Kommentar zu Ingo Meyers „Niedergang des Romans“

Kommentar zu Ingo Meyers im Novemberheft erschienenem Essay Niedergang des Romans? Sondierungen im Bezugsrahmen eines Topos, der im Archiv hier abrufbar ist.

Abgesehen davon, dass Essaylektüren über Krisen des Romans bei mir schon etwas länger zurückliegen, sehe ich durchaus einen Sinn für das Thema, weil ich vermute, dass sich hier inzwischen nicht so sehr ein Genre als gleich eine ganze Lesegewohnheit/Einteilungsgewohnheit verloren hat oder dabei ist, sich zu verlieren, ein Paradigma.

Was Meyer macht, ist hauptsächlich eine ganze Reihe von deutschsprachigen Autoren aufzuzählen, die immer noch Romane schreiben (sein Favorit ist Nizon, scheint es, Handke kommt etwas lapidar weg, Goetz erwähnt er fast gar nicht, über den Rest zieht Meyer unterhaltsam, aber auch unwichtig her). Er konzentriert sich meistens auf Literaturbetriebsprodukte wie Tellkamps Turm oder die Feuchtgebiete von Roche, gegen die man leicht polemisieren kann, und die tatsächlich egal sind (wenn er schon dabei ist: fehlt nicht Hegemann?). Meyer bleibt immer noch vollständig im Romanparadigma, ich sehe jedenfalls nicht, dass er es irgendwo durchbricht. Warum lese ich kaum noch Romane? Warum bringen die immer noch Geld (jedenfalls TurmFeuchtgebieteOzelotloderwiedasheißt)? Was meint Meyer eigentlich: den Roman als Markt, als Katalogspalte, als Poetologie, als Gewohnheit?

Vielleicht hatte Meyer vor allem den deutschsprachigen Mainstream im Blick, aber warum geht er dann überhaupt auf die „klassische Moderne“ ein (und was für eine Fragenlawine setzt dieser Begriff da stoisch in Bewegung — „du sprichst ein großes Wort gelassen aus“)? Und eine Aussage wie die, dass Hundejahre das letzte wichtige Werk von Günter Grass sei, ist in irgendeinem Kontext relevant? Was soll hier eröffnet werden? Ist die Pointe seines Textes nicht einfach, dass der deutschsprachige Literaturmarkt (von dem vor allem spricht er) nicht zum Lesen von Romanen animiert? Literatur in den Grenzen des Bachmannpreises?

Verpasst der Text zwischen seinen Minirezensionen nicht die Chance zu wenigstens einer kleinen, wie unscharf auch immer gestellten interessanten Frage?

Eigene hingeschlurte These: der Roman als Paradigma könnte deshalb in den Hintergrund gerückt sein, weil anderes an seine Stelle tritt, weil er inzwischen als Struktur/Gewohnheit/Erwartungshaltung zu bauklötzchenhaft daherkommt, zugleich aber an klassische Krise-des-Romans-Romane außer in Bildungszitaten nicht anknüpfen kann oder will. Weil das Erfinden fiktiver Figuren mitunter wie die Etikettenkleberei am Warenregal wirken kann, weil Text-an-sich vielschichtiger vor solche Fiktionskonstruktionen in den Vordergrund rückt, layerhafter geworden, faseriger, dünner/fragiler/durchsichtiger, etc.

(Ich gebe zu: das sind jetzt bloß subjektive Gedanken; und wenn wir schon beim Subjektiven sind, sei aus meiner eigenen irrelevanten Lektüregewohnheit hinzugefügt, dass mir übrigens Genre-Romane, Romane in Heftchenform oft genau diese genannte layerhafte Konsistenz oder Nicht-Konsistenz haben, die ich sehr mag, weil ich sofort die Rotationspresse dazu assoziiere oder gängige Fernsehserienmuster, die nachgeahmt werden, von schreibenden Nebenverdienstlern und Frührentnern, eine Alltagskultur zwischen Schichtarbeit, Mittagessen und freizeitlicher Fiktionskonsumption; Roman als Sprachspiel: nicht der Tod, sondern die Anonymität des Autors, der inmitten dieser Ramschwarenstruktur seine Spuren hinterlässt als wären es Fingerprints, das Lesen als Spurensuche, das geisterhafte «Rascheln eines abwesenden Autors»? — Pardon für den kleinen Exkurs).

„Roman lesen“ scheint mir jedenfalls inzwischen so seltsam wie „Buch schreiben“.