Aus dem Leben eines Antiquars
(Geert Pötter, 1949–2023) von Thomas Schaefer»Der Mann, lieber Leser, mit dessen Charakter ich dich etwas genauer bekannt machen will, war kein Gelehrter; auch nicht vom Adel, physice gewiß nicht, Beförderer der Wissenschaften im eigentlichen Verstande war er auch nicht, ohnerachtet er es als Büchertrödler doch noch mehr war, als der Buchhändler, er brachte nicht allein Bücher wohlfeil an die Hungrigen, sondern nahm sie auch denen auf billige Art wieder ab, die deren zu viel hatten. Weswegen war er denn also merkwürdig?«
Georg Christoph Lichtenberg, Zur Biographie Kunkels Gehöriges
Man wird sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn man behauptet, um einen besonders geschäftstüchtigen Menschen habe es sich beim Antiquar wohl nicht gehandelt; etwas dezenter ausgedrückt könnte man auch sagen, Bücher und deren Liebhaber seien ihm stets ein wenig wichtiger gewesen als das Geld. Einmal, als ich den Antiquar in seinem Ladengeschäft im ersten Stock der Theaterstraße 3 (über Samen-Kröbel) besuchte – wie es so viele müßiggängerische Menschen taten, Männer zumeist, die auf den Ledersesseln des Antiquariats herumlungerten, unmäßig rauchten, dem Antiquar seinen Kaffeevorrat wegtranken, nichts kauften, dafür aber erhebende, geistreiche Debatten führten –, wies er mich auf einen jungen Mann hin, der vor einem der Regale stand und die Buchrücken studierte. In der ihm eigenen Art, nämlich mit einem kräftigen Räuspern als Auftakt seiner jeweiligen Rede, fragte er mich, ob ich diesen Mann sehe.
Dieser Mann, so der Antiquar nach einem neuerlichen Räuspern, entwende bei ihm regelmäßig Bücher.
»Der klaut bei dir?«, fragte ich verblüfft. »Und du weißt das und unternimmst nichts dagegen?«
Was er denn, bitte, dagegen unternehmen solle, erwiderte der Antiquar leicht verzweifelt. Er kenne diesen Kunden, das sei ein armer Schlucker, der zwar nicht über viel Geld verfüge, dafür aber über ein Sammelgebiet. Und da er sich die entsprechenden Bücher nicht leisten könne, müsse er sie nun mal stehlen. Und da sei er als Geschäftsinhaber dann eben leider machtlos, schloss der Antiquar. Und ließ mich stehen.
Kein Wunder also, dass, so lauteten zumindest Gerüchte, mitunter Strom und Wasser im Antiquariat abgestellt waren und der Antiquar in der Kneipe an manchen Abenden nur Leitungswasser trank. Einmal aber saß der Antiquar an einem großen Tisch in munterer Runde, deren Mittelpunkt er offensichtlich bildete. Er winkte mich mit großer Geste herbei, forderte mich auf, mich dazuzugesellen und nach meinem Gusto ein Getränk zu bestellen, und zwar auf seine Kosten. Auf dem Tisch stand ein silberner Kübel, in dem eine Flasche Champagner lehnte, aus der sich der Antiquar, kaum dass ich mich gesetzt hatte, großzügig bediente.
Er werde, erklärte er mir, nachdem er sich fröhlich geräuspert hatte, am kommenden Vormittag das Geschäft seines Lebens machen, nach dessen Abschluss er auf alle Zeiten saniert sein werde und in das er quasi hineinfeiere. Er habe nämlich eine echte Gutenberg-Bibel angeboten bekommen, die er morgen kaufen und umgehend sehr gewinnbringend weiterveräußern werde.
»Eine echte Gutenberg-Bibel?«, zweifelte ich. »Davon gibt es meines Wissens weltweit nur noch höchstens fünfzig Exemplare, und ich glaube kaum, dass eins davon einfach so im freien Handel auf dem Markt …«
Doch, doch, unterbrach mich der Antiquar, das habe alles seine Richtigkeit, und zwar genau so, wie er es hier erzähle, er habe alles hinreichend geprüft. Freilich hockte der Antiquar einige Abende später wieder hinter einem Glas Leitungswasser in eben jener Kneipe.
»Nanu«, fragte ich, »was ist passiert? Ich dachte, du …«
Nein, sagte der Antiquar, das mit der Gutenberg-Bibel sei nichts geworden, da habe es sich bedauerlicherweise wohl um einen Irrtum gehandelt. Ich solle doch nur mal bedenken: eine Gutenberg-Bibel! Es sei doch klar, dass da etwas nicht habe stimmen können. Aber, so schloss der Antiquar, es sei doch eine so schöne Geschichte gewesen.
Die Wahrheit ist also, dass dem Antiquar auf dieser Welt in finanziellen Dingen schwerlich zu helfen und er selber daran nicht unschuldig war. Der Schriftsteller V., über Jahrzehnte der einzige namhafte Autor, der in unserer Stadt lebte, erzählte zum Beispiel, er habe dem Antiquar zur Linderung von dessen wirtschaftlichen Sorgen ein Manuskript geschenkt, auf dass der Antiquar es verkaufe. Allerdings habe der Antiquar das Schriftstück, angefertigt in der berühmten kalligrafischen Schönstschrift des Dichters, mit leuchtenden Augen in Empfang genommen, mit seiner großen, spitz in die Welt hineinragenden Nase daran geschnuppert, es hin und her gewendet, um dann entschieden zu verkünden, er bedanke sich sehr herzlich, aber er werde diese Zimelie, so V., seinem Privatbesitz zuführen, denn das Stück sei viel zu kostbar, um es zu Geld zu machen.
Die Kostbarkeit liegt selbstverständlich immer im Auge des Betrachtenden. Auch ich hatte ein Sammelgebiet, und das hatte sich der Antiquar gemerkt, so dass er eines Tages bei mir anrief und mich informierte, er habe ein Buch aufgetan, das meinen Interessen entspreche, und es sofort für mich erworben.