Heft 912, Mai 2025

Der westdeutsche Traum des populären Films

Begegnungen mit Götz George von Dominik Graf

Götz George war von Anfang an ein Star. Ein Star, der keines der damals üblichen Pseudonyme benötigte, denn der Name war schon berühmt. Mit ihm zur Hoch-Zeit seines Ruhms, in den frühen 1980ern, gearbeitet zu haben, ist heute rückblickend ein Privileg. Erstens natürlich der Mann selbst. Zweitens die Diskussionen mit ihm, ihn live erlebt zu haben, die Arbeitsformen des letzten wirklich »Berühmten« in Westdeutschland, der eine Weile lang mit jedem Film mindestens eine Million Zuschauer und mehr ins Kino lockte. Drittens: Das öffentliche Interesse gesehen zu haben, das sich um ihn scharte, und den Einfluss, den der Erfolg auf ihn hatte – und andererseits auch nicht hatte. Wie fast irritiert er die Zuneigung der Fans oder Reporter manchmal zurückwies. Und viertens zu lernen, wann man mal die Klappe halten sollte.

Herbst 1984. Der junge Regisseur – der ich damals war – benötigt einen messbaren Erfolg, damit er noch mehr Filme machen darf als nur den einen plus zwei halbe, die er bis dahin gedreht hat. Und er braucht Erfolg auch für sein Selbstgefühl, denn diese ersten Filme an der Akademie in München und danach ein ziemlich ambitionierter Spielfilm waren regelrechte Flops. Am populären Genre Schimanski reizen ihn – neben der Bewährungschance – auch die enormen Zuschauerzahlen im Fernsehen. Und noch etwas lockt: eine Art Befreiungs-Hoffnung, Befreiung von der Bürde der Filmkunst, an der er sich nun eine Weile redlich versucht hat und von ihr – der Filmkunst – mitsamt seinen Ideen bislang rundheraus verschmäht worden war.

Er denkt vielleicht auch an den totalen Verriss jener Theateraufführung, den der (erheblich ältere, einst berühmte) Schauspieler Klaus Kinski in Andrzej Żuławskis grandiosem Film Nachtblende (1975) am Premierenabend im Lokal mit cholerischem Elan selbst laut vorliest. Der Artikel schließt mit einer Aufforderung des Kritikers an den Regisseur: »Lassen Sie dieses Metier, das Sie zu lieben scheinen, das aber Sie nicht liebt.« Wie viele Regisseure hatten, haben dieses Gefühl tief in sich selbst, dass sie nicht genügen, dass sie längst »gewogen – und für zu leicht befunden« wurden, und sie wollen es doch nicht vor sich deutlich aussprechen? Und erst wie viele Schauspieler und Schauspielerinnen?

Was bei Erfolgsfilmen an Spannung, Action und Emotion verlangt wird, ist ja weniger die Filmkunst als vielmehr das glasklare Handwerk des Inszenierens; etwas »Reelles« sozusagen, das bereits am Drehort sichtbar klappt oder ebenso sichtbar genau nicht. Es geht um das Timing der Szene, das Tempo, die Temperamentsfarben der Schauspieler, die möglichst richtig gewählten Kamerapositionen. Dieses Einmaleins des Inszenierens will der junge Regisseur nun beim Tatort lernen und ist sogar schon mittendrin, die ersten errungenen Erkenntnisse anzuwenden. Nun begegnet er zum ersten Mal einem richtigen Star, Sohn eines anderen riesigen deutschen Theater- und Filmhelden der schattigeren Vergangenheit, Heinrich George. Götz ist vom Typus »Naturbursche« in seinen frühen Jahren inzwischen zum – schöne deutsche Bezeichnung – »Charakterschauspieler« und gleichzeitig zum Action-Star der Achtziger gewachsen. Beide, der junge Regisseur und der Star, haben jeweils einen in ihrer Kindheit verstorbenen Übervater. Der Star hat mit dem Vater des Regisseurs in den Sechzigern sogar mal gemeinsam gespielt. George gibt sich inmitten seines Ruhms pragmatisch bis in die Haarwurzeln. Bei der ersten abtastenden Begegnung in München kommt er zügig auf den Regisseur zu, der ihm vom Produzenten und Schimanski-Erfinder Bernd Schwamm vorgestellt wird. Es gibt eine nette Begrüßung, dann sagt George zum Drehbuch: »Da müssen wir überlegen, das geht ja eigentlich gar nicht so, wie das da steht, da müssen wir überlegen, wie wir das machen wollen.« Ungefähr. Er hat Recht, es ist ein labyrinthischer Fall, der erzählt wird, ein sehr kompliziertes Skript, das vor allem auch der junge Regisseur selbst zu verantworten hat. Später merkt er, dass George das gar nicht so negativ gemeint hat, sondern dass er stets durch die Infragestellung der Vorgaben und durch Diskussionen mit der Regie zu seinem eigenen Ton in den Rollen und in den einzelnen Szenen finden will. Das »wir« ist bei ihm ernst gemeint: George ist der Ansicht, dass man Filme gemeinsam macht. Aber er will seine Figur, diesen einmaligen Diamanten Horst Schimanski, beschützen, nicht ausbeuten lassen, die Qualität oben halten, frühe Verschleißerscheinungen verhindern.

