Kritik als identitäre Pose
Von der Studentenbewegung zu den »Querdenkern«? von Benedikt SeppVon der Studentenbewegung zu den »Querdenkern«?
Im bundesrepublikanischen Erinnerungskanon werden die Geschehnisse von 1968 meist mit der antiautoritären Studentenbewegung verbunden. Auch wenn heute eher die Vielfalt und Vielschichtigkeit der verschiedenen Entwicklungen betont wird, die sich zu den gesellschaftlichen Umbrüchen und Innovationen der 1960er Jahre bündelten, gehören die Bilder von hitzig diskutierenden Studierenden, von eskalierenden Demonstrationen und den nackten Hintern der Kommune 1 nach wie vor zu den ersten Assoziationen, die sich mit dem Label »Achtundsechzig« verbinden.
Befreit man die intellektuellen Rebellinnen und Rebellen jedoch von den zahlreichen Erinnerungs- und Nostalgieschichten, die sich mit der Zeit über ihnen abgelegt haben – und damit auch von der Verantwortung des Narrativs, die Bundesrepublik im Alleingang aus der verstaubten Nachkriegszeit geführt und zu einem liberalen Staat gemacht zu haben –, verbirgt sich dahinter nicht zuletzt die Geschichte einer enormen, fast schon erschreckenden Radikalisierungsdynamik: Was als Forderung nach freier Rede und weniger autoritärer Lehre an den Ordinarienuniversitäten begann, steigerte sich über den Protest gegen Notstandsgesetzgebung und Vietnamkrieg innerhalb weniger Jahre zu einer – wenigstens rhetorisch – unversöhnlichen Ablehnung der gesamten bundesdeutschen Politik und Gesellschaft.