Widerworte. Zu Irene Bazingers FAZ-Artikel

Ist Kunst nur dann, wenn man „Kunst“ sagt, möglichst laut noch dazu? Das scheint Irene Bazinger zu glauben, wenn sie sich in ihrem polemischen Artikel in der FAZ vom Samstag (bislang ist er nicht online) beschwert, es sei von „Kunst“ nicht die Rede gewesen in unserem Merkur-Gespräch „Was wird Theater?“ Ein bisschen misslich vielleicht, dass sie dann selbst Christoph Gurk zitiert, der die Feindseligkeit, die Chris Dercon seit seiner Berufung zum neuen Volksbühnen-Intendanten entgegenschlägt, als restaurativ und „kunstfeindlich“ kritisierte. Kunstfeindlich, von theoriefeindlich mal zu schweigen, ist doch eigentlich, wenn eine schon weiß, was Kunst ist oder sein soll – und ein Raum für „Experimente“, ein „Labor“ für noch nicht tausendundeinmal Probiertes ist Kunst dann offenbar nicht. Experiment und Labor, das waren Worte, die fielen, wobei Stefanie Wenners Ausführungen zur kapitalen Differenz zwischen einem naturwissenschaftlichen und einem künstlerischen Labor-Begriff zu den interessantesten Gedanken des Abends gehörten.

Hat man sich nur etwas zu sagen, wenn man sich kategorisch widerspricht, möglichst laut noch dazu? Das scheint Irene Bazinger zu glauben, wenn sie sich beschwert, die TeilnehmerInnen unseres Merkur-Gesprächs hätten sich (oder den ZuhörerInnen) nichts zu sagen gehabt, nur weil sie einander freundlich zugewandt blieben, gemeinsam darüber nachdenken wollten, was Theater heißen kann und ist, war und wird. Sie waren in Wahrheit weit davon entfernt, alle dasselbe zu sagen, alle dasselbe zu denken.

Thomas Oberender spielte schon einmal den „Immersions“-Begriff durch, mit dem sich die Festspiele in den nächsten Jahren noch gründlich zu befassen gedenken. Stefanie Wenner widersprach implizit einer These, die Irene Bazinger in ihrem Artikel offenbar ohne Weiteres unterläuft, dass es nämlich selbstverständlich im Theater zuerst und zuletzt um „Dialoge“ zu gehen habe. Wenner will Theater als Raum viel stärker vom Raum und besonders den Dingen her denken. Das versteht sich ganz offenkundig gar nicht von selbst. Birgit Lengers, Leiterin des Jungen DT in Berlin, also des offensten Raums dieses Theaters, hat sehr engagiert von ihren Erfahrungen berichtet, wie es gelingen kann, Jugendliche, denen es erst einmal alles andere als nah ist, fürs Theater zu interessieren – nicht zuletzt ohne Vorentscheidung darüber, was Theater „eigentlich“ ist. Sie, wie Bazinger das tut, als „Leiterin der Jugendgruppe des Deutschen Theaters“ zu bezeichnen, ist schlicht eine Unverschämtheit. Und Christoph Gurk, Kurator bei den Kammerspielen in München, hat erzählt, wie das Experiment funktioniert, ein Stadttheater für die konkrete Zusammenarbeit von dem, was gerne „freie Szene“ heißt, und den traditionelleren Strukturen, Ensemble inklusive, zu öffnen. 

Wie gut tut es einem Diskurs, wenn jene „Widerworte“, die Irene Bazinger vermisst, aus einem Ablehnen und Missverstehen oder Nicht-Verstehen-Wollen so ziemlich aller relevanten Neuerungen des Theaters in den letzten Jahrzehnten bestehen – wie es bei Bernd Stegemann leider der Fall ist? Anders als im Artikel behauptet, haben wir ihn keineswegs „selbstverständlich“ nicht eingeladen (angesichts der Dauerpräsenz von Stegemann im Feuilleton ist dieser Vorwurf ohnehin mehr als albern).

Wir haben uns erlaubt, Leute einzuladen, die etwas wissen und nicht einfach nur rechthaben wollen. Der inszenierte Streit interessiert uns nicht. Er ist, wie die deutschen Fernsehtalkshows tagtäglich vorführen, intellektuell um so unergiebiger, je polarer die Positionen auseinanderliegen. Die Merkur-Gespräche sind nicht als Fortsetzung dieser unsäglichen Scheindebatten gedacht, sie sind ein Ort fürs zivilisierte, im Idealfall ergebnisoffene Gespräch. Deshalb suchen wir die TeilnehmerInnen vor allem danach aus, ob wir von ihnen ein Denken erwarten dürfen, das sich nicht in simplen und schon darum falschen Oppositionen gefällt. Wie gut das funktionieren kann, hat der Abend unserer Ansicht nach gezeigt.

 

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