Heft 878, Juli 2022

Bürokratenehrenwort

von Benjamin Nathans

Wer schon immer erfahren wollte, wie der »Deep State« in Amerika wirklich funktioniert, dem bieten diese drei Bücher dafür einen verlässlichen Ausgangspunkt: Lessons from the Edge von Marie Yovanovitch, Here, Right Matters von Alexander S. Vindman und There Is Nothing for You Here von Fiona Hill.1 Alle drei Autoren waren hochrangige Beamte, als Donald Trump Präsident wurde, und der Öffentlichkeit die längste Zeit über unbekannt – sie waren im Stillen bis knapp unter die Oberfläche des außenpolitischen amerikanischen Establishments aufgestiegen. Und keiner von ihnen, davon darf man ausgehen, hätte seine oder ihre Memoiren geschrieben, wären sie nicht als Zeugen in Donald Trumps erstem Amtsenthebungsverfahren im Herbst 2019 zu nationaler Berühmtheit gelangt.

Marie Yovanovitch machte Karriere im Auswärtigen Dienst und wurde Botschafterin in einigen Ländern, darunter auch, verhängnisvollerweise, in der Ukraine. Alexander S. Vindman stieg in der US-Armee bis zum Rang eines Oberstleutnants auf, sammelte unter anderem Kampferfahrung im Irak, wurde dann in den Stab des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) berufen. Seine erste Chefin dort war Fiona Hill, deren Karrierestationen von Academia (Harvards Kennedy School) über Thinktanks (Brookings Institution) bis zu den Geheimdiensten reichten (National Intelligence Council und NSC). Alle drei spezialisierten sich auf Russland und andere Territorien der ehemaligen Sowjetunion. Als Beamte sowohl unter demokratischen als auch republikanischen Regierungen konnten sie dem »Deep State« das liefern, worauf er angewiesen war: enormes Fachwissen, tiefe Loyalität gegenüber amerikanischen Institutionen und Arbeitstage von vierzehn Stunden.

Damit nicht genug. Das moderne Beamtentum, schrieb Max Weber in Politik als Beruf (1919), hat eine Entwicklung durchlaufen hin zu einer »hochqualifizierten geistigen Arbeiterschaft mit einer im Interesse der Integrität hochentwickelten ständischen Ehre, ohne welche die Gefahr einer furchtbaren Korruption und gemeinen Banausentums als Schicksal über uns schweben und auch die rein technische Leistung des Staatsapparates bedrohen würde«.

Wir sind es nicht gewohnt, Beamten »Ehre« zuzuschreiben, eine Sache, die man eher mit Aristokraten in Verbindung bringt. Weber hatte jedoch eine ganz besondere Form der Ehre im Sinn. Die »Ehre des Beamten«, so Weber, »ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche: ohne diese im höchsten Sinne sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele der ganze Apparat.« Das Problem der Trump-Regierung bestand nun aber darin, dass der Oberbefehlshaber selbst der Inbegriff von Korruption und Banausentum war. Was, wenn seine Befehle nicht nur undurchdacht waren – die Mittel nicht den Zwecken entsprachen –, sondern moralisch falsch oder illegal?

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