Interessante Menschen
Die Expo-Monologe von Pascal Richmann1.
Hier spricht Ralf W. Schmitz. Das W. ist wichtig, ich bin ja der Archäologe. Seit ich denken kann, wollt ich diesen Beruf ergreifen, etwas tun, wo ich auch meine Hände benutze. Wenn man so will, hat sich mein ganzes Leben in Steinbrüchen abgespielt. 1965 wollt ich nicht mal mit nach Amerika – ich wollt im Sandkasten hocken bleiben, bei meinen Asseln und Ameisen. Am Tag der Abreise hab ich mir dann einen Strohhalm in den Mund gesteckt und so lang im Sand gewühlt, bis ich ganz verschwunden war. Mutti wusste natürlich, wo sie mich finden würde. Und ich bin ihr auch dankbar, dass sie mich ausgebuddelt hat, sonst hätte ich die Expo verpasst, New York, das war ja etwas Besonderes, vor allem für einen Vierjährigen.
Mit dem It’s-a-Small-World-Ride bin ich fünf- oder sechsmal gefahren, und weil ich bei jeder Runde eine Dose Pepsi bekam, war ich total wacklig auf den Beinen, als wir weiter zu Sinclairs Dinoland sind. So wie der UNICEF-Pavillon von Pepsi gesponsert wurde, warb das Dinoland für den damals berühmten Tankstellenbesitzer. Um auszugleichen, dass er früher Mussolini unterstützt und amerikanische Politiker bestochen hatte, und auch weil die PR-Abteilung annahm, Erdöl wäre aus Dinosauriern entstanden, wählte sie einen friedlichen Dino als Logo.
Jahrzehnte später, ich lehrte schon an der Uni Bonn, hat mir eine Studentin erzählt, sie habe sich wegen der Disney-Serie Die Dinos eingeschrieben, wegen Earl, Fran und Robbie Sinclair. Wenn man so will, sind unsere Leben mit dem Namen eines ganz gemeinen Verbrechers verbunden.
Eine andere Leidenschaft, die ich von der Expo mitgebracht hab, sind Freizeitparks. Mutti hatte mich ’67 zur Eröffnung des Phantasialands mitgenommen, seitdem wollt ich jeden Tag in Brühl verbringen. Schon damals war das kein gewöhnlicher Märchenwald. Es gab dort ja auch die Wildwest-Eisenbahn und das Hawaii-Restaurant. Am besten aber gefiel mir, dass man das Phantasialand in eine stillgelegte Braunkohlegrube gebaut hatte. Und weil ich grad erst sechs geworden war, kam es mir vor, als hätte der Bergbau Hänsel und Gretel zu Tage gefördert, als lägen im Boden noch mehr von ihnen verborgen.
Kurz danach öffnete auch bei Bottrop ein Märchenwald, es sollte aber noch zehn Jahre dauern, bis aus den darunterliegenden Schächten nicht Karbon und Perm, sondern frühere Erdzeitalter aufstiegen: der Traumlandpark, Europas größtes Dinosaurier-Freilichtmuseum. Sechzehnjährig bin ich da jedes zweite Wochenende hin, die anderen hab ich im Phantasialand verbracht, in der Westernstadt Silver City, wo mir im Saloon kleine Bitburger serviert wurden.
Nach Bottrop brauchte ich einen halben Tag mit dem Mofa. Das war ein zeitfressendes Hobby, vor allem weil ich anfing, mir Saurierparks im Ausland anzugucken. Teilweise fehlte ich wochenlang in der Schule. Mutti schrieb mir dann jedes Mal eine Entschuldigung. Ralf hat Halsweh. Ralf hat Röteln. Ralf hat ein Loch im Kopf, hat Lepra, hat Krebs. So ging das, bis ich endlich nach London gefahren bin, zu den ältesten Dinosaurier-Attrappen der Welt, aufgestellt im Jahr 1854 vor dem Crystal Palace. Als ich vor den beiden Iguanodons geparkt hab, hab ich mich ganz schön erschrocken! Die sahen nicht aus, wie ich gedacht hatte, dass sie aussehen würden. Die sahen aus, wie sie hießen, wie zwei große, grüne Leguane.
