Vom Pferd Fallada – oder von der Schwierigkeit, Ingeborg Bachmanns Gedichte ins Englische zu übersetzen

Während meines Freisemesters in den 1990ern verbrachte ich reichlich Zeit in Mexiko. Es wurden gute  Monate, denn die Kooperation mit den Kollegen  lief erfolgreich. Und das Flanieren in der Kapitale, damals noch weitgehend unberührt von der Drogen-violencia, brachte überraschende Einsichten in Mexikos Österreich-Dekade:  Wegweisend war Perez Gay, damals Mexikos Chef-Intellektueller und einflussreicher TV-Direktor. Sein Bestseller El imperio perdido (1991, fünf weitere Auflagen) feierte mit Exkursen über Karl Kraus, Joseph Roth und Elias Canetti das mitteleuropäische Wien um 1900. (Kein wankelmütiger Text, trotz manch örtlicher Verirrungen und Verwechseln von Cafés.)  

Warum diese Faszination mit Wien? „Weil“, so Pérez Gay im Gespräch in seiner Fernseh-Redaktion, „die österreichische Kultur vom Beginn des Jahrhunderts über unsere eigene Zukunft Bescheid gibt“. Offenbar reagierten wir ungläubig, so dass Pérez Gay hinzusetzte: „Solches hat uns Juan García Ponce beigebracht, dessen Interpretation von Robert Musil  die Tür nach Wien öffnete. Als Elias Canetti 1981 den Nobelpreis für Literatur zugesprochen erhielt, war er der Einzige, der uns Mexikanern diesen ‚loco Austríaco‘ erklären konnte“. 

Tatsächlich gibt es aus der Feder von García Ponce einen schmalen Band El Reino Milenario, ediert weit weg  in Montevideo bei Arca Editorial, als  Auseinandersetzung mit Robert Musil. (Ein kostbares Exemplar ergatterten wir bei einem mexikanischen Ramschhändler.) Ja, Musils „Tausendjähriges Reich“  entschlüsselte Mexikanern unseren fernen literarischen Kontinent und stieß damit die Tür auf für die Österreich-Begeisterung einer nachwachsenden Generation, mit Pérez Gay als nicht uneitlem Wegbegleiter.

Wie kann das sein? – García Ponce als mexikanischer Musil-Verehrer, um den in Wien kaum einer weiß?  Ich musste Google zu Hilfe nehmen und entdeckte dort das literarische Genie des Autors García Ponce, androgyn elegant, dessen Dutzende von Publikationen ganz offensichtlich der „ciudad letrada“ entstammen – Angel Ramas Chiffre für die günstigen Schreibbedingungen damaliger Autoren. Heute gilt Anderes. Daher  kommt unsere Referenzperson in Mexiko einfach nicht mehr vor.  

Indes, wir kamen gerade noch zurecht, um Juan García Ponce noch im Diesseits anzutreffen – obschon inzwischen von multipler Sklerose in den Rollstuhl gezwungen und beim Sprechen derart behindert, dass eine ihm vertraute Mitarbeiterin seine Wortbrocken ausformulieren musste. Dabei erfuhren wir vom Projekt einer Übersetzung sämtlicher Gedichte von Ingeborg Bachmann ins Englische, in Arbeit in New York in Händen eines Wien-Liebhabers, der über Freunde auch mit seinem Orakel in Mexiko-Stadt Rücksprache hielt. Deswegen ließ García Ponce mit Hilfe seiner Mitarbeiterin uns nach einer möglichen Verbindung zwischen der Bachmann und   „Fallada“ fragen – was uns reichlich verwirrte, weil wir nichts von einem Kontakt des deutschen Schriftstellers Hans Fallada mit der Kärntner Literatin wussten.

Erst einige Zeit später, nach Erscheinen der Songs in Flight – so der Titel der „Collected Poems of Ingeborg Bachmann“ – fiel es wie Schuppen von den Augen: Ja, in der Anrufung des Großen Bären kommt es zu den Kärntner Evokationen, endend „und das Geschirr der Pferde wird gescheuert/bis eins erklirrt, mit dem Fallada reist“. 

Wer Grimmsche Märchen erinnert, weiß, dass damit nicht der Schriftsteller Hans Fallada, sondern das gleichnamige Pferd der Prinzessin, unterwegs zur Hochzeit, aber betrogen von der – in die Rolle der echten Braut schlüpfenden – Dienerin, gemeint ist. Die Story darf demnach auch nur positiv enden, weil das Pferd Falada-Fallada unablässig die Wahrheit ausposaunt, und sei es auch nur noch als Pferdekopf, angenagelt über dem Eingangstor. Dann erst darf die Grimmsche Geschichte   glücklich enden – weil einer die Kraft hat, die Wahrheit zu sagen. Und genau das will  die politische Botschaft der Ingeborg Bachmann sein.

Indes, wie entkommt unser Übersetzer dem  Dilemma? Indem er den im anglosächsischen Bereich wohl eher unbekannten  Märchen-Namen Falada-Fallada eliminiert und nur andeutend übersetzt: „outside the horse´s harness is being cleansed/until the buggy sets off with the snap of a rein“. 

Peter Filkins hat seinerzeit dank eines Fulbright-Stipendiums Wien kennenlernen dürfen. Freilich, mit Kärntner Wirklichkeiten, für Bachmann unabdingbar, kennt er sich eher distanziert aus. Darob fällt ihm  – leider – das Pferd Fallada zum Opfer. Das tut weh. Dennoch kann er kommunizieren, dass die Bachmann jemanden braucht, um die Wahrheiten über böse Zustände in wo-auch-immer hinauszuschreien. Denn nur über Wahrheit kriegt die Gänsemagd mit ihrem Goldhaar dann doch noch den Königsohn, während  die lügende Kammerjungfer zurücktreten und den Dreck putzen muss. (In anderer Version wird sie splitternackt in ein mit spitzen Nägeln  beschlagenes Fass gesteckt und zu Tode geschleift –  damit um Äonen vorwegnehmend das Schicksal eines Kärntner Jungpolitikers, ob seiner falschen Wahrheiten von einem stählernen Pferd ins Jenseits geschleudert.)

Meine Beckmesserei will in keinerlei Weise der Übersetzung nahetreten. Peter Filkins hat eine großartige bilinguale Bachmann-Edition in die Welt gesetzt. Aber Kärnten birgt sprachliche und kulturelle  Eigenheiten, nicht selten als historische Belastung. Das Hinausschreien der Wahrheit, vorexerziert vom Pferd Falada-Fallada, bleibt für uns eines der verpflichtenden Vermächtnisse der Ingeborg Bachmann – was Kärnten mit seiner slowenisch-deutschen Verknüpfing, politisch und kulturell, inzwischen gut tut .

Übrigens  – Peter Filkins weilte  dank weiterer Literatur-Stipendiums wieder einige Monate in Wien, wo er den ganz frühen journalistischen Anfängen der Ingeborg Bachmann, bevor sich alles zu Literatur verdichtet, nachging. Es soll daraus die alles beantwortende Bachmann-Biografie werden – mit dem Pferd Fallada die Hufen scharrend. Wir warten darauf.

Hier der  übersetzte Text: Songs in flight. The Collected Poems of Ingeborg Bachmann. Translated and  introduced by Peter Filkins. Forword by Charles Simic. Marsilio Publishers, New York 1994. 337 Seiten.