Ist Dauerreflexion kommunizierbar?
Das Habeck-Paradox von Julian Müller, Astrid Séville»Dies ist ein persönliches Buch über ein politisches Problem«, lautet der erste Satz des jüngsten Buchs von Robert Habeck. Wie kein deutscher Politiker vor ihm stellt Habeck das persönliche Ringen um die richtige Position und den richtigen Tonfall offen aus und wird damit zu einer emblematischen Figur des politischen Zeitgeists. Wer verfolgt, wie er sich in seinen Büchern präsentiert und wie er auf den unterschiedlichen Bühnen der Öffentlichkeit agiert, erfährt viel über die Herausforderungen politischer Kommunikation angesichts digitaler Debattenräume, in denen sich die Chancen zur Mitwirkung an der politischen Auseinandersetzung vergrößert haben und in denen die ehedem starre Rollenverteilung von Sendern und Empfängern fluide geworden ist.
Durch die Ausbreitung sozialer Medien ist eine Form kommunikativer Verflüssigung in Gang gesetzt worden, wie sie sich bis vor kurzem keine Kommunikationstheorie hätte vorstellen können – nicht in Toronto, nicht in Oerlinghausen und nicht in Starnberg. Optimistisch betrachtet haben soziale Medien mit den Partizipationsversprechen liberaler Demokratien ernstgemacht, nur eben abseits der literarischen Salons, der Seminarräume und der Parlamente.
Da sie ohne die klassischen Gatekeeper der vordigitalen Medienwelt auskommen, erhalten politische Akteure mehr, schnellere, bisweilen brutalere Rückmeldungen und geraten daher auch vermehrt unter Rechtfertigungsdruck. Dass dieses Mehr an Kommunikation mitunter ein falsches Signal tatsächlicher politischer Teilhabe aussendet und es im Falle entsprechend enttäuschter Erwartungen Kanäle und Foren gibt, der eigenen Unzufriedenheit Gehör zu verschaffen, ist eine Dynamik, mit der Politikerinnen und Politiker derzeit über Parteigrenzen hinweg zu kämpfen haben. Politische Ansprache ist eben nicht gleichbedeutend mit politischer Fürsprache. Und doch gibt es auch kein ernsthaft wünschenswertes Zurück hinter das Ideal einer Diskursivierung des Politischen.
Den Vorwurf des Autoritären und Technokratischen, eines sich der Kritik verschließenden Dezisionismus will sich heute fast niemand mehr gefallen lassen, und obwohl Politik nach wie vor auch hinter verschlossenen Türen gemacht wird, ist nur wenig so schwer vermittelbar wie ein Festhalten am Arkanen. Politiker sollen und wollen »im Gespräch bleiben«, Bürger »mitnehmen«, »abholen«, »Sorgen verstehen« und ihre Politik »besser erklären«. Wer nicht nur das Ideal der Diskursivität hochhalten, sondern auch die politischen Kontrahenten ernstnehmen will, kommt nicht umhin, stets die Perspektivität der eigenen Position mitzubedenken und andere Perspektiven einzubeziehen.
Damit stellt sich allerdings unweigerlich die Frage, wie der Schritt zur eigenen Position gelingen kann, die dann als eine entschiedene und politisch richtige vertreten wird. Wann und wie kommt es zur Unterbrechung von Dauerreflexion und Dauerkommunikation, was ja doch die Bedingung sein müsste, um zum Kampf für die eigenen Überzeugungen und Entscheidungen übergehen zu können?