• Homestorys (IV): Behaglichkeit

    Noch bis vor kurzem galt das Thema Wohnen als intellektuell eher randständig. Mittlerweile hat der Wind sich gedreht. Nach über zwei Jahren kollektiv aufgezwungener Auseinandersetzung mit Homeschooling, Homeoffice, fluiden Quarantäneregelungen und Lockdown-Logistik werden Heim und Haus nun auf einmal als ungeheuer spannende und reflexionsbedürftige Erfahrungsräume ausgerufen. »Die Pandemie hat unser aller Beziehung zu unserem Zuhause tiefgreifend verändert«, heißt es in einer der zahllosen öffentlichen Wortmeldungen, die die Brisanz dieses Bedeutungswandels beschwören, »schließlich hat sie in unseren eigenen vier Wänden nicht weniger Chaos angerichtet als in unserer Psyche und unserem Immunsystem. (mehr …)

  • Brief an einen Leser

    Ein Abonnent hat uns einen Brief geschickt. Er beschwert sich darin - exemplarisch für seine gelegentlichen Schwierigkeiten mit dem Merkur - über Martin Burckhardts Beitrag aus dem Augustheft "Der Kapitalismus ist tot (er weiß es nur noch nicht)". Er vermisst, hier wie öfter, eine "einfache klare Sprache" und beklagt die Verwendung von Metaphern. Wir dokumentieren Christian Demands Antwort, da sie ihrerseits recht grundsätzliche Dinge diskutiert. (mehr …)
  • Widerworte. Zu Irene Bazingers FAZ-Artikel

    Ist Kunst nur dann, wenn man "Kunst" sagt, möglichst laut noch dazu? Das scheint Irene Bazinger zu glauben, wenn sie sich in ihrem polemischen Artikel in der FAZ vom Samstag (bislang ist er nicht online) beschwert, es sei von "Kunst" nicht die Rede gewesen in unserem Merkur-Gespräch "Was wird Theater?" Ein bisschen misslich vielleicht, dass sie dann selbst Christoph Gurk zitiert, der die Feindseligkeit, die Chris Dercon seit seiner Berufung zum neuen Volksbühnen-Intendanten entgegenschlägt, als restaurativ und "kunstfeindlich" kritisierte. Kunstfeindlich, von theoriefeindlich mal zu schweigen, ist doch eigentlich, wenn eine schon weiß, was Kunst ist oder sein soll - und ein Raum für "Experimente", ein "Labor" für noch nicht tausendundeinmal Probiertes ist Kunst dann offenbar nicht. Experiment und Labor, das waren Worte, die fielen, wobei Stefanie Wenners Ausführungen zur kapitalen Differenz zwischen einem naturwissenschaftlichen und einem künstlerischen Labor-Begriff zu den interessantesten Gedanken des Abends gehörten. (mehr …)
  • Fundsache zur aktuellen Nord-Süd-Rhetorik

    Am Rande der Arbeit an meiner Designkolumne für das Aprilheft, die dem amerikanischen Designer Norman Bel Geddes gewidmet ist (hier das Link zum gebührenpflichtigen Pdf), habe ich diesmal allerlei Literatur zur und um die Great Exhibition in London 1851 durchstöbert. Dabei bin ich unter anderem ein weiteres Mal auf den prächtigen Band mit den Originallithographien gestoßen, der im Jahr nach der Weltausstellung unter dem Titel "Dickinsons' comprehensive Pictures of the Great Exhibition of 1851" erschien und den man, der New Yorker Metropolitan Library sei Dank, gebührenfrei online einsehen kann. Ich hatte ihn vor Jahren schon einmal in der Bibliothek in Händen gehalten, mich aber seinerzeit ausschließlich mit den Illustrationen beschäftigt, die Aufbau und Atmosphäre der Schau in sehenswerten puppenhausartigen Tableaus festgehalten haben. Diesmal hatte ich die Zeit, mich ein wenig in die beigefügten Kommentare und Erklärungen zu vertiefen, die in vielerlei Hinsicht ebenso bemerkenswert sind wie die Abbildungen. Aus tagesaktueller Perspektive sticht dabei besonders der Eingangstext hervor, der über den Beitrag Griechenlands in einer Mischung aus Resignation und Fassungslosigkeit berichtet, bei der bereits alle Topoi heutiger Nord-Süd-Gefälle-Schelten aufgerufen werden. (Mehr zum rhetorischen Arsenal dieses Kampfdiskurses auch in Philip Manows Politikkolumne in der Februarausgabe "Rentabilität im Süden".) Die von allerlei mythologischen Anspielungen gerahmte Erzählung von der Ablösung der griechischen durch die nordeuropäische, sprich: britische Zivilisation gipfelt in Sätzen wie: "It is Commerce which has put into the hands of Northern Europe, whose inhabitants clothed themselves in skins and painted their naked bodies with woad, all the arts, the inventions and the comforts which then exclusively flourished in the south, and were enjoyed by it’s people alone." Der gesamte chauvinistische Hymnus findet sich hier.
  • Aalglatt. Designkolumne (Forts.)

