Arbeiten Tiere?
von Jana VolkmannWenn man Wien nach Südwesten verlässt, passiert man zwei Tiergärten. Der erste, in der zu Schloss Schönbrunn gehörigen Parkanlage gelegen, ist ein Zoo im klassischen Sinn: Tiere im Gehege. Der Zoo darf sich rühmen, der älteste der Welt zu sein (und auch der beste Europas, das zugehörige Gütesiegel wurde ihm zuletzt 2018 verliehen). Wie jeder Zoo behauptet auch der älteste und beste, sich Tierwohl, Artenschutz und Wissenschaft verschrieben zu haben. Einige wenige architektonische Restbestände der historischen Menagerie wurden modernisiert, die Anlage darüber hinaus aber neugebaut. Geht man frühmorgens, lange vor Öffnung des Tiergartens, in den Schönbrunner Schlosspark, hallt das Röhren, Raunen, Kreischen, Wiehern, Meckern und Keckern der Zoobewohner mitunter durch den ganzen Park und verliert sich erst ganz oben an der Gloriette, von der aus man halb Wien betrachten kann, bis an den Säumen der Stadt die Wälder und Hügel aufwallen – einst Maria Theresiens Aussichtspunkt. Wenn man sich im frühen Nebel alleine unter Tieren wähnt, kann es passieren, dass man die Käfige vergisst.
Der zweite Tiergarten liegt inmitten jener Wald- und Hügellandschaft: der Lainzer Tiergarten, der eigentlich selbst ein hügeliges Stück Wald ist. Hier gibt es hauptsächlich Wildschweine, die auf dem Gelände frei umherlaufen. Außerdem Mufflons, Damwild und Fledermäuse. Es kann gut und gern passieren, dass man eine Stunde durch den Lainzer Tiergarten spaziert, ohne ein einziges Tier zu Gesicht zu bekommen, von Feuerwanzen einmal abgesehen. Den Tieren muss es dort blendend gehen. Sie sind eingezäunt, aber warum sollten sie den Wald verlassen wollen, einen so gut gepflegten Wald noch dazu. Hin und wieder werden einzelne Bäume gefällt, damit die Waldkrone, die sich von weit weg wie ein einziges grünes Geflecht ausnimmt, wieder genügend Licht für den Baumnachwuchs durchlässt.
Nachhaltige Forstwirtschaft bedeutet in diesem Fall, sich die Mittel des 19. Jahrhunderts wieder zu eigen zu machen. Konkret: Es kommen Holzrücker mit Pferden, um die gefällten Bäume zu entfernen; für den Boden ist das allemal besser, als wenn ein vollbeladener Tragschlepper mit Riesenreifen übers Erdreich walzt. Diese archaisch anmutende Art der Beforstung gibt es beinahe überall, wo mehr als zwei Bäume nebeneinander stehen. Die Stadt Wien hat sich zu diesem Behuf eine Zeitlang sogar eigene Pferde geleistet. Was sehen die wohl in den Wildschweinen, falls sie ihnen, einen Baumstamm hinter sich her ziehend, im Tiergarten begegnen? Und was die Schweine in den Pferden?
Denkt man an arbeitende Tiere, dürften den meisten auf Anhieb historische, aus heutiger Sicht archaische Bilder ins Gedächtnis kommen, etwa von Kutsch- und Ackergäulen aus vorindustriellen Zeiten. So als hätte sich das ganze Thema spätestens mit der Erfindung des Verbrennungsmotors erübrigt, bloß weil Pferde dank Motorisierung und Automatisierung für Verkehr und Transport keine Rolle mehr spielen, weil im Kohlenpott keine Grubenpferde mehr und auf den Feldern Pflugmaschinen unterwegs sind. Dabei wird die Arbeitskraft der Tiere auch weiterhin von Menschen genutzt und beileibe nicht nur als urtümliche ökologische Alternative zu spritfressenden Maschinen. Ohne die unermüdliche Produktivität der Spürhunde und Brauereigäule, der Therapiekatzen und der Brieftauben jedenfalls wäre die Menschheit nicht dort angekommen, wo sie sich heute befindet.
Diese Produktivität wird von Menschen in so verschiedener Weise genutzt und ausgenutzt, dass es schwerfällt, darauf eine politik- oder sozialwissenschaftlich etablierte Definition von Arbeit pauschal anzuwenden – ganz davon abgesehen, dass jene Definitionen Arbeit oft als »spezifisch menschliche« Tätigkeit setzen (Politiklexikon der Bundeszentrale für politische Bildung). Dem steht die Realität entgegen, die zahllosen Weisen, wie Tiere an der Produktion von Gütern beteiligt sind und Dienstleistungen verrichten.
Die Philosophin Oxana Timofeeva schreibt: »Our very survival is based on animal slavery, the animal body being a perfect subject of exploitation, a labour force in its pure, bodily form« – allerdings ist Arbeit nicht gleichbedeutend mit Sklaverei, nicht jede Arbeit in gleichem Maß ausbeuterisch, nicht jede gefährdet in gleichem Maß Gesundheit und Leben derer, die sie ausüben, egal welcher Spezies sie angehören.
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