Bürokratenehrenwort
von Benjamin NathansWer schon immer erfahren wollte, wie der »Deep State« in Amerika wirklich funktioniert, dem bieten diese drei Bücher dafür einen verlässlichen Ausgangspunkt: Lessons from the Edge von Marie Yovanovitch, Here, Right Matters von Alexander S. Vindman und There Is Nothing for You Here von Fiona Hill. Alle drei Autoren waren hochrangige Beamte, als Donald Trump Präsident wurde, und der Öffentlichkeit die längste Zeit über unbekannt – sie waren im Stillen bis knapp unter die Oberfläche des außenpolitischen amerikanischen Establishments aufgestiegen. Und keiner von ihnen, davon darf man ausgehen, hätte seine oder ihre Memoiren geschrieben, wären sie nicht als Zeugen in Donald Trumps erstem Amtsenthebungsverfahren im Herbst 2019 zu nationaler Berühmtheit gelangt.
Marie Yovanovitch machte Karriere im Auswärtigen Dienst und wurde Botschafterin in einigen Ländern, darunter auch, verhängnisvollerweise, in der Ukraine. Alexander S. Vindman stieg in der US-Armee bis zum Rang eines Oberstleutnants auf, sammelte unter anderem Kampferfahrung im Irak, wurde dann in den Stab des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) berufen. Seine erste Chefin dort war Fiona Hill, deren Karrierestationen von Academia (Harvards Kennedy School) über Thinktanks (Brookings Institution) bis zu den Geheimdiensten reichten (National Intelligence Council und NSC). Alle drei spezialisierten sich auf Russland und andere Territorien der ehemaligen Sowjetunion. Als Beamte sowohl unter demokratischen als auch republikanischen Regierungen konnten sie dem »Deep State« das liefern, worauf er angewiesen war: enormes Fachwissen, tiefe Loyalität gegenüber amerikanischen Institutionen und Arbeitstage von vierzehn Stunden.
Damit nicht genug. Das moderne Beamtentum, schrieb Max Weber in Politik als Beruf (1919), hat eine Entwicklung durchlaufen hin zu einer »hochqualifizierten geistigen Arbeiterschaft mit einer im Interesse der Integrität hochentwickelten ständischen Ehre, ohne welche die Gefahr einer furchtbaren Korruption und gemeinen Banausentums als Schicksal über uns schweben und auch die rein technische Leistung des Staatsapparates bedrohen würde«.
Wir sind es nicht gewohnt, Beamten »Ehre« zuzuschreiben, eine Sache, die man eher mit Aristokraten in Verbindung bringt. Weber hatte jedoch eine ganz besondere Form der Ehre im Sinn. Die »Ehre des Beamten«, so Weber, »ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche: ohne diese im höchsten Sinne sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele der ganze Apparat.« Das Problem der Trump-Regierung bestand nun aber darin, dass der Oberbefehlshaber selbst der Inbegriff von Korruption und Banausentum war. Was, wenn seine Befehle nicht nur undurchdacht waren – die Mittel nicht den Zwecken entsprachen –, sondern moralisch falsch oder illegal?
Weniger als zwei Jahre nach Trumps Amtsantritt veröffentlichte ein hochrangiger Beamter anonym einen Aufsatz in der New York Times, in dem er berichtete, wie er und gleichgesinnte Kollegen »mit allen Kräften von innen heraus daran arbeiten, gewisse Aspekte der Agenda [Trumps] zu vereiteln und seinen schlimmsten Neigungen entgegenzuwirken«. Er rechtfertigte dieses außergewöhnliche Verhalten mit der »Amoralität« des Präsidenten. »Jeder, der mit ihm zusammenarbeitet«, so der Beamte, »weiß, dass keine Prinzipien erkennbar sind, die seine Entscheidungsfindung leiten.« Bestimmte Entscheidungen eines solchen Präsidenten zu vereiteln, sei deshalb nicht unehrenhaft. Als die »Erwachsenen im Raum« versuchten der anonyme Autor und seine Mitstreiter, »das Richtige zu tun, auch wenn Donald Trump es nicht tut«. Während Trump, verständlicherweise außer sich vor Wut, eine Hexenjagd auf illoyale Beamte anzettelte, bewährte sich der »Deep State«, anders als Weber es prophezeit hatte, als Stabilisator. Der Apparat brach nicht zusammen.
