Nachgefragt: Christian Demand und Ingo Meyer zur Lage der Ästhetik
Im Märzheft des Merkur unternimmt Ingo Meyer eine temporeiche Tour d'horizon der jüngeren ästhetischen Theorie (vor allem) im deutschen Sprachraum. Christian Demand hat nach der Lektüre des Textes einige Nachfragen. Die Kenntnis des Essays im Heft ist fürs Verständnis des Gesprächs nicht notwendig, wenngleich sie natürlich nicht schadet. Umgekehrt klärt das Gespräch sicher so manchen Punkt, der im Essay in beträchtlicher Verdichtung behandelt wird. *** Christian Demand: Ihr Beitrag bietet eine furiose Abrechnung mit vier Jahrzehnten ästhetischer Theorie aller im deutschen Sprachraum relevanten Schulen und Positionen. Der Saldo fällt dabei, vorsichtig formuliert, nicht allzu positiv aus. Was genau stimmt Sie so skeptisch? Schließlich wird die Ästhetik im akademischen Betrieb gemeinhin als sichere Bank gehandelt – die Drittmittel fließen zügig, die Herausgeberbände füllen Regalmeter, kürzlich hat sogar das Max-Planck-Institut angekündigt, in Frankfurt am Main demnächst ein selbständiges Institut für empirische Ästhetik zu eröffnen. Es spricht also einiges dafür, dass das Geschäft brummt... Ingo Meyer: Im Grunde ist Ästhetik ein undankbares Geschäft und Sie sitzen bald zwischen allen Stühlen. Man kann es eigentlich nur falsch machen. Empirie wird ja seit Fechners Zeiten immer wieder versucht, führt aber nicht sehr weit - und das will etwas heißen bei einer Disziplin, die einst von der sinnlichen Wahrnehmung ausging. Sie benötigen immer ziemlich weitreichende Vorannahmen, etwa diejenige, dass wir uns ästhetisch-geistig zur Welt verhalten können, Phantasie besitzen, was im Grunde ja erstaunlich ist. Damit landet man dann ruckzuck bei der Kulturanthropologie, die, soweit ich weiß, bei den Empirikern freilich Anathema ist. Die Empirie allein spricht nicht. Das ist aber lange bekannt. Sie fragen nach meiner Skepsis, darf ich weiter ausholen? Wenn Sie Theorie bauen, müssen Sie entscheiden: deduktiv oder induktiv? Bieten Sie einen systematischen Grundriss an, wozu nach Adorno sehr viel Mut gehörte, heißt es, sehr schön, kann man aber nicht anwenden (und schon angewandter Adorno konnte schrecklich sein); liefern Sie nahrhafte Einzelstudien, bedankt sich die Fachdisziplin, aber Sie werden kaum eine Debatte anstoßen können. (mehr …)Das Märzheft ist da
Einen Teaser hatten wir ja bereits vorab veröffentlicht, Joachim Rohloffs eingehende Betrachtung von Frank Schirrmachers Payback-Bestsellerei. Aber auch der Rest des Hefts hat es in sich. So nimmt Ingo Meyer in seinem Ritt durch jüngere und jüngste Ästhetiktheorien kein Blatt vor den Mund und stellt fest: "Die gute alte Tante Ästhetik ist zwar sehr in die Breite, nicht aber in die Tiefe gegangen. Sie hätte heute mitzuarbeiten an einem theoretischen Rahmen, der die Komplexisierung unserer Weltbezüge ernsthaft ins Auge fasst, anstatt eifersüchtig über angestammte Hoheitsgebiete zu wachen." Als zweiter Text frei lesbar ist Helmut Königs "Lob der Dissidenz" - ein Rückblick auf den Widerstand gegen die kommunistischen Regime und seine Motive. Außerdem: Merkur-Herausgeber Christian Demand und Redakteur Ekkehard Knörer präsentieren die Ergebnisse einer Reise ins Literaturarchiv in Marbach - Funde aus dem hoch bewegten Briefwechsel zwischen den Merkur-Gründungsherausgebern Hans Paeschke und Joachim Moras, die sich dabei als erstaunlich disharmonisches Doppel erweisen. Nach einer längeren Pause setzt Michael Rutschky die Veröffentlichung seiner Tagebücher - mit jeweils zwanzig Jahren Abstand - fort: In der neuesten Lieferung also mit Notizen aus dem Jahr 1993. Und dann noch eine Premiere, die manchen Blogleser freuen wird: Stephan Herczeg gibt es unter der Überschrift "Journal" jetzt regelmäßig auch im Print. Im Märzheft die erste Folge. (Die komplette Übersicht mit Zitaten aus allen Artikeln plus Kauf- und Abomöglichkeit finden Sie hier.)Bücher von Merkur-Autoren: Hitlers Sex
