„Die intellektuelle und politische Literaturszene im Iran ist ausgestorben.“ Nora Bossong im Gespräch
Die Schriftstellerin Nora Bossong (Gesellschaft mit beschränkter Haftung erschien 2012, 36,9° erschien 2015) ist vor wenigen Tagen von ihrer zweiwöchigen Lesereise im Iran zurückgekehrt. Mit dem Merkur spricht sie über ihre Eindrücke, die politische Situation und die Lage der Autoren, Künstler und Intellektuellen. Außerdem äußert sie sich zur Verzögerung der Ausstellung der „Teheran-Sammlung“ in der Berliner Gemäldegalerie.
Merkur: Du warst gerade für zwei Wochen im Iran unterwegs, bist Du viel im Land herumgereist?
Nora Bossong: Wir sind nach Shiraz, Isfahan und Teheran gereist, haben viele Gespräche geführt und natürlich auch Sehenswürdigkeiten besichtigt. Bislang war ich überzeugt, dass Rom die schönste Stadt der Welt ist, einige Ecken von Isfahan können da allerdings mindestens mithalten, etwa die Lotfullahmoschee. In Teheran fanden zudem zwei Lesungen an der Universität statt und eine bei der bekannten Literaturzeitschrift Bukhara, es gab eine rege Anteilnahme und einen guten Austausch. Wenn ich das mit Lesungen in Deutschland vergleiche, war das ein sehr vielseitig interessiertes Publikum.
M: Du sprichst von „wir“, das heißt Du bist in Begleitung gereist?
NB: Genau – ich hatte einen deutschen, persisch sprechenden Begleiter, der mich nicht nur an die verschiedenen Orte gebracht hat, sondern mir auch einen guten Einblick in das Land, sowohl politisch als auch historisch, gegeben hat. Ich habe mich vorbereitet, Bücher gelesen, mich umgehört in persönlichen Gesprächen, aber es ist natürlich trotzdem sehr gut, wenn man jemanden vor Ort bei sich hat, der Hintergründe erläutern kann.
M: Du hattest also diese Lesereise und hast ja auch eben geschildert, dass das Angebot vom Publikum gut angenommen wurde, aber dass es auch Schwierigkeiten gab. Wie wurdest Du denn auch gerade als weibliche Autorin dort empfangen, hattest Du den Eindruck, dass es da Besonderheiten gab?
NB: Das kann ich schwer sagen, da ich ja nicht weiß, wie es als männlicher Autor gewesen wäre (lacht). Von meiner Seite gab es Unsicherheiten in Bezug darauf, wie offen ich reden darf, nicht so sehr wegen mir selbst, sondern weil ich nicht riskieren wollte, die Fragenden in Schwierigkeiten zu bringen. Keine Ahnung, ob diese Sorge übertrieben war. Wir haben aber durchaus auch politische Fragen diskutiert, zum Beispiel zur Wirtschaftsliberalität und zur Flüchtlingspolitik in Deutschland. An diesen Themen bestand ein großes Interesse beim Publikum und für mich war es durchaus belebend, dass ich nicht nur als Autorin befragt werde, sondern auch als eine Art „deutsche Kulturbotschafterin“, die über ihr Land berichten kann und nicht nur über ihr eigenes Werk oder ihre eigenen Bücher. Es gibt natürlich bestimmte Vorschriften, wie der Umgang zwischen Männern und Frauen in der Öffentlichkeit auszusehen hat, was nicht von allen Menschen dort freiwillig mitgetragen wird. Wenn mir ein Mann an einem öffentlichen Ort nicht die Hand gibt, geht es nicht unbedingt um eine persönliche Zurückweisung, sondern es könnte sonst einfach Schwierigkeiten geben. In geschlossenen Räumen ist das alles schon wieder anders. Eine weitere Vorschrift für Frauen ist das Tragen eines Kopftuches. Davon wusste ich vorher – wenn ich das nicht akzeptiere, hätte ich eben nicht hinfahren können. Vorübergehend und mit kritischer Distanz kann ich solche Kleidervorschriften ertragen, aber generell halte ich natürlich nichts davon, wenn ein Staat entscheidet, was ich anziehen oder auch was ich ausziehen soll, ob das nun die iranische Kopftuchpflicht ist oder das französische Burkiniverbot. Aber das Entscheidende sind nicht diese Äußerlichkeiten , sondern vielmehr die Frage, ob ich als Frau auch intellektuell ernst genommen werde, und das war in meinem Fall durchaus eine positive Erfahrung, relativ auf Augenhöhe. Relativ sage ich deshalb, weil ich auch in Deutschland erlebe, dass es sich nicht immer auf Augenhöhe abspielt. Außerdem hatte ich natürlich als Besucherin einen Sonderstatus und habe mich obendrein nur mit einer bestimmten Gruppe von Menschen getroffen, die ohnehin offen waren – Schriftsteller, Künstler, Übersetzer, Professoren. Wie es in konservativeren Kreisen gewesen wäre, weiß ich nicht.
M: Welche dieser Begegnungen waren denn dabei besonders anregend für Dich?