    leica                       Aus aktuellem Anlass ein kurzer Nachtrag zu meiner Designkolumne aus dem Septemberheft, in der es um das Phänomen der ostentativen, ins Unwirkliche gesteigerten Glattheit ging, das sich von den Stahlrohrmöbeln der 1920er Jahre über den International Style der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart verfolgen läßt: Am 23. November wurde im Rahmen einer Charity-Aktion in der New Yorke Niederlassung des Auktionshauses Sotheby‘s ein einzigartiger Fotoapparat der Firma Leica versteigert. (Weitere Bilder.) (mehr …)
  • Kurzer Nachtrag zu Hans Platschek

    Das Folgende ist eine eigenständige Ergänzung zu Christian Demands Essay Heiliger Narr. Über den Maler und Essayisten Hans Platschek im aktuellen Heft des Merkur. Ich habe Hans Platschek leider erst sehr spät, nämlich Anfang der 1990er Jahre, für mich entdeckt. Damals stieß der Suhrkamp Verlag gerade die Restbestände seiner hinreißend galligen Essaysammlungen aus den Achtzigern als Mängelexemplare über die Hintertüre des Buchhandels ab, was Platschek, wie mir Freunde von ihm später erzählten, derart kränkte, dass er zur wesentlich kleineren Deutschen Verlags-Anstalt wechselte. Mir selbst war er, wie ich gestehen muss, bis dahin weder als Maler noch als Autor aufgefallen. Aber als mir beim Stöbern in den Bücherkisten vor den Schaufenstern der modernen Antiquariate um die Münchner Universität das Bändchen mit dem Titel Die Dummheit in der Malerei in die Hände fiel, musste ich einfach zugreifen. Selten habe ich einen Impulskauf weniger bereut. (mehr …)
  • Das Kreuz mit der Beliebigkeit

    Vor einigen Monaten habe ich mich bemüht, den Wikipedia-Eintrag zu meiner Person ändern zu lassen, von dem ich noch immer rätsele, wer ihn wohl verfasst haben könnte (und, weit rätselhafter noch, weshalb). Ich wurde dort nämlich als „deutscher Kunstkritiker“ geführt, was an sich nicht ehrenrührig ist, aber leider sachlich falsch. Vor wenigen Tagen nun hat mich ein Bekannter auf einen Artikel in einer der letzten Ausgaben des eMagazins von germanarchitects.com aufmerksam gemacht, in dem ich ebenso grundlos zum Kulturwissenschaftler mutiert bin. (mehr …)
  • Danke liebes ZDF!

    „Ich möchte ein bisschen philosophisch darüber nachdenken, was Freiheit eigentlich ganz genau ist.“ Richard David Precht im Gespräch mit Mathias Döpfner am 7.10. Eine kurze Kontrollpeilung: „Ich glaube ja, dass die Politiker nicht anders sind als die Wähler. Und ich glaube, dass es in unserer heutigen Zeit nahezu unmöglich ist, authentisch zu sein, weil wir zerfallen ja in lauter verschiedene Rollen, die wir im Leben spielen. Wir sind von einem unglaublichen Angebot an Möglichkeiten umgeben, zwischen denen wir das wählen müssen, das wählen, das wählen – wir haben sehr wenig Konstanz in unserem Leben, weil wir ständig das Leben als einen einzigen Supermarkt betrachten, wo wir versuchen das Optimum für uns rauszuholen, zu den wenigsten Kosten den größten Nutzen rauszuziehen, wie will man denn da ein glaubwürdiger und authentischer Mensch unter diesem Umständen überhaupt sein?“ Mission accomplished. Wir erwarten, dass Peter Sloterdijk sich umgehend bei André Rieu entschuldigt.

    cd

  • Im Wolfspelz. Michel Houellebecq und Bernard-Henri Lévy haben sich etwas zu sagen

    Auf Michel Houellebecq ist Verlass. Kaum ein anderer Schriftsteller pflegt sein Bad-Boy-Image mit solch eiserner Konsequenz. Als er im November, wie immer betont nachlässig gekleidet, zur Verleihung des Prix Goncourt erschien, der bisherigen Krönung seiner Karriere, zelebrierte er im Blitzlichtgewitter mit routinierter Hingabe die Rolle, mit der er seit gut fünfzehn Jahren auch abseits der Feuilletons medial dauerpräsent ist: den sperrigen Sonderling und zynischen Nihilisten, vom Rummel um die eigene Person unbeeindruckt, dabei aber doch immer gut für einen kleinen Eklat oder wenigstens eine bedachtsam unbedachte Geschmacklosigkeit. (mehr …)