Heft 876, Mai 2022

Arbeiten Tiere?

von Jana Volkmann

Wenn man Wien nach Südwesten verlässt, passiert man zwei Tiergärten. Der erste, in der zu Schloss Schönbrunn gehörigen Parkanlage gelegen, ist ein Zoo im klassischen Sinn: Tiere im Gehege1. Der Zoo darf sich rühmen, der älteste der Welt zu sein (und auch der beste Europas, das zugehörige Gütesiegel wurde ihm zuletzt 2018 verliehen). Wie jeder Zoo behauptet auch der älteste und beste, sich Tierwohl, Artenschutz und Wissenschaft verschrieben zu haben. Einige wenige architektonische Restbestände der historischen Menagerie wurden modernisiert, die Anlage darüber hinaus aber neugebaut. Geht man frühmorgens, lange vor Öffnung des Tiergartens, in den Schönbrunner Schlosspark, hallt das Röhren, Raunen, Kreischen, Wiehern, Meckern und Keckern der Zoobewohner mitunter durch den ganzen Park und verliert sich erst ganz oben an der Gloriette, von der aus man halb Wien betrachten kann, bis an den Säumen der Stadt die Wälder und Hügel aufwallen – einst Maria Theresiens Aussichtspunkt. Wenn man sich im frühen Nebel alleine unter Tieren wähnt, kann es passieren, dass man die Käfige vergisst.

Der zweite Tiergarten liegt inmitten jener Wald- und Hügellandschaft: der Lainzer Tiergarten, der eigentlich selbst ein hügeliges Stück Wald ist. Hier gibt es hauptsächlich Wildschweine, die auf dem Gelände frei umherlaufen. Außerdem Mufflons, Damwild und Fledermäuse. Es kann gut und gern passieren, dass man eine Stunde durch den Lainzer Tiergarten spaziert, ohne ein einziges Tier zu Gesicht zu bekommen, von Feuerwanzen einmal abgesehen. Den Tieren muss es dort blendend gehen. Sie sind eingezäunt, aber warum sollten sie den Wald verlassen wollen, einen so gut gepflegten Wald noch dazu. Hin und wieder werden einzelne Bäume gefällt, damit die Waldkrone, die sich von weit weg wie ein einziges grünes Geflecht ausnimmt, wieder genügend Licht für den Baumnachwuchs durchlässt.

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