Zurückrudern auf Polnisch
Anderthalb Jahre nach dem Sieg der Bürgerplattform in den polnischen Parlamentswahlen sind die Folgen der national-katholischen Übernahme zentraler polnischer Kultureinrichtungen noch immer zu spüren. Sowohl die Geschwindigkeit als auch das Ausmaß der Veränderungen der Kulturpolitik unter der Ägide des PiS-Kulturministers Piotr Gliński stellt bis heute eine Herausforderung für die neue Regierung dar. Robert Piaskowski vom Polnischen Kulturinstituts beschreibt die Transformation als fragilen Prozess. Bei einer Diskussion Polnischer Perspektiven an der Berliner Akademie der Künste erklärte er, dass erst der Ausgang der Präsidentschaftswahlen im Mai Gewissheit über die Arbeitsbedingungen für polnische Kulturschaffende bringen werde. Olga Brzezińska vom Adam Mickiewicz Institut betont: „Der mühsame Weg zur Demokratie lässt sich nicht vorhersagen“ und fügt hinzu: „Die PiS hatte Kultursystematisch zur politischen Waffe gemacht.“
Dominika Kasprowicz von der Krakauer Villa Decius verweist auf die Rolle kommunaler Kultureinrichtungen, die sich weiterhin der Polarisierung der sie tragenden Gesellschaft stellen müssen: „Die Frage der Stunde lautet, wie man die Menschen wieder zusammenbringt, damit sie überhaupt miteinander ins Gespräch kommen.“ Für das Überdauern ihrer Institution sei zentral, dass die Zivilgesellschaft und die Stadt Krakau an einer nachhaltigen Form der Kooperation festhalten, die sie auch weiterhin resilient gegenüber feindlichen Übergriffen mache.
Der Warschauer Poet Jacek Dehnel war 2019 aufgrund der homophoben Politik der polnischen Rechten mit einem Künstlerstipendium des DAAD nach Berlin ausgewichen. 2024 kehrte er ebenso demonstrativ mit Verweis auf den desolaten Zustand der deutschen Hauptstadt zurück nach Warschau. In der Berliner Diskussion erklärt er seinen Kampf um bessere Arbeitsbedingen für Künstler in Polen. Selbst unter der Partei Recht und Gerechtigkeit gab es eine Initiative, eine Künstlersozialversicherung einzuführen. Der Preis wäre allerdings gewesen, dass Künstlerverbände wie der von ihm geleitete Schriftstellerverband Unia Literacka auch der staatlichen Übernahme zentraler Kultureinrichtungen hätten zustimmen müssen. Deshalb werde eine Gesetzesinitiative über die Einführung der Versicherung erst jetzt in den Ausschüssen des Sejms diskutiert.
Der Berliner Diskussionsabend ging mit einem großartigen Gespräch zwischen Volker Schlöndorff und seiner polnischen Regiekollegin Agnieszka Holland zu Ende. Zuvor hatten die Veranstalter mit einer Schweigeminute gegen die Kürzungen in der Kultur protestiert. Holland reagierte darauf und schlug eine ganze Stunde kollektives Schweigen für das Gespräch vor. Schlöndorff erwiderte, er behalte das Schweigen dem Gedenken an die zahlreichen Toten der Gegenwart vor und wundere sich, dass die Kultur sich selbst betrauert, solange sie noch am Leben sei. Er stand noch sichtlich unter dem Eindruck von Hollands Film Green Border, in dem sie nachzeichnet, was die zynische Politik der Kaczyński-Regierung für Migranten aus Syrien bedeutete, die nach 2021 versuchten die grüne Grenze zwischen Belarus und Polen zu überwinden. Schlöndorff schwärmte davon, wie Holland mit dem Film 2023 in den Wahlkampf eingriff und damit als Künstlerin auch politisch wirkmächtig wurde. Die Regisseurin hingegen verweist konsequent auf die Herausforderungen der Gegenwart und sagt „Es bleibt unsere Verantwortung den Raum mitzubestimmen, in dem Politiker handeln können.“ Den Abend beendete sie mit einem Verweis darauf, dass die Regierung des Ministerpräsidenten Donald Tusk die Symbol-Politik an der polnisch-belarussischen Grenze einfach fortsetzt: „Die neue Regierung beschloss, die Möglichkeit zu nutzen, um die Gesellschaft weiter zu spalten indem sie bestimmte Menschen ausschließt.“ Statt über den mangelnden Mut zur Veränderung zu lamentieren fordert Holland: „Wir brauchen eine neue Vision für die Zukunft.“
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