Heft 868, September 2021

Erregungswellen: »Identitätspolitik« mit Lisa Eckhart und Hengameh Yaghoobifarah

von Antonia Baum

Es ist ja so, dass seit einiger Zeit im Grunde ununterbrochen darüber gestritten wird, wer im Denken totalitärer ist, wer falscher liegt, wer den Schuss weniger gehört hat: all jene, die unter den Schlagwörtern »jung«, »woke«, »Identitätspolitik«, »schreibt im Internet und ist kein alter weißer Mann« einsortiert und für verrückt erklärt werden, oder die Gegenseite, also die sogenannten alten, weißen Männer beziehungsweise deren aus den alten Zeitungshäusern heraus produzierten Meinungstexte, die sich besorgt mit dieser »Identitätspolitik« befassen. Debatten, die unter diesem Label laufen, scheinen weniger Vorgänge zum Inhalt zu haben als die Frage, wer was wie gesagt hat, und damit bewegen sie sich auf der Ebene der Zeichen, des Symbolischen, woraus wiederum regelmäßig der Vorwurf folgt, »Identitätspolitik« sei elitär, abgehoben etc.

Und weil all das – Diskussionen über Identitätspolitik, Diskussionen darüber, wie darüber diskutiert wird – permanent auf einem sehr hohen Geht’s-eigentlich-noch-Erregungslevel diskutiert wird, erinnern sich wahrscheinlich die allerwenigsten an den Sommer vor einem Jahr, als einmal zwei Personen zum Austragungsort der Schlacht um zentrale deutsche Heiligtümer wurden. Es ging um Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit, Antisemitismus, die Polizei, darum, wie richtiges Linkssein praktiziert werden sollte und schließlich um die Frage – die Gretchenfrage sozusagen, die gerade als Chiffre für all die genannten deutschen Fragen fungiert –, wie man es mit der sogenannten Identitätspolitik und der ihr regelmäßig zugeschriebenen cancel culture hält.

Diese Fragen wurden am Beispiel der Autor*in Hengameh Yaghoobifarah (30 Jahre alt) und der Kabarettistin und Autorin Lisa Eckhart (etwa 28 Jahre alt) in zeitlich recht geringem Abstand verhandelt (die Debatte um Yaghoobifarah begann im Juni, die um Eckhart hatte ihre Hochphase im August), und man könnte nach der Lektüre dieser Verhandlungstexte (beziehungsweise auf der Suche nach einer Twitter-Punchline) auch zu dem Ergebnis kommen, Deutschland sei nicht nur am Hindukusch verteidigt worden, sondern auch an Yaghoobifarah beziehungsweise Eckhart und ihren Körpern (dazu später).1

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