Heft 887, April 2023

Koloniale Währungen: Medium der Macht

von Mischa Suter

Wann und wie werden Schulden zu Macht? Diese Frage stellt sich von Beginn an, sobald das Medium, in dem Schulden festgehalten und beglichen werden – das Geld – in den Blick genommen wird. Wer definiert die Einheit, in der die Schulden notiert werden, wer kalibriert deren Maß gegenüber anderen Einheiten, und wer kontrolliert die Schöpfung der zur Schuldentilgung verwendeten Zahlungsmittel? Dies ist eine Frage der Souveränität. Es ist kein Zufall, dass im Lauf der Geschichte auf Münzen immer wieder die Porträts von Herrschern dargestellt wurden. Der Herrscher hat die Macht, auf einem Territorium die Geldeinheit zu bestimmen, und zugleich festigt er seine Macht mit diesem Vorrecht. Abstrakt formuliert, ist Geld mit Souveränität koproduziert: Es bezieht seine Wirkung aus einer autoritativen Setzung heraus und im selben Zug bringt es eine solche Autorität mit hervor.1 Aber wie sah dies in kolonialen Verhältnissen aus? Wie gestalteten Währungen die Beziehungen zwischen Kolonie und Metropole?

Vielfach zirkulierten in den Kolonien Geldsorten, die gar nicht mit den territorialen Herrschaftsansprüchen übereinstimmten; man denke an den Maria-Theresien-Taler, der seit dem 18. Jahrhundert weltweit auftrat, am Horn von Afrika bis zum Zweiten Weltkrieg verbreitet war und abwechselnd von Österreich-Ungarn, Italien, Großbritannien, Frankreich, Belgien und zuletzt Indien produziert wurde. Die deutsche Rupie wiederum trug zwar das Porträt von Kaiser Wilhelm, aber wurde das erste Dutzend Jahre von einer privaten Firma ausgegeben. Überdies bildete sie eine Kopie der indischen Rupie; ihre Wertverhältnisse wurden lange im Wesentlichen nicht von deutschen Instanzen, sondern indirekt durch die Geldpolitik des British Empire bestimmt. Wer war nun hier souverän?

Währungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Staatsverschuldung. Im kolonialen Fall sind die Beziehungen zwischen Metropole und Kolonie durch besondere Machtverhältnisse geprägt. Kolonialbeamte und Politiker fassten die Finanzlage zwischen Deutschland und der Kolonie Deutsch-Ostafrika als Schuldenbeziehung auf: Sie sahen die Kolonie als beim Mutterland verschuldet an. Sie blickten aber auch auf die Kolonien als Investitionen – hier spielten geldpolitische Institutionen ebenfalls eine wichtige Rolle. Im Fall von Deutsch-Ostafrika sollte eine 1905 eingerichtete Notenbank, die eng mit dem Eisenbahnbau verbunden war, zu zukünftigen Profiten für die Privatwirtschaft und prospektiv auch zur finanziellen Selbständigkeit der Kolonie verhelfen (Letzteres fand allerdings nie statt). Ganz fundamental waren Schulden auch im Nachdenken der deutschen Autoritäten über die Währung selbst, wenn sie sich die Frage stellten, wie die Währung gedeckt sein sollte. Da über weite Strecken hinweg die deutsche Rupie über gar keine Deckung verfügte, sprachen Beamte der Kolonialabteilung, des Schatzamts und der Reichsbank von einer »schwebenden Schuld«. Normalerweise werden unter diesem Ausdruck kurzfristige Verbindlichkeiten, etwa bei einer Zentralbank, verstanden, die nicht durch Anleihen oder ähnliche Wertpapiere gedeckt sind. Im Fall der deutschen Rupie wurde der Ausdruck »schwebende Schuld« in etwas anderem Zusammenhang verwendet – es ging darum, dass zeitweise die Währung, wie zeitgenössische Beobachter fanden, »in der Luft« hing, ohne dass sie mit einem Edelmetallwert oder durch rechtliche Grundlagen gedeckt war.

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