NB: Eigentlich alle, denn sie waren sehr unterschiedlich. Von jemandem, der sehr offen und zynisch über die Inbesitznahme des Islam durch die Regierung gesprochen hat bis hin zu jemandem, der deutlich zurückhaltender in seiner Kritik war. Ich habe mich mit einer jungen Frau unterhalten, die durchaus sieht, was ihr nicht gefällt in ihrem Land, aber auch eine sehr große Verbundenheit zu ihrer Heimatstadt Teheran hat. Man darf eben nicht vergessen, dass ein Land nicht nur das politische System ist, sondern auch die Heimat, die Familie und die guten Begegnungen, die man erlebt hat. Dann ist man möglicherweise zerrissen, aber dennoch verwurzelt. Bei den jungen Leuten meinte ich eine gewisse Resignation herauszuhören, gerade auch im Vergleich zu dem, was ich über die Zeit der Studentenproteste Ende der 1990er Jahre gelesen habe, als viele auf die Straße gegangen sind für eine politische Veränderung. Doch es haben eben auch viele mit angesehen, wie viele Opfer solch ein Protest fordern kann und wie langsam der Veränderungsprozess ist. Zudem darf man nicht vergessen, dass der Iran in der Region im Vergleich zu den Nachbarländern Irak und Afghanistan noch eine vergleichsweise stabile Position hat. Dann kann man besser nachvollziehen, wenn viele Menschen dort vor einem Umsturz in gewisser Weise auch Angst haben, denn so verhasst das politische Establishment gerade auch bei jungen Menschen sein mag, es trägt seinen Teil dazu bei, dass der IS bisher noch nicht in den Iran vordringen konnte. Die Situation dort kann man eben nicht mit Deutschland vergleichen, wo wir sozusagen in einem Hort der Glückseligkeit leben, unsere Nachbarländer durchaus kritisieren können, aber sie sind eben weit davon entfernt, „failed states“ zu sein. Die politische Situation der unmittelbaren Nachbarn spielt immer, auch im Iran, eine große Rolle.
M: Habt ihr Euch über die Situation der Schreibenden im Iran ausgetauscht?
NB: Zur Lage der Autoren im Iran gab es von einigen das traurige Fazit, dass die intellektuelle und politische Literaturszene durch Regierungszensur, Repressalien und teilweise auch Inhaftierungen im Prinzip ausgestorben ist. Viele Autorinnen und Autoren, die in kritischer Weise tätig sind, publizieren nur noch im Ausland. Wobei es dennoch auch im Iran viele Neuerscheinungen gibt, Lesungen meist gut besucht sind und Autoren, die gelernt haben, unter den Bedingungen zu schreiben, nicht alle der Regierung nach dem Mund reden, sondern sich durchaus auch zur Wehr setzen.
M: Du hast vor Ort auch Navid Kermani getroffen.
NB: Wir haben uns in Isfahan getroffen. Er kennt die Stadt ja sehr gut und wollte uns eigentlich sein Isfahan zeigen, nur hat er es nicht mehr wiedergefunden: Alte Gebäude sind verschwunden, der Fluss ist ausgetrocknet, die Teehäuser sind geschlossen, viele neue Straßen laufen durch die Altstadt. Kein Anlass zu großem Optimismus.
M: In den letzten Wochen gab es hier viel Aufruhr um die geplante Ausstellung der „Teheran-Sammlung“ in der Berliner Gemäldegalerie. Insgesamt sollen 60 Werke aus der Sammlung des letzten Schahs von Persien ausgestellt werden. Ursprünglicher Eröffnungstermin sollte der 4.12.2016 sein, dieses Datum ist nun nicht mehr einzuhalten. Überhaupt ist unklar, ob und wann die Ausstellung starten kann. Hast Du im Iran bzw. in Teheran etwas davon mitbekommen?
NB: Als ich da war, war das natürlich bereits hochaktuell. Dieses Hin und Her, diese Verschiebung des Termins, hat dort viele beschäftigt. Die Spitze des zuständigen iranischen Ministeriums ist erst kürzlich neu besetzt worden, damit geriet der Prozess ins Stocken. Es liegt wohl vordergründig an einer noch fehlenden Unterschrift, aber die Probleme, die dahinter stehen, scheinen doch komplexer zu sein. Allerdings glaube ich, dass das, was gerade in der deutschen Presse passiert, also, dass die Ausstellung in den meisten Artikeln mit Farah Diba, der Witwe des Schahs, beworben wird, nicht gerade förderlich ist. Wenn diese Ausstellung als bilaterales Abkommen zwischen dem jetzigen Iran und Deutschland geplant war, sie aber in der deutschen Medienlandschaft fast wie eine Werbemaßnahme für die Schahzeit rüberkommt, dann kann ich, unabhängig davon, wie ich die aktuelle iranische Regierung bewerte, einfach rein logisch verstehen, dass sie dort nicht mehr besonders angetan sind von der Sache. Aus meiner Sicht ist die deutsche Presse teilweise recht unsensibel vorgegangen Man wollte offensichtlich einen prominenten Aufhänger, Farah Diba plus Andy Warhol, und hat nicht sehr viel weiter gedacht.
Interview: Ulrike Techert