Heft 861, Februar 2021

Entnazifizierungskitsch

Thomas Hettches »Roman der Augsburger Puppenkiste« von Katharina Teutsch

Thomas Hettches »Roman der Augsburger Puppenkiste«

Thomas Hettches neuer Roman galt vielen als Favorit beim Deutschen Buchpreis und war auch ohne den Sieg die Konsenslektüre des Herbsts 2020. Die zuständige Kritik war berührt und begeistert. Berührt, weil die Geschichte possierlich ist. Begeistert, weil Thomas Hettches Herzfaden die Geburt der Bundesrepublik aus der moralischen Ambivalenz ihrer Gründerfiguren heraus abgeleitet habe. Und zwar »virtuos«. So urteilt jedenfalls die überwältigende Mehrheit der etablierten Kritiker. Der Roman der Augsburger Puppenkiste, wie das Buch im Untertitel heißt, verkörpert damit wohl einen literaturkritischen Idealbefund: ein deutsch aufgeladenes Sujet, historisches Problembewusstsein und moralische Selbstanamnese. Doch kann es mit rechten Dingen zugehen, wenn ein deutsches Buch, das sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt, gleich so viele deutsche Kritiker auf einmal zufrieden macht?

Thomas Hettches Roman über ein pädagogisches Kulturexportwunder der Nachkriegszeit möchte eine Preziose sein. Das zeigt schon seine extravagante Optik. Denn es ist alternierend zweifarbig gedruckt. In Tomatenrot und in Königsblau, was als Reminiszenz an das berühmte Kinderbuch Die unendliche Geschichte zu dechiffrieren ist. Blau und rot schieden darin die Teile, die in der Menschenwelt spielen, von jenen, die in Phantásien angesiedelt waren. Die Augsburger Puppenkiste hatte Jim Knopf, Michael Endes Parabel auf die NS-Ideologie, in ihr Repertoire aufgenommen. Gleich nach dem Krieg.

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