Die Aisthesis der Luft
Klima als Medium verstehen von Eva HornAn einem kühlen, strahlenden Tag im März 2017 besuchte ich das MoMa PS1, einen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst am Rand von Queens, New York. Der Frühling hatte noch nicht angefangen, die Bäume waren kahl, aber der Himmel war, wie so oft in New York, knallblau, eisig und wolkenlos. Untergebracht im roten Ziegelbau einer früheren Primarschule, ist das PS1 heute ein teuer renovierter Altbau, die düstere Schulatmosphäre ist in Hipness verwandelt. In den ehemaligen Klassenzimmern sind nun Kunstwerke untergebracht. Gedankenverloren öffne ich eine der altmodischen Türen im obersten Stock und trete in einen kleinen, überraschend kalten und sehr hellen Raum. Offenbar ist hier die Heizung ausgefallen. Der Raum ist leer, aber an den vier Wänden sind Bänke installiert. Dann sehe ich es: Das Werk hängt an der Decke. Eine leuchtende Deckeninstallation, die scharfes, klares Tageslicht verbreitet. Die frische Kühle des Raums und das leuchtende Deckenbild sind angenehm ruhig. Ich setze mich und ruhe mich aus, starre auf die Bänke mir gegenüber, und warte darauf, dass mir zu kalt wird. Plötzlich bewegt sich etwas in der Installation an der Decke. Ein Vogel fliegt durch das Bild. Jetzt kapiere ich es: Ich sehe direkt in den Himmel.
Alles ändert sich: Der Raum ist nicht ungeheizt, sondern gar kein Raum. Ich bin nicht mehr im Gebäude, sondern unter freiem Himmel. Das Licht ist nicht Teil einer raffinierten Installation, sondern der harte Sonnenschein des New Yorker Vorfrühlings. Ich sehe Vögel und Flugzeuge, keinen Dunst, keine Wolke. Ich spüre, was ich sonst nie spüre: die Luft selbst. Ich sehe das klare Blau der Atmosphäre, bemerke die jahreszeitliche Kälte und beginne zu frieren. Die Luft riecht. Es ist Stadtluft, ein leichter Meeresdunst, etwas Benzin, zarte Noten von Frittierfett, verbranntem Plastik und Asphalt. Ich höre das Rauschen des Stadtlärms, den Verkehr, Stimmen, irgendwo tönt Rap. Nach einiger Zeit kommen andere Leute dazu. Erst starren sie mich verwundert an, dann dämmert es auch ihnen. Wir sitzen uns gegenüber, schauen uns an und lachen. Manche machen Selfies. Man kommt schnell ins Gespräch hier. Eine Gemeinschaft entsteht, die eine Atmosphäre miteinander teilt: das Kalte, Klare der Witterung, den Witz des Überraschungseffekts, das Heitere der Versenkung in einen Gegenstand, den wir betrachten, als wäre es das erste Mal. Eine Gemeinschaft der Staunenden und Luftguckerinnen.
James Turrells Installation Meeting (1986) ist eine der ersten in seiner Serie Skyspaces: Räume mit einer Öffnung zum Himmel, die das Licht, die Luft, das Wetter als Kunst sicht- und spürbar machen. Turrells Trick ist so einfach wie genial: ein Raum, der den Himmel einrahmt wie ein Kunstwerk. Einander gegenübersitzende Schauende, die auf das hingewiesen werden, was ihnen allen gemeinsam ist, der Himmel über ihren Köpfen, die Luft, in der sie leben. Wer trifft hier wen in dieser Versammlung? Treffen Menschen auf andere Menschen, um gemeinsam wahrzunehmen, was der stumme Hintergrund ihrer Existenz ist: die Atmosphäre der Erde? Oder ist es eine Begegnung von Mensch und Luft, eines Lebewesens mit dem Medium des Lebens? Was genau zeigt das Werk eigentlich? Luft? Klima? Den Himmel? Die Atmosphäre oder eine Atmosphäre? Wetter? Es zeigt vor allem, dass wir diese Begriffe, die doch so Unterschiedliches zu bezeichnen scheinen, in der Sache und in unserer Wahrnehmung kaum voneinander trennen können.
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