Heft 862, März 2021

Der großartige filmische Erzähler Karl Fruchtmann

Eine Wiederentdeckung von Karl Prümm

Eine Wiederentdeckung

Am 28. Januar 1969 erregte ein kurzer Film von knapp über 60 Minuten im Abendprogramm der ARD großes Aufsehen. Kaddisch nach einem Lebenden, produziert von Radio Bremen, war in vielfacher Hinsicht außergewöhnlich. Zwar hatte es schon vorher eine ganze Reihe von Dokumentationen und Fernsehspielen über die nationalsozialistischen Konzentrationslager gegeben. Aber keine andere Sendung hatte sich so genau den jüdischen Opfern zugewandt, den Prozess der Erinnerung selbst zum Thema gemacht und als Ort des Geschehens das Israel der Gegenwart gewählt.

Viele Zuschauer sahen in all dem eine unerträgliche Provokation. Schon während der Ausstrahlung gingen zahlreiche Schmähanrufe bei der Redaktion ein. Eine Flut von ablehnender Zuschauerpost folgte, vergleichbar den Hassmails unserer Tage. Man verbat sich solche »jüdischen Sendungen«. Stattdessen sollte das Fernsehen doch die »Leiden und Misshandlungen der vertriebenen Deutschen« zeigen. Es gab aber auch andere Briefe. Der Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre zeigte sich tief beeindruckt: »Dieser Film war so gut, so exakt, so furchtbar, sowohl der inneren wie der äußeren Wahrheit entsprechend.«

Eine durch den NS-Terror zerstörte Jugend

Kaddisch nach einem Lebenden war ohne Frage ein Fernsehereignis und wurde in zahlreichen Ländern gezeigt. Heute ist der Film unbegreiflicherweise vollkommen vergessen – ebenso wie sein Autor und Regisseur Karl Fruchtmann. 2019 ist ein erstes Buch über ihn erschienen, dem die DVD des Films beiliegt.1 In jeder Einstellung dieses Films, in jedem Wort ist zu spüren, dass hier eigene Erfahrungen verarbeitet werden.

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