Da, in diesem Moment, verstand ich etwas, das mich seit Jahren beschäftigte. Auf der Expo, im General-Motors-Pavillon, hatten wir vor einem Mondmodell gestanden, wo die Berge furchtbar spitz dargestellt waren, wie Blitzableiter oder Zäune aus Gusseisen. Und dann, doppelt so alt, das geht ja noch schnell, wenn man jung ist, mit Mutti vorm Fernseher, musste ich feststellen, dass das nicht stimmte. Dass die Gipfel in Wahrheit ganz rund sind und drei Milliarden Jahre über sie hinweggefegt.
Ich find, es fühlt sich schön an, wenn ein Irrglaube aus der Welt verschwindet. Deshalb hab ich mich für Paläontologie eingeschrieben, in Köln, obwohl ich die Stadt nicht mochte. Deshalb hab ich mich auf den Neandertaler spezialisiert. Von meinen Kommilitonen wurde der ja oft als dumm dargestellt.
Vor allem der Dom hat mich fertiggemacht. Dass er überhaupt noch zu Ende gebaut wurde, ist komplett Preußens Schuld. Dieser eine Wilhelm wollte das unbedingt, verbot aber gleichzeitig, dafür Trachyt von seinem geliebten Drachenfels abzutragen. Egal, Preußens Dom hatte sowieso nichts mehr mit der Bauruine zu tun. Neogotik heißt ja, dass etwas nur von außen alt aussieht, im Innern aber von Stahl gestützt wird. Wenn man so will, hat es den Dom nie gegeben. Gäbe es ihn, wäre der Drachenfels zu seinen Türmen geworden und kein Ort, wo Deutsche sich und Siegfried erfanden.
Nicht, dass man mich falsch versteht. Ich hab nichts gegen Nachbauten oder die Nachbauten der Nachbauten, im Gegenteil. Big Ben in Mekka, Big Ben in Dubai, ich find ja gut, dass die Araber den gut finden. Doch was es nie gegeben hat, kann nicht nachgebaut werden.
Man kann die Wirklichkeit ablehnen, aber abstreiten, dass sie wirklich ist, kann man nicht. Wer das versucht, hängt als nächstes einen Zettel auf, im Museum, und auf dem Zettel steht: Kopie des Schatz des Priamos. Man behauptet, Kopien wären nicht echt, so wie man sagt, das Phantasialand sei Phantasie! Und man verschweigt ein paar Sachen. Etwa, dass Schliemann ihn über die osmanische Grenze geschmuggelt und dem Louvre zum Kauf angeboten hat. Und irgendwann, da ist man schon ganz geisteskrank vom Lügen und vom Auslassen, baut man sich das Stadtschloss wieder auf. Und weil man mit und in dieser Kopie lebt, müssen alle Sachen, die man darin hortet, Originale sein.
Dass ein Archäologe alles für wirklich hält. Dass er Knochen zwar ausgräbt, aber niemals im Neandertal ausstellt, weil eine Kopie der Schädelkalotte genügt, das hab ich in Silver City verstanden, zwischen den Felsen aus Pappmaché. Dort hab ich mir vorgenommen, das fehlende Jochbein zu suchen. Und als es dann brannte, 2001, das Gebirgsmassiv mit den beiden Bob-Bahnen, da wurden wir schon seit einem Jahr angesehen, vom Neandertaler, mein Kollege Jürgen und ich.
2.
Mein Name ist Michail Lomonossow. Ich kam 1711 zur Welt. Nah der Hafenstadt Archangelsk, in Lomonossowo, einem Dorf, das nach mir benannt wurde. Auch Dinge, die es damals gar nicht gab oder die existierten, aber zuerst entdeckt werden mussten, tragen meinen Namen. Eine Brücke. Ein Schiff. Ein Gebirge unter Wasser und eines an Land. Eine Vulkangruppe, irgendwo zwischen Hokkaidō und Kamtschatka. Ein Atlantikstrom. Ein Asteroid. Zwei Krater: einer auf dem Mond und einer weiter hinten, auf dem Mars. Außerdem die Universität von Moskau, deren Gründer ich bin.
Ihren Neubau hab ich nie gemocht. Wenn es nach mir ginge, sähe die ganze Welt aus wie der Mittlere Westen. Schön flach und breit sollte man bauen. Der Mensch findet in der Horizontalen statt. Sein Blick geht geradeaus, ein Fuß vor dem andern. Und was macht die Uni? Dieser Zyklop, der seine sechs Schwestern überragt, von denen er die älteste ist? Der droht ja andauernd mit Gulag oder Verbannung. Und vor ihm: eine mir nachmodellierte Statue. So sehe ich in Wahrheit gar nicht aus! Nur mein Lächeln, das ist schon auch in echt so.
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