Die talentierte Ms. Calloway
von Sarah BrouilletteDer bisherige Werdegang von Caroline Calloway ist symptomatisch für diverse Trends im Verlagswesen. Mithilfe ihrer Eltern finanzierte sie die Entwicklung ihrer schriftstellerischen Fähigkeiten durch ein Studium an der New York University und dann der Kunstgeschichte in Cambridge. Ihre Online-Präsenz begann sie auszubauen, indem sie sich einen Grundstock von Instagram-Followern kaufte. Auf dieser Grundlage erarbeitete sie sich ein großes Publikum (derzeit etwa 684 000 Follower) und nutzte die Plattform als Ventil für eine beträchtliche Menge an Texten in Form von relativ langen, witzigen, diskursiven Bildunterschriften. Mit ihren Followern im Rücken schaffte sie es, einen Agenten und einen Buchvertrag bei Flatiron Books zu ergattern, und bekam für ihre Memoiren angeblich einen Vorschuss von 375 000 Dollar. Das Manuskript hat sie nie abgegeben, jetzt veröffentlicht sie das Buch im Selbstverlag unter dem Titel Scammer; das Erscheinungsdatum wird immer wieder nach hinten verschoben. Zusätzlich zu Instagram ist sie auf Twitter und Patreon aktiv, wo sie ihren »engsten Freunden« für 100 Dollar im Monat eine private Unterhaltung anbietet; und noch vor kurzem produzierte sie außerdem Erotik mit Literaturbezug für ihre Abonnenten auf OnlyFans, einer Plattform, die sich als Seite für Erwachsenenunterhaltung versteht. Ihre Inhalte verkaufte sie dort als »Softcore-Cosplay über Hardcore-Heldinnen aus der Literatur« und fügte hinzu: »Du bist krass kultiviert, wenn du mich abonnierst.« Man könnte das, wie Jessica Pressman in ihrem Ende 2020 erschienenen Buch Bookishness. Loving Books in a Digital Age, eine »Ästhetik der zur Schau gestellten Belesenheit« nennen.
Während ihrer Creative-Writing-Ausbildung bei David Lipsky an der NYU lernte sie Natalie Beach kennen, ebenfalls eine talentierte junge Schriftstellerin. Beach zeichnete die schwierige Freundschaft der beiden 2019 in einem in The Cut veröffentlichten Bericht nach, der deutlich macht, wie leicht sie sich von Calloway ausnutzen ließ. Als Calloway gerade auf Instagram durchstartete, reisten die Freundinnen zusammen nach Sizilien, wo sie glamouröse Reisefotos machten – auf denen meist Calloway zu sehen war –, sich dann zusammen an die Bildunterschriften setzten und die Gesamterzählung für den Account entwarfen, dem Calloway den Namen #Adventuregrams gab. Beach schreibt, sie habe die Vorstellung genossen, Teil der Entstehung eines wichtigen kulturellen Artefakts zu sein und sich der Schönheit und Größe nahe zu fühlen, von der sie alleine nicht einmal zu träumen wagte. Über diese ersten Instagram-Posts sagt sie: »Ich begann zu glauben, dass das, was wir machten, für meine Karriere (zum ersten Mal wurde ich fürs Schreiben bezahlt) und für unsere weltweite Leserschaft von großer Bedeutung war. Das war ja 2013, damals erschien das Internet wie die Zukunft des Schreibens, zumindest für uns Mädchen.« Sie fährt fort: »Ich glaubte, dass Caroline und ich die Form des Nichtfiktionalen sprengten. Instagram ist ein Memoir in Echtzeit. Die Posts sind ein Memoir ohne den Akt des Erinnerns. Instagram hebt die Distanz zwischen Autorin, Leser und Kritikerin auf, und gerade deshalb handelt es sich um wahres feministisches Erzählen, erklärte ich Caroline und versuchte sie davon zu überzeugen, dass es der Gipfel der Radikalität war, wenn ein weißes Mädchen lernte, an sich selbst zu glauben (was mir durchaus gelegen kam, da ich selbst ja auch ein weißes Mädchen war, das lernte, an sich selbst zu glauben).«
Als ihre Zeit in Europa zu Ende war, nutzte Beach diese Erfahrung für ihre Arbeitssuche: »Ich setzte #Adventuregrams ganz oben auf meinen Lebenslauf und beschrieb mich als Redakteurin oder, wenn die Ausschreibung es verlangte, als persönliche Assistentin von Ms. Calloway.« In der Zwischenzeit schrieb sich Calloway in Cambridge ein und zog nach England, wo sie ihre Fan-Gemeinde weiter vergrößerte und sich nun als die schöne junge Amerikanerin im Ausland profilierte. Ihre Freundschaft bekam Risse, als Calloway versuchte, Beach für die Airbnb-Verwaltung ihrer Wohnung ein wenig über den Tisch zu ziehen. Als sie nichts Besseres fand, willigte Beach jedoch ein, wieder mit Calloway zusammenzuarbeiten, dieses Mal als Lektorin für deren Buchmanuskript, wobei sie 35 Prozent des Gewinns erwartete. Ihre Rolle war letztlich eher die einer Ghostwriterin. »Die Caroline-Figur, die wir gemeinsam entworfen hatten, hätte in jedem Jugendbuch eine fantastische Protagonistin abgegeben«, schreibt Beach. »Sie war voller Liebe, und sie bekam Liebe, sie sah auch, wenn sie heulte, gut aus und stapfte in ihren ›Ich-verdiene-es-hier-zu-sein-Stiefeln‹ durch ein idealisiertes New York.« Als Calloways Agent den Entwurf für das Memoir »über ein Leben, das nicht meines war, sondern aus Instagram-Titeln kompiliert«, lobte, war Beach, ob sie wollte oder nicht, ziemlich stolz.
