Können Konservative verzichten?
von Thomas BiebricherAlles fing damit an, dass Robert Habeck, damals noch als nachdenklicher Politikerklärer und -macher gelobt, darüber sinnierte, dass man angesichts der Energiekrise doch vielleicht etwas kürzer duschen könnte. Da platzte Markus Söder der Kragen: Im Gespräch mit dem Spiegel befand der bayerische Ministerpräsident: »Die Wahrheit liegt nicht in der Dusche« und gab zu Protokoll, dass ihm die ewigen Verzichtsappelle der Grünen zusehends auf die Nerven gingen. Das war Mitte 2022, und seitdem hat sich zwar vieles dramatisch verändert, Habecks Beliebtheitswerte etwa, aber manches auch überhaupt nicht, wie etwa die Stoßrichtung der Kritik an einer vermeintlichen grünen Verbotspolitik und eben jenen Verzichtsappellen: Nicht nur auf Fleisch und den regelmäßigen Kurztrip nach Mallorca sollten die Menschen nun verzichten, wenn es nach den Grünen gehe, sondern sogar auf diskriminierende Sprache. So empört man sich regelmäßig rechts der Mitte von Kubicki über Dobrindt und Merz bis hin zur Rechtsaußenfraktion um Weidel und Chrupalla. Und handelt es sich hier nicht tatsächlich um das Bedrohungsszenario einer neuen Kultur der (erzwungenen) Askese, ins Werk gesetzt von alarmistischen Weltverbesserern und unterstützt von akademischen Zuarbeitern, die dem Ganzen auch noch die normative Legitimation verschaffen? Man denke etwa an Philipp Lepenies’ ebenfalls 2022 erschienenes Buch Verbot und Verzicht, in dem behauptet wird, es könne gute Gründe für beides geben.
Nun haftet Verzichtsforderungen in der Tat oft etwas Problematisches an. Zunächst einmal ist die Frage des Verzichts eine ganz profane Distributionsfrage, bei der es um die Verteilung von Lasten und Zumutungen geht, darum, wer, warum, in welchem Maß auf was verzichten soll beziehungsweise muss. Abgesehen von dieser ökonomisch-materiellen Dimension gibt es auch noch die kulturelle. Hier kann der Verzicht schnell zum Distinktionsmerkmal von Lebensführungseliten werden, deren Selbstbeschränkung moralische Überlegenheit signalisieren soll und im Umkehrschluss dazu führt, dass sich diejenigen am unteren Ende der Einkommensskala nicht nur im Zeichen der allseits beschworenen Eigenverantwortung ihr eigenes relatives Scheitern im Kampf um geldwerten Erfolg zurechnen müssen. Diejenigen, die sich teure Lebensmittel und ethischen Konsum schlicht nicht leisten können, sehen sich auch noch dem Vorwurf ausgesetzt, den Planeten kaputtzumachen. Die Responsibilisierung des Einzelnen, dessen individuelles Handeln im Geist der Austerität zum entscheidenden Hebel zur Rettung des Planeten hochstilisiert wird, ist also alles andere als unschuldig.
Was aber doch überrascht, ist die Emphase, mit der sich im aktuellen Diskurs gerade Konservative gegen Verzichtsappelle verwahren. Vom Zehn-Punkte-Programm der Union von Mitte 2023 und dem 2024 verabschiedeten Grundsatzprogramm bis hin zu den unzähligen Reden in und außerhalb von Bierzelten, in denen gegen Verbot und Bevormundung gewettert wird, scheint es so, als ob es kaum etwas weniger Konservatives gäbe als Verzichtsappelle. Dabei ist das Gegenteil der Fall.
Als Konservative noch verzichten konnten
Blickt man in den Werte- und Tugendkatalog der konservativen Tradition im Allgemeinen und auch der christdemokratischen im Speziellen, dann kann man nur zu der Einschätzung gelangen, dass der Verzicht – sei es aus tugendhafter oder instrumenteller Einsicht – eigentlich zum Kernbestand des konservativen Ideenhaushalts gehört. Denn wer würde bestreiten, dass Konservative den klassisch protestantisch-kapitalistischen Wertekatalog gutheißen, wie er einst von Max Weber beschrieben wurde, in dem es um aufgeschobene Befriedigung, Sparsamkeit, Opferbereitschaft, Selbstdisziplin, kluge Voraussicht und Leistungsbereitschaft geht? Die Verzichtsdimension ist all diesen Vorstellungen auf die ein oder andere Art zu eigen. Der Verzicht war hier nicht nur ein notwendiges Übel, um ein bestimmtes Ziel – im Zweifelsfall wirtschaftlichen Profit – zu erreichen, sondern gewissermaßen auch Zweck an sich als Ausweis eines tugendhaften Charakters, der in der Lage ist, sich selbst die Zügel anzulegen – das Signum des Zivilisationsprozesses, wie er einst von Norbert Elias interpretiert wurde, und ein unverzichtbares Element eines jeden Habitus, der sich als bürgerlich versteht.
