Homestorys (III): Zeige mir, wie du wohnst
In der monatlichen Magazinbeilage der Neuen Zürcher Zeitung erscheint unter dem Titel Wer wohnt da? seit 2005 eine außergewöhnlich langlebige Kolumne. Welchen Stellenwert Redaktion und Verlag ihr beimessen, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass sie alle konzeptionellen und formalen Umgestaltungen, mit denen die NZZ auf die im Lauf der vergangenen gut anderthalb Jahrzehnte auch in der Schweiz chronisch gewordene Krise der Printmedien reagierte, fast unverändert überstanden hat. Wer wohnt da? ist eine unterhaltsam verkomplizierte Homestory, eine Mischung aus Wohlfühlreportage, alltagshermeneutischem Detektivspiel und spätmodernem Wohnknigge. Den Ausgangspunkt jeder Folge bilden drei professionell gefertigte Farbfotos, wie man sie auch in einem Wohnmagazin finden könnte. Jedes davon gibt großzügig Einblick in unterschiedliche Räume – meist Wohnzimmer und /oder Küche, häufig aber auch Schlaf- und /oder Badezimmer – einer Privatwohnung, über die darüber hinaus nichts bekannt ist und deren Nutzer nicht nur unsichtbar, sondern auch ungenannt bleiben. (mehr …)
Homestorys (II): Living
»Unser living-room, – Wohnzimmer kann man solche Räume ja nun wirklich nicht mehr nennen…«
Alfred Andersch, Opferung eines Widders (1963)
Anfang März 2015 empfingen der griechische Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis und seine Frau Danae Stratou ein Reporter- und Fotografenteam der Illustrierten Paris Match in ihrem Penthouse in der Altstadt von Athen. Varoufakis war zu diesem Zeitpunkt seit etwas mehr als einem Monat Finanzminister des Kabinetts von Alexis Tsipras. Als erste wichtige Amtshandlung, nur drei Tage nach seiner Vereidigung, hatte er die Zusammenarbeit Griechenlands mit der Troika, dem von der Euro-Gruppe eingesetzten haushaltspolitischen Kontrollgremium, einseitig für beendet erklärt. (mehr …)
Homestorys (I). Betreutes Wohnen
Netflix, mit 140 Millionen Abonnenten und einem Bilanzgewinn in Milliardenhöhe der größte und einträglichste Online-Streamingdienst der Welt, eine Firma also mit sicherem Gespür für die Unterhaltungsbedürfnisse eines gigantischen Konsumentenpools, hat seit dem Frühjahr die erste Staffel einer Serie im Programm, bei der man anderen Menschen beim Hausputz zusehen kann. Tidying up with Marie Kondo basiert auf einer japanischen Ratgeberreihe zur optimalen Haushaltsorganisation, die innerhalb weniger Jahre, begleitet von einem bemerkenswerten Medienecho, millionenfach verkauft und in mehr als drei Dutzend Sprachen übersetzt worden ist (die deutsche Ausgabe trägt den Titel Magic Cleaning).(Der Essay ist im Juniheft 2019, Merkur # 841, erschienen.)
(mehr …)Brief an einen Leser
Ein Abonnent hat uns einen Brief geschickt. Er beschwert sich darin - exemplarisch für seine gelegentlichen Schwierigkeiten mit dem Merkur - über Martin Burckhardts Beitrag aus dem Augustheft "Der Kapitalismus ist tot (er weiß es nur noch nicht)". Er vermisst, hier wie öfter, eine "einfache klare Sprache" und beklagt die Verwendung von Metaphern. Wir dokumentieren Christian Demands Antwort, da sie ihrerseits recht grundsätzliche Dinge diskutiert. (mehr …)Kunst und Krempel
»it is easy for a museum to get objects – it is hard for a museum to get brains« John Cotton Dana, 1920
Arsprototo ist der Titel einer Zeitschrift, mit der die Kulturstiftung der Länder vierteljährlich ein Publikum abseits der Fachöffentlichkeit über ihre Aktivitäten informiert. Es ist ein professionell gemachtes Hochglanzmagazin, das sich in seiner aufwändigen und zugleich betont gediegenen Aufmachung an die Sorte üppig illustrierter Kunstzeitschriften im Tablebook-Format anlehnt, in denen Auktionshäuser mit Schwerpunkt auf Antiquitäten und Alte Meister ihre Anzeigen schalten. Die Kulturstiftung der Länder ist auf ihrem Wirkungsfeld einer der angesehensten und zugleich wichtigsten Akteure in Deutschland. Seit 1988 unterstützt und berät sie Museen, Archive und Bibliotheken beim Erwerb und Erhalt von Kunstwerken und Kulturgütern von »nationaler Bedeutung« und fördert überdies Ausstellungsprojekte – im Lauf der vergangenen dreißig Jahre hat sie nach eigenen Angaben für Ankäufe Finanzbeihilfen von 170 Millionen Euro bereitgestellt. Allein in den vergangenen zwei Jahren unterrichtete Arsprototo unter anderem über den Kauf umfangreicher fürstlicher Sammlungen, aber auch einzelner grafischer Blätter, von Autografen und Planwerken, Notizbüchern, Gemälden, Fotokonvoluten, biografischen Nachlässen, mittelalterlichen Altären und Münzhorten, frühbarocken Prachtgefäßen, klassizistischen Möbeln, kleinen und großen Skulpturen von der Antike bis zur Gegenwart, Kleidung, Fayencen, Tapisserien, Manuskripten, Briefwechseln, einem literarischen Vorlass, einem chinesischen Stellschirm und einer japanischen Samurai-Rüstung.