Heft 919, Dezember 2025

Mit anderen Tieren sprechen

Über Ausdruck, Sprache und Ethik von Michel Steinfeld

»Perhaps if people talked less, animals would talk more.«

Elwyn B. White, Charlotte’s Web

Bellen mit Untertiteln – unter dieser Schlagzeile berichtete die Süddeutsche Zeitung im Mai 2025, dass der chinesische Konzern Baidu ein Patent auf einen KI-gestützten Übersetzer für den alltäglichen Austausch mit Tieren eingereicht habe. Baidu steht damit in einer Reihe von Projekten, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz Tiersprachen »entschlüsseln« wollen. Ganz vorne dabei ist beispielsweise die CETI-Initiative, die sich darauf spezialisiert hat, die Äußerungen von Pottwalen zu entziffern. Ebenso das Earth Species Project, das unterschiedliche Forschungsprojekte zur Entwicklung einer KI vorantreibt, die in der Lage wäre, fast ausschließlich aufgrund von Daten Tierlaute in menschliche Sprachen zu übersetzen.

Die Aussichten auf Erfolg stehen gut, zumindest, wenn als Erfolg verbucht wird, dass sich in Lauten und Lautfolgen bestimmte Bedeutungen und syntaktische Verbindungen erkennen lassen. Alle diese Ansätze setzen gleichwohl voraus, dass sich Pottwale oder Hunde über das Gleiche austauschen wie Menschen. Angenommen wird Übersetzbarkeit und Ähnlichkeit. Die Kontraposition: Einzigartigkeit und Andersartigkeit anderer Tiere und ihrer Sprachen. Ein berühmter Strang der europäischen Philosophiegeschichte von Aristoteles bis Heidegger macht es sich deutlich einfacher: Tiere seien grundsätzlich ohne Logos, ohne Sprache.

Fest steht: Menschen interagieren mit nichtmenschlichen Tieren und nutzen dabei Sprache. Und wenn demnächst KI-Übersetzerinnen für Wellensittich und Husky zur Verfügung stehen, lohnt es, sich über diese Alltagspraxis Gedanken zu machen. Den Anfang macht dabei meist die Zuwendung: Menschen sprechen Tiere an. Und das gilt unabhängig davon, ob diese Tiere über Sprache verfügen, ob sie sich entschlüsseln lässt und ob das dann wiederum bei der Verständigung hilft. Man könnte von einer »verdichteten Szene« sprechen, in der der Mensch die Sprache, jenen Logos, der ihn nach einem so oft wiederholten Zeugnis der Antike auszeichnet, an das Tier richtet und offensichtlich auf irgendeine Art der Antwort setzt.

Aber was genau geschieht, wenn ein »Tier« angesprochen wird? Zuerst ist festzustellen: Wenn wir mit Tieren sprechen, nutzen wir unsere Sprache. Ich, der ich in Deutschland aufgewachsen bin, spreche auf Deutsch mit Ziegen und Krähen. Wer in Sambia aufgewachsen ist, tut dies möglicherweise auf iciBemba oder Xitsonga. Nun wissen Menschen, wenn sie mit Tieren sprechen, dass diese anders kommunizieren. Zu vermuten ist daher, dass es Gründe gibt, die eigene Sprache zu nutzen. Einer dieser Gründe ergibt sich daraus, dass der sprechende Mensch fast immer davon ausgeht, dass das Tier, mit dem er spricht, nicht die Worte und Zusammenhänge versteht, die er artikuliert. Das trifft natürlich nicht auf Worte zu, deren Sinn gemeinsam trainiert wurde, aber es gilt für komplex strukturierte Sätze. Der Mensch, der mit einem Tier spricht, will also gar nicht wortwörtlich verstanden werden, jedenfalls nicht in Bezug auf die einzelnen Satzinhalte und ihre komplexen syntaktischen Relationen. Die Motivation, trotz Sprachbarriere dennoch zu sprechen, scheint sich also auf andere Ebenen zu richten. Wie lässt sich dieses anders gelagerte Sprechen beschreiben?

Pragmatisch lassen sich erstens unterschiedliche Sprachregister unterscheiden. Mindestens drei solcher Register sind hier zu nennen: Signalkommunikation (zum Teil in Kommandoform wie »Sitz!«), monologisches Register (oft ist das anwesende Tier dann weniger Dialogpartner als Auslöser des Redens) und kommunikatives Register (also eine dialogische Interaktion mit dem Tier).

Sodann geht es zweitens um die Artikulation einer Haltung, so dass es bei der Ansprache von Tieren weniger um Sach- als um Beziehungsebenen und die damit verbundene Kommunikation von Emotionen geht. Was auch immer gesagt wird, es geht vor allem darum, wie es gesagt und intoniert wird. Man könnte hier auf Friedemann Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat verweisen: Die Ebenen von Beziehung, Selbstkundgabe und Appell wären dann einschlägiger als die Sachinformation.

Drittens, und das ist vielleicht die phänomenologisch interessanteste Ebene, ermöglicht die Sprachbarriere eine Gesprächsmodalität mit eigenen Zügen. Spreche ich mit Tieren, kommt es zu einer scheinbar paradoxen Situation: Ich spreche ein Tier an, erzähle, frage und kommentiere – und dabei erwarte ich keine verbale Antwort. Obwohl das Tier »schweigt«, rede ich weiter. Ich tue so, als ob ich verstanden werde, selbst wenn ich nicht weiß, ob ich verstanden werde, und mir dessen bewusst bin. Keine Antwort zu erwarten ist somit eine sinnvolle Art der Kommunikation, die nicht zum Kommunikationsabbruch führt. Die Stille des Anderen wird als antwortendes Schweigen begriffen.

Dieses Schweigen kann sehr unterschiedlich ausfallen: der betroffene Blick des Hundes, das unbeirrt weiter pickende Rotkehlchen, die Ziege, die ihre Augen schließt, während sie gestreichelt wird. Dieses Schweigen ist daher in gewisser Weise stimmhaft. Und zwar unter anderem in dem sehr präzisen Sinn, dass es sich in die menschliche Sprache einträgt und seine Spuren hinterlässt. Es artikuliert sich als andere Sprache in der eigenen Sprache. Ganz basal zeigt sich dies in einfachen onomatopoetischen Wendungen (miau, mäh, summ usf.), doch darüber hinaus ist es auch das Schweigen selbst, das sich in unser Sprechen zum Tier einträgt, indem wir auf es hören: Der Ausdruck des Tieres, seine Handlungen, seine Gestik, seine Mimik (sofern muskulär möglich), all dies trägt sich in mein Sprechen mit ihm ein, oft auch explizit, indem ich es kommentiere (»Warum legst du denn die Ohren an?« »Ja, ich sehe dir die Freude ins Gesicht geschrieben!«). Auch in sehr kreativer Weise kommt das Tier zur menschlichen Stimme, indem manche Menschen ihm die eigene, oft verfremdete Stimme leihen und Gesprächspartien des Tieres übernehmen. Ein Phänomen, das sich mit Deborah Tannen »talking the dog« nennen ließe. So werden (vermutete) Anliegen nichtmenschlicher Akteure, halb im Scherz, halb im Ernst, stellvertretend artikuliert.