Heft 901, Juni 2024

Aus dem Leben eines Antiquars

(Geert Pötter, 1949–2023) von Thomas Schaefer

»Der Mann, lieber Leser, mit dessen Charakter ich dich etwas genauer bekannt machen will, war kein Gelehrter; auch nicht vom Adel, physice gewiß nicht, Beförderer der Wissenschaften im eigentlichen Verstande war er auch nicht, ohnerachtet er es als Büchertrödler doch noch mehr war, als der Buchhändler, er brachte nicht allein Bücher wohlfeil an die Hungrigen, sondern nahm sie auch denen auf billige Art wieder ab, die deren zu viel hatten. Weswegen war er denn also merkwürdig?«

Georg Christoph Lichtenberg, Zur Biographie Kunkels Gehöriges

Man wird sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn man behauptet, um einen besonders geschäftstüchtigen Menschen habe es sich beim Antiquar wohl nicht gehandelt; etwas dezenter ausgedrückt könnte man auch sagen, Bücher und deren Liebhaber seien ihm stets ein wenig wichtiger gewesen als das Geld. Einmal, als ich den Antiquar in seinem Ladengeschäft im ersten Stock der Theaterstraße 3 (über Samen-Kröbel) besuchte – wie es so viele müßiggängerische Menschen taten, Männer zumeist, die auf den Ledersesseln des Antiquariats herumlungerten, unmäßig rauchten, dem Antiquar seinen Kaffeevorrat wegtranken, nichts kauften, dafür aber erhebende, geistreiche Debatten führten –, wies er mich auf einen jungen Mann hin, der vor einem der Regale stand und die Buchrücken studierte. In der ihm eigenen Art, nämlich mit einem kräftigen Räuspern als Auftakt seiner jeweiligen Rede, fragte er mich, ob ich diesen Mann sehe.

Dieser Mann, so der Antiquar nach einem neuerlichen Räuspern, entwende bei ihm regelmäßig Bücher.

»Der klaut bei dir?«, fragte ich verblüfft. »Und du weißt das und unternimmst nichts dagegen?«

Was er denn, bitte, dagegen unternehmen solle, erwiderte der Antiquar leicht verzweifelt. Er kenne diesen Kunden, das sei ein armer Schlucker, der zwar nicht über viel Geld verfüge, dafür aber über ein Sammelgebiet. Und da er sich die entsprechenden Bücher nicht leisten könne, müsse er sie nun mal stehlen. Und da sei er als Geschäftsinhaber dann eben leider machtlos, schloss der Antiquar. Und ließ mich stehen.

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