Eine kurze Einordnung: Götz Georges Weg zu Schimanski – seinem endgültigen Durchbruch – ist eine längere Geschichte. Er kam Anfang der 1980er »zurück«, von weit her. Nach Karl-May-Filmen wie Der Schatz im Silbersee (1962) hatte er in den 1970er Jahren in Deutschland überwiegend unterschätzte Auftritte in Serienfolgen (Toll: Der Kommissar – Tod einer Zeugin von Zbyněk Brynych, 1970). Und spielte eine viel beachtete Rolle als KZ-Kommandant Rudolf Höß in Theodor Kotullas Aus einem deutschen Leben (1977). Der Autorenfilm hatte ihn durchgängig vernachlässigt. Eine geplante Arbeit mit Fassbinder zerschlug sich. In Cinecittà, wo die meisten seiner westdeutschen Generationsgenossen Asyl fanden, drehte er nur einen Western. Aber er war jetzt mit der Figur Schimanski phänomenal zurückgekehrt – genau zum richtigen Zeitpunkt, gute vierzig Jahre alt, aber körperlich wie ein junger, kraftstrotzender Mann – und siegte auf ganzer Linie. Denn die ihn jetzt liebten, hatten ihn als Kinder schon reiten und gewinnen sehen. In West und in Ost. In der Figur Schimanski und den dazugehörigen Filmen stellte er einen populären, modernen Realismus auf die Beine, bei dem alle im Moment der TV-Premiere der allerersten Folge Duisburg-Ruhrort (von Hajo Gies, 1981) schon spürten, wie sehr das zuvor vermisst wurde. Es ist die Definition einer anderen Generation, und es ist das Ende des unmittelbaren Nachkriegsfernsehens. Endlich konnte man gemeinsam fröhlich »Scheiße« zu dieser verfaulenden korrupten West-Republik sagen, und über die Abgründe der großindustriellen Verbrechen rheinauf- und rheinabwärts konnte man mit einem TV-Bullen beim Bier »Oh, Mann!« seufzen. Es hatte Vorgänger dieses neuen »Helden« gegeben. Vorboten: Jemand wie Marquard Bohm (Rote Sonne, 1970) hatte auch so eine Art von sympathischem Gesamtverdruss auf lakonische Weise auszudrücken vermocht, aber er hatte es schwer gehabt. Und Marius Müller-Westernhagen natürlich, der mit der extrem erfolgreichen Verlierer-Figur Theo (1980) den Weg bereitet hatte für den Typus Ruhrpott-Mann an sich im deutschen Kino. Und zwar ist das ja die Art Mann, die immer das Herz am rechten Fleck hat, ob uns das nun passt oder nicht. Götz George schließt daran an, so als sei er mindestens zehn Jahre jünger, als er ist. Den Macho-Ruf jedoch, den man der Schimanski-Figur nachsagte, kann man im Nachhinein getrost etwas vernachlässigen, denn George war weder in den Filmen noch im Leben primär ein Frauenheld. Er war vor allem ein Malocher am Set.

Die Dreharbeiten: Vor einer Neubauwohnung in Duisburg versammeln sich Fans, die in wechselnden Schichten von der Arbeit kommen, und rufen in regelmäßigen Abständen bis zur Ermüdung seinen Namen: »Schimmi!« Gegen Abend werden es dann immer mehr, es werden sehr, sehr viele. Und als George für einen Moment einmal dem Fenster nahekommt, hört man durch die schalldämmenden Doppelgläser ein fernes Rauschen: Seine Silhouette im obersten Stockwerk ist erkannt worden. Jubel und Begeisterung. Jeder Drehtag in der Stadt gleicht einem Popkonzert. Wenn die Menge gebeten wird, für die Konzentration bei einer Szene etwas ruhiger zu sein – manchmal durch George selbst, der dafür Autogramme hinterher verspricht –, dann wird es mucksmäuschenstill. So still, dass man es hört, als Götz im Spiel beim Überqueren einer Straße eine Kleingeldmünze aus der Tasche fällt. Duisburg steht still, wenn er auftritt. Hinterher hebt ein eifriger kleiner Junge die Münze auf …

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