Heft 846, November 2019

Die langweilige Seite des Mondes

von Julian Schellong

Nach 18 Tagen im Weltraum, davon zwei Stunden auf dem Mond, setzten am 24. Juli 1969 Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins in der Raumkapsel »Columbia« kopfüber und mit 35 Stundenkilometern etwas unsanft im Pazifik auf. Buzz Aldrin präsentierte auf Twitter schon mehrfach ein ungewöhnliches Andenken an seinen Trip: seine Reisekostenabrechnung. Lakonisch machte Aldrin darin 33,10 US-Dollar für die Reise via »Houston, Cape Kennedy, Moon, Pacific Ocean and return to Houston« geltend.1 Für die Astronauten als Angestellte der National Aeronautics and Space Administration war die Mondlandung eine Dienstreise, und Aldrin war die ersten 13 der circa 1,5 Millionen Kilometer mit seinem Privatwagen gefahren. Das Dokument enthüllt die Bürokratie als die Rückseite der Raumfahrt. Das Formular war Aldrin wichtig genug, dass er es noch während der dreiwöchigen Quarantäne ausfüllte, in die die Mondbesucher der Apollo-Missionen zwecks Schutzes vor Kontamination gesteckt wurden.

Um einen Menschen auf den Mond zu bringen, braucht es eben nicht nur die 3,3 Millionen Liter Treibstoff einer Saturn-V-Rakete, sondern vor allem gute Planung und Administration. Welche andere Erfindung der Moderne könnte ein Projekt wie die Mondlandung bewerkstelligen, wenn nicht die staatliche, bürokratische Verwaltung? Die Mondlandung war nicht die Leistung von tollkühnen Abenteurern wie den ersten Ballon- oder Flugzeugpiloten, sondern von coolen Technokraten. Der »giant leap for mankind« ist, wie die dienstliche Autofahrt im privaten PKW, ein Verwaltungsakt, trocken wie Mondstaub.

Die NASA löste Unsicherheiten und Gefahren nicht mit Intuition und Adrenalin, sondern mit formaler Organisation. Mitte der 1960er Jahre, während die NASA erste bemannte Testflüge in der Erdumlaufbahn durchführte, beschrieb der Lüneburger Regierungsbeamte Niklas Luhmann eine formale Organisation als die Festlegung und Kontrolle von Erwartungen. Eine Organisation läuft dann besonders gut, wenn jeder weiß, was er zu tun hat, und sich auf die Arbeit der anderen verlassen kann.

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