Heft 844, September 2019

Liberale gegen Liberale

Unpopuläres über den (deutschen) Populismus von Georg Simmerl

Unpopuläres über den (deutschen) Populismus

Jan-Werner Müller hat mit seinem jüngsten Beitrag im Merkur einer Ahnung zur Sprache verholfen, die in der bürgerlichen Öffentlichkeit schon seit geraumer Zeit aufzieht: dass man sich dort nämlich einer antagonistischen Konfrontation zwischen Liberalen und Populisten beiwohnen sieht.1 Gewiss, Müller gebraucht diese Begriffe analytisch-reflektiert, und die strategischen Ratschläge, die er der liberalen Elite für den Umgang mit ihren antipluralistischen Antipoden mit auf den Weg gibt, sind das Ergebnis einer langen Debatte. Gleichwohl muss es Fragen aufwerfen, dass die gegenwärtige Lage von allen Seiten durch ein und denselben Schematismus erfasst und bearbeitet wird: von den »Populisten«, die zwischen Ablehnung und Aneignung dieses Etiketts schwanken, aber an der Etablierung der antagonistischen Lagebeurteilung selbst zweifellos maßgeblich beteiligt waren; von den »liberalen Eliten« aus Medien und Politik, die populistischen Anwürfen fortlaufend ausgesetzt sind; und schließlich auch von der vornehmlich professoralen Kommentatorenschaft, die sich nicht entscheiden kann, ob sie Partei oder Beobachter des Konfrontationsgeschehens in der bürgerlichen Öffentlichkeit sein will.

Einen wichtigen Hinweis, wie es zu diesem Einverständnis der kritischen Intelligenz mit dem gesunden Menschenverstand kommen konnte, gibt Müller auch. Unter denjenigen, die sich als Beobachter verstehen, habe die antagonistische Situationsdeutung mit der Einsicht Einzug gehalten, dass die demarkierende Identifikation von »Populisten« eine liberale Strategie und insofern mit der Frage nach dem Populismus auch unweigerlich die Frage nach dem Liberalismus selbst aufgeworfen sei (verstanden nicht als Parteiung, sondern als umfassende Problemstellung). Obwohl sich Müller nicht an dem aus dieser Erkenntnis erwachsenen »Markt für liberale Schuldbekenntnisse« beteiligen will, kommt auch er bei dem Versuch zu bestimmen, was ein Liberaler ist, nicht ohne Rekurs auf Carl Schmitt aus. Wenn der Liberalismus aber nicht ohne seine Kritik gedacht werden kann, gleichviel ob es sich der Intention nach um liberale Selbstkritik oder um antiliberale Kritik handelt, dann kann es tatsächlich nicht darum gehen, ein weiteres Mal eine der gängigen Varianten der Liberalismuskritik zu wiederholen. Dann ist vielmehr der Frage nachzugehen, welcher Liberalismus das ist, in dem sich die jüngste Debatte um den Populismus mit all ihren kritischen Formen vollzieht, und in welche Richtung er sich bewegt.

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