Heft 851, April 2020

»Das habe ich erst einmal in den deep freezer getan«

Nachlassfragen bei Max Frisch von Thomas Strässle

Nachlassfragen bei Max Frisch

Max Frisch besaß ein ausgeprägtes Nachlassbewusstsein. Natürlich kann es ein wenig befremdlich wirken, wenn jemand schon zu Lebzeiten ganz gezielt das eigene literarische Nachleben zu regeln versucht, doch in seinem Fall war es begründet: Max Frisch wusste genau, dass sein Nachlass nicht bloß aus Vorstufen seiner veröffentlichten Werke oder aus verstreuten Notizen oder aus sachlichen Briefwechseln mit bedeutenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte bestand – das alles auch –, sondern dass darin zwei der legendenumwobensten Textkonvolute der neueren deutschsprachigen Literatur schlummerten: das Berliner Journal aus den siebziger Jahren in der Tradition seiner berühmten Tagebücher und der Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann, die offene Wunde der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, bis heute. Max Frisch selbst hat die Legende um diese beiden Konvolute kräftig befördert, indem er zum Beispiel in Interviews darauf anspielte und verklärende Hinweise gab. Aber er hat auch dafür gesorgt, dass die heißen Eisen in professionelle Hände gelangen, wenn er eines Tages nicht mehr am Leben sein würde.

Lange bevor Friedrich Dürrenmatt 1988 bei einem Mittagessen mit Bundesrat Flavio Cotti der Schweizerischen Eidgenossenschaft seinen Nachlass unter der Bedingung vermachte, dass ein nationales Literaturarchiv gegründet werde – das 1991, unmittelbar nach Dürrenmatts Tod, auch die Tore öffnete –, hatte Frisch schon 1979 die Max Frisch-Stiftung ins Leben gerufen. Sie hatte unter anderem den Zweck, ein Archiv zu schaffen, »das sich in der Schweiz befinden soll, als Arbeitsstätte für die Forschung«. 1980 wurde das Max Frisch-Archiv an der ETH Zürich eingerichtet, wo es bis heute ist.

Mit der Gründung einer Stiftung und eines Archivs war indes nicht nur der Auftrag verbunden, die materiellen Teile des Nachlasses, der zunächst ein Vorlass war, zu sichern und zu sichten. Es war auch ein strategischer Auftrag damit verbunden, namentlich »die Förderung der Verbreitung des Werkes des Stifters« (drei Genitive hintereinander) und »die Verwaltung des literarischen Nachlasses mit allen Rechten und Pflichten, die sich aus der Verbreitung und Verwertung des literarischen Nachlasses ergeben«.1

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