliedsstaaten diese Volte veranlasst hätten, lässt sich nicht behaupten. Im Juni 2015 registrierte Habermas in der Süddeutschen Zeitung, dass Entscheidendes vor sich ging. Draghi simulierte eine „Fiskalsouveränität […], die er gar nicht besaß“. Die EZB „musste vorpreschen, weil die Regierungschefs unfähig waren“. Es ist seltsam, dass bei Fragen zur Lage der EU und der Eurozone, die auf dem ganzen Kontinent kontrovers diskutiert werden, der Verweis auf das Karlsruher Orakel mit großer Selbstverständlichkeit Letztgültigkeit beansprucht, und zwar nicht nur für die deutsche Europapolitik, sondern für die Auseinandersetzung über die EU tout court. Grimm sieht das Bundesverfassungsgericht oft in Notwehr handeln, weil der Europäische Gerichtshof in Luxemburg sich über Jahrzehnte als Motor der europäischen Integration verstand und die Verträge zu Lasten der Mitgliedstaaten auslegte. So fällten die europäischen Richter 1963 und 1964 weitreichende Urteile, die europäisches Recht zunächst für unmittelbar anwendbar in den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erklärten und ihm anschließend sogar ein Vorrecht gegenüber nationalem Recht einräumten. (lesen ...)
  • Ausstellung: Juden, Christen und Muslime im Dialog der Wissenschaften 500-1500

    In Kooperation mit dem Martin-Gropius-Bau verlosen wir 5x2 Karten für die Ausstellung Juden, Christen und Muslime im Dialog der Wissenschaften 500-1500. Teilnahme bis 11.12.2017 auf unserer Facebook-Seite. Zur Ausstellung: Unsere heutige wissenschaftliche Welt steht auch auf den Schultern jener jüdischen, christlichen und muslimischen Gelehrten, die im Mittelalter Schriften der Antike übersetzten, zuerst im Nahen Osten ins Arabische und dann in Europa aus dem Arabischen ins Lateinische. Die Bedeutung des Wissenstransfers in dieser Epoche kann nicht überschätzt werden, auch wenn das nicht der einzige Überlieferungsstrang gewesen ist. Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, erarbeitet von der Österreichischen Nationalbibliothek, widmet sich dieser überragenden Phase einer Begegnung der Kulturen. Die Ausstellung ist vom 9. Dezember 2017 bis 4. März 2018 im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen. Weitere Informationen finden Sie hier.
    Veranstalter Berliner Festspiele / Martin-Gropius-Bau. Eine Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien.
  • Zu den Pers. Akten „Luhmann“

    Die Akte liegt digital vor. Farbig eingescannte, teils angegilbte Seiten, die Schatten, die das Papier dabei erzeugt hat, kehren am Bildschirm als Pixelwellen wieder. Zuerst rauscht es. Dann, auf Seite 34 erscheint das Gesuchte, Luhmann, und dann auch gleich im Rahmen eines Zeugnisses. Luhmann wird bezeugt, in dem Fall und der Akte so:  „Herr Luhmann ist ein befähigter Jurist, ein schneller Denker und ein fleissiger Arbeiter. […] Dabei ist hervorzuheben, dass Herr Luhmann auch beim Vortrag umfangreicher Sachverhalte und in der Würdigung schwieriger Rechtsverhältnisse nicht am Konzept „klebt“. (mehr …)
  • Es dreht sich halt mit. Zu Susanne Kennedys „Women in Trouble“

    Wo immer es herkommt. Wo immer es hinwill. Es dreht sich im Kreis. Links herum, bis kurz vor Schluss. Langsam, so langsam, dass man dem Vergehen der Zeit und dem Vorüberdrehen der Räume, Figuren und Dinge nicht einfach nur zusieht, man sieht auch dem eigenen Zusehen beim Vergehen unweigerlich zu, man spürt sich selbst nach beim Empfinden, das sich nicht einstellt, und dieses fortgesetzte Sich-Nicht-Einstellen einer Empfindung führt so flott, wie an diesem Abend sonst nichts ist, zur tiefen Betäubung. (mehr …)