Die Tatsache, dass in Regierung und Verwaltung viele Donald Trump als schlecht informiert, notorisch unaufmerksam, narzisstisch und als chronischen Lügner wahrnahmen, dürfte niemanden mehr überraschen. Dennoch gibt es in diesen Büchern immer wieder Momente, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Laut Yovanovitch wandte sich Trump mitten in seinem ersten Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko im Jahr 2017 an seinen nationalen Sicherheitsberater H. R. McMaster und fragte nach, ob sich amerikanische Truppen in der abtrünnigen Donbass-Region in der Ostukraine befänden. Im November 2018, als russische Streitkräfte ukrainische Militärschiffe in internationalen Gewässern des Schwarzen Meers beschossen und beschlagnahmten, verfiel Trump in das, was Vindman eine »Entscheidungslähmung« nennt, unfähig, irgendeine Vorgehensweise in Betracht zu ziehen, die Wladimir Putin verärgern könnte. Seine Reden bestanden, so Hill, auch bei Treffen hinter verschlossenen Türen aus einem einzigen »Wortnebel«, alles ein »abenteuerlicher, zusammenhangloser Monolog […], in dem wir auf der Suche nach dem Sinn herumstolperten«.
Yovanovitch wurde in Kanada als Tochter von Einwanderern geboren, deren Familien aus dem bolschewistischen Russland geflohen waren und ihr Gefühl der Entwurzelung an sie weitergaben. Während ihrer gesamten Kindheit in Connecticut, wo die Eltern als Internatslehrer arbeiteten, wollte sie »einfach nur dazugehören«. Der Titel ihrer Erinnerungen, Lessons from the Edge, fängt das Gefühl der Randständigkeit ein. Er spielt zugleich auf Rudolph Giulianis Attacken an, die Yovanovitch an den Rand des beruflichen Ruins brachten, aber auch auf den Schauplatz dieser Attacken: Das Wort »Ukraine« bedeutet »am Rande« oder »Grenzland«. Vielleicht ist der Titel auch eine Anspielung auf Yovanovitchs Erfahrung als Frau im Auswärtigen Dienst. Als sie diesem 1986 beitrat, waren die Führungskräfte im Außenministerium noch durchweg »pale, male and Yale«. Lessons from the Edge porträtiert ein amerikanisches diplomatisches Korps, das gerade erst anfängt, sich mit den Implikationen seiner unerbittlichen Rhetorik der Meritokratie auseinanderzusetzen, und rekapituliert frühere Debatten über die Zulassung von Frauen und den Zugang von ethnischen Minderheiten zu den Universitäten der Ivy League.
Es half natürlich, dass Yovanovitch weiß ist und in Princeton studiert hat. Trotz oder vielleicht gerade wegen des alltäglichen Sexismus in Washington wurde sie zu einem Exempel der von Weber beschriebenen strikten beruflichen Integrität. In ihren eigenen Worten war sie »eine engagierte Regelbefolgerin«. Und das, so stellte sich heraus, prägte entscheidend auch ihre Arbeit als Botschafterin in Kirgisistan (2005–2008), Armenien (2008–2011) und der Ukraine (2016–2019): Sie versuchte, diese ehemaligen Sowjetrepubliken dazu zu bringen, sich an Regeln zu halten. Regeln, die Vetternwirtschaft und Bestechung ausschließen; Regeln, die Transparenz und echten Wettbewerb vorschreiben; Regeln, die es verbieten, seine politischen Rivalen zu töten, zu vergiften oder mit Säure zu verätzen. Mit anderen Worten: die Regeln der Demokratie und der regulierten Märkte.
»Ich habe einen Großteil meiner Zeit im Auswärtigen Dienst«, so Yovanovitch, »damit verbracht, Reformern innerhalb und außerhalb der Regierung zu helfen, gegen die schlechte Regierungspraxis und die Korruption anzukämpfen, die ihre Länder ausbluten ließen.« In solchen Fällen, argumentiert sie, stimmen Amerikas Werte und Interessen durchaus überein: »Korrupte Staatsoberhäupter sind von Natur aus als Partner unzuverlässig, und die Abneigung, die sie im eigenen Land hervorrufen, führt fast zwangsläufig zu Instabilität innerhalb – und manchmal auch außerhalb – von dessen Grenzen.« Doch manchmal gibt es Situationen, »in denen wir unsere Eigeninteressen gegen unsere Werte abwägen müssen, weil die USA wichtige Prioritäten verfolgen, die oft das Arrangement mit prinzipienlosen und ihre eigenen Länder ausbeutenden Führern erforderlich machen«.
Der Newsletter der Kulturzeitschrift MERKUR erscheint einmal im Monat mit Informationen rund um das Heft, Gratis-Texten und Veranstaltungshinweisen.