Eine Zeitlang war »Caroline Calloway« also kein Alleingang, sondern eher eine Koproduktion, da Beach maßgeblich an Calloways Texten mitschrieb. Dass Calloway deren Arbeit nicht richtig würdigte, ist durchaus der Rede wert. Es gehört nämlich zum Handwerkszeug eines Social-Media-Influencers, den Beitrag anderer zu unterschlagen oder – und dann fungiert es als eine Art Statussymbol – subtil darauf hinzuweisen, dass man in der Lage ist, andere kostenlos für sich arbeiten zu lassen: Es soll mühelos aussehen, wie ein Ausdruck des eigenen Lebens, etwas, das man keineswegs macht, um sich sein Leben zu finanzieren oder als regelrechter Arbeitgeber aufzutreten, sondern das einfach von sich aus entsteht, weil man eben so ist, wie man ist. Calloways Arbeit kann man in dieser Hinsicht mit anderen Arten von kreativem Selbstunternehmertum vergleichen, die in literarischen Kreisen und in der Kreativindustrie zunehmend Verbreitung finden.
In der Person Calloways kommen in der Tat zwei wichtige Dinge zusammen: die Social-Media-Influencer-Ökonomie, in der es hauptsächlich um Selbstvermarktung geht, und eine in Veränderung begriffene Literaturbranche. Calloway erzählte Beach, dass sie sich »mit einer Reihe von Literaturprofis getroffen hatte, die ihr sagten, dass niemand die Memoiren einer jungen Frau kaufen würde, die nicht einen gewissen Bekanntheitsgrad oder eine Fan-Base vorweisen kann«. Wahrscheinlich hatte sie Recht: Es erhöht die Chancen, einen Buchvertrag zu bekommen, wenn man im Internet bereits berühmt ist. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Mainstream-Verlage lieber keine Risiken für Bücher eingehen, die sich nicht verkaufen lassen. Wenn sie schon Vorschüsse anbieten, um sich potentiell heiße Titel zu sichern, warum sollten sie dann nicht Bücher mit bereits eingebauter Leserschaft erwerben?
Schon lange vor Covid-19 war der Belletristikumsatz im US-Buchhandel rückläufig, große Ketten schließen ihre Filialen. Die Vorschüsse schrumpfen seit langem. Es ist schwieriger geworden, vom Schreiben zu leben. Marketingressourcen sind einer schwindenden Zahl von Stars vorbehalten. Schilderungen von vergangenen Zeiten des Verlagswesens klingen oft ein wenig wehmütig, doch es ist auch Wahres dran. Früher war es noch leichter möglich, dass ein Autor oder eine Autorin aufgrund dessen veröffentlicht wurde, was er oder sie geschrieben hatte – vielleicht entdeckte die Lektorin das Werk sogar in einem Papierstapel und erkannte ein rohes Talent, das sie durch ein gründliches Lektorat kultivierte und formte, gefolgt von einer Marketingkampagne, um die richtigen Leser anzusprechen.
Zweifellos kommt diese Art von Glücksspiel gelegentlich noch vor. Doch das Beste, was man mitbringen kann, wenn man bei einem Verlag auf der Matte steht, ist eine Armee aus bereits existierenden Social-Media-Followern oder noch besser eine regelrechte Fan-Gemeinde und eine virale Geschichte, die in das Manuskript eingearbeitet wird. Ein potentieller Verleger erwartet von Ihnen, dass Sie ein Buch produzieren, das mit Ihrer Marke übereinstimmt, und er geht davon aus, dass Sie Ihre bereits vorhandene Social-Media-Anhängerschaft mobilisieren, um die Verkaufszahlen des Buchs in die Höhe zu treiben. Taylor Swift hat es sehr gut auf den Punkt gebracht: Heutzutage bekommen Künstler Plattenverträge, weil sie Fans haben – und nicht umgekehrt.