Clarence Thomas
Porträt eines schwarzen Nationalisten als Verfassungsrichter von Amadou Korbinian SowPorträt eines schwarzen Nationalisten als Verfassungsrichter
Der texanische Immobilieninvestor Harlan Crow sammelt NS-Memorabilia. Nur ist er kein einfacher Sammler vom Schlage deutscher Kryptofaschisten, die sogar den alten SS-Dolch ihres Großvaters inbrünstig hüten. Crows Kollektion tut sich vielmehr dadurch hervor, dass sie zwei Malereien angeblich von Hitlers eigener Hand birgt. Mehr noch: Diese Malereien versteckte Crow nicht etwa in einem Genfer Zollfreilager oder dergleichen. Vielmehr hängte er sie gut sichtbar in seinem Zuhause in Dallas auf, so dass jeder Besucher in ihren zweifelhaften ästhetischen Genuss kommen konnte.
Crow, dessen Vater vom Forbes Magazine einmal als größter Vermieter der USA bezeichnet wurde, spendet Millionen an die Republican Party und ihr Vorfeld. Seit Jahrzehnten pflegt Crow enge Beziehungen zu dem Richter am US Supreme Court Clarence Thomas. Man mag sich ausmalen, wie Thomas unter den Werken des zwei Mal von der Wiener Kunstakademie abgelehnten »Führers« von Crow empfangen wurde. Immer wieder gewährte Crow auch Thomas finanzielle Zuwendungen und großzügige Gefälligkeiten, die jener wiederum zunächst verheimlichte. Darunter waren Flugreisen in Crows Privatjet, Jacht-Cruises, luxuriöse Urlaubsaufenthalte und anderes.
Dass Crow den erzkonservativen Richter Thomas umsorgt wie ein patronus der römischen Antike seinen Klienten, ist in der oligarchischen Logik des politischen Systems der Vereinigten Staaten nur folgerichtig. Seit vierunddreißig Jahren urteilt Clarence Thomas bereits am Supreme Court. In drei Jahren wird er der am längsten amtierende Supreme-Court-Richter der US-amerikanischen Geschichte sein. Er gilt als Protagonist der rechten Wende des Obersten Gerichts, war wesentlicher Architekt von Urteilen, die eine Stärkung des Rechts zum Waffenbesitz bewirkten (NYSRPA v. Bruen), religiöse Vereinigungen im öffentlichen Raum stärkten (Good News Club v. Milford Central School) und bereitete mit seinen Sondervoten in vorangegangenen Entscheidungen das Ende des föderalen Abtreibungsschutzes vor (Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization).
Thomas’ Einfluss reicht weit über die Judikative hinaus. In der ersten Trump-Regierung waren über zwanzig seiner ehemaligen clerks als politische Beamte angestellt. Zugleich ist er erst der zweite afroamerikanische Richter am Supreme Court. Ein Leichtes wäre es nun, Thomas als »Onkel Tom« erscheinen zu lassen, als unterwürfigen Schwarzen, der sich willfährig dem rassistischen System fügt und den reiche Weiße mit fragwürdigen politischen Vorstellungen wie Harlan Crow insoweit zu Recht hegen.
Doch diese Deutung greift zu kurz. In Wirklichkeit hat Thomas ein ganz anderes, nämlich affirmatives Verhältnis zu seiner afroamerikanischen Identität. Er ist, was US-Amerikaner einen black nationalist nennen, jemand der glaubt, »Rasse« sei der Dreh- und Angelpunkt der Welt und Schwarzsein zentrales Strukturprinzip des eigenen Selbstverständnisses. Diesem ideologischen Strukturprinzip ist Thomas’ gesamtes Denken verpflichtet und selbstredend auch die Richtertätigkeit. Wer Hoffnung setzt in das emanzipatorische Potenzial einer Ausrichtung des Rechts auf race, wie es heutzutage öfter geschieht, sollte Thomas’ Beispiel umsichtig studieren.
Ohnehin: Die Frage, wo Verfassungsrichterinnen ideologisch stehen und was das bedeutet, gewinnt an Relevanz, je stärker die Gerichte selbst zum Schauplatz polarisierter politischer Konflikte werden – ein Prozess, der auch in Deutschland längst begonnen hat. Die verpatzte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf an das Bundesverfassungsgericht hat offengelegt, wie sehr die öffentliche Wahrnehmung der Richterwahl von Zuschreibungen, Haltungen und Identitätslogiken geprägt ist. Der Blick in die USA gleicht hier dem auf einen Schattenriss unserer eigenen Zukunft, der uns undeutlich, aber unübersehbar warnt.