Nun kann man natürlich behaupten, dass es sich um konservative Folklore handele, die im zeitgenössischen Kontext allenfalls noch im Rahmen erbaulicher Sonntagsreden eine Rolle spielt. Doch dieser Eindruck täuscht, denn immerhin prägte seinerzeit die schwarz-gelbe Regierung Kohl /Genscher ihre Agenda mit der Formel der geistig-moralischen Wende, bei der es – etwas vereinfacht ausgedrückt – darum ging, die Werte von 1948 gegen die von 1968 zu mobilisieren. Wo Letzteres für Hedonismus, Libertinage, Permissivität und Selbstverwirklichung stehe, sollten stattdessen wieder die Werte hochgehalten werden, die es ermöglicht hatten, dass einem in Trümmern liegenden Westdeutschland in der Nachkriegszeit der Wiederaufbau und ein veritables Wirtschaftswunder gelangen. Hier wurde den Bürgern zumindest symbolisch etwas abverlangt, wenn auch nicht ganz klar war, wer genau auf was verzichten sollte, und die »Wende« sich ohnehin spätestens mit der Wiedervereinigung erledigt hatte.
Die Idee einer geistig-moralischen Erneuerung mit dem Ziel, einem post-materialistischen Wertewandel entgegenzuwirken, war damals keineswegs eine der Ludwigshafener Provinz entsprungene Idiosynkrasie. Vielmehr zehrte das Kohl-Projekt von einem transatlantischen ideologischen Überbau, der seit den 1970er Jahren sowohl in den USA als auch in Deutschland unter dem Begriff des Neokonservatismus firmierte. Gerade in den Vereinigten Staaten unterzogen Autoren wie Irving Kristol oder Daniel Bell die zeitgenössische (Jugend)Kultur einer eingehenden Kritik: Der Konsumkapitalismus der Gegenwart produziere verweichlichte und narzisstische Ego-Hedonisten, die das kollektive materielle und ideelle Erbe, das über Generationen hinweg angehäuft worden sei, gedankenlos verprassten, weil sie schlicht nicht willens, aber auch nicht fähig seien, sich selbst in die Pflicht zu nehmen. Ich-Schwäche, ursprünglich ein wichtiges Element in der Diagnostik der Frankfurter Schule, wurde nun von der konservativen Kulturkritik vereinnahmt, diese mündete im Lauf der 1970er Jahre in breit diskutierten Krisenbefunden über »unregierbare« Gesellschaften und die »Anspruchsinflation« ihrer Bevölkerungen. Im angloamerikanischen Raum bereiteten diese den Weg für Thatcher und Reagan. Kurz, der Antihedonismus des Verzichts galt hier aus (neo)konservativer Perspektive als Ausweis einer intakten Persönlichkeit, und man ging so weit, Wohl und Wehe des Westens daran zu knüpfen, dass ein solcher Persönlichkeitstypus in hinreichendem Maß auch in den jüngeren Alterskohorten anzutreffen sei.
Um Beispiele für das konservative Lob des Verzichts zu finden, reicht aber schon der Blick auf die Debatte über die Schuldenbremse. In der Spätphase der Ära Merkel war die inhaltliche Ausgezehrtheit des christdemokratischen Konservatismus mit Händen zu greifen, mit großer Leidenschaft klammerte man sich damals in den Reihen der Union an die Maxime der schwarzen Null, also die Zielvorstellung eines ausgeglichenen Haushalts. Schließlich handelte es sich um das einzig verbliebene Erkennungsmerkmal der C-Parteien, das so auch als Ausweis des Konservativen im merkelianischen Christdemokratismus herhalten musste. Interessant daran ist im vorliegenden Kontext aber, dass es sich bei Schwarzer Null und Schuldenbremse um nichts anderes als mehr oder weniger kodifizierte Verzichtsforderungen